Gunther Merz’ Dokumentarfilm Der Hexer in Niedernhall (2005) begleitet die Probenarbeit des Schauspielers und Regisseurs Wolfgang Wolter im baden-württembergischen Niedernhall. Wolter, ein durch die Vorabend-Seifenoper Marienhof (1992-2011) bekannt gewordener, klassisch ausgebildeter Schauspieler, inszeniert dort mit lokalen Darstellern das selbst verfasste Stück Hexenreigen und steht von der ersten Szene an im Mittelpunkt dieses personenfixierten, simultanen (wenn auch aus der Retrospektive gerahmten) Making-ofs der Inszenierung. Für Plot und Hintergrundgeschichte des historischen Dramas interessiert sich der Film weit weniger als für die schillernde Figur Wolter, der launisch über sein Ensemble gebietet und es auf die Metapher des Wolfsrudels (mit ihm als Alphatier) einschwört: „Theaterarbeit ist keine Demokratie, [sie] ist Diktatur. […] Da hat einer das Sagen, und sonst keiner.“ Während der das Projekt unterstützende Gemeinderat das Treiben mit einigem Amüsement betrachtet („Künstler sind immer Künstler.“), wiegeln Wolters Ausbrüche und sein widersprüchlicher Umgang mit dem eigenen verblassten Ruhm bald Darsteller und Assistenten gegen ihn auf. Nach zornigen Tiraden („Ich bin ein Opfer vom Staatstheater und vom Fernsehen!“) beharrt er wiederholt auf seinem Status als Prominenter und tritt mit Sonnenbrille und Fedora vor die Lokalpresse. Das Making-of der Theaterinszenierung wird zum ‚unmaking‘ der Person Wolters, dessen Qualitäten als Theaterpädagoge und Regisseur die filmische Inszenierung zugunsten seiner Wutausbrüche in den Hintergrund treten lässt. Zwar nimmt der Film vereinzelt leisere, von anderen Facetten zeugende Momente in den Blick, in denen das Ensemble durch die Proben emotional zusammenwächst, mit seinem Regisseur singt oder in der sogenannten ,Menschentraube‘ Halt findet bzw. „in einer Mischung aus Voodoo, Séance und Selbsthilfegruppe zusammengeschweißt [wird]“ (Hegemann 325). Insgesamt überwiegt aber die Entlarvung des Profilneurotikers, der mit seinen Ambitionen Thomas Bernhards Theatermacher Bruscon nachzueifern scheint: Auch dieser einst große Schauspieler findet sich zur Tingeltour durch Provinznester verdammt, die er früher „nicht einmal zum Wasserlassen“ betreten hätte (Bernhard 11).
Den Probenprozess des Theaterbetriebs setzt Merz’ Film v.a. als Abfolge von Streitereien ins Bild, die sich weniger an interpretatorischen Fragen entzünden als an den Launen des Despoten, der auf Widerspruch mit Probenabbruch oder dem Verhängen von Strafaufgaben reagiert. Die Ironie, dass gerade die Proben zu einem Stück über die historischen Hexenprozesse von Denunziation und Willkür begleitet werden, schwingt zwischen den Zeilen mit. Wenn auch die Erzähllogik des klassischen Making-ofs gewahrt bleibt, indem Momente der Krise in versöhnlichen Szenen aufgelöst werden und allen Widerständen zum Trotz am Ende eine erfolgreiche Premiere steht, werden weder Probenchronologie noch wirkliche Fortschritte der Inszenierung oder technische Aspekte des Bühnenapparats offengelegt. Dennoch erhellt der Film den Probenprozess, indem er zeigt, welch wichtige Rolle Krisen zukommt und wie diese gar bewusst provoziert werden, um Stimmungen und persönliche Reaktionen der Akteure herbeizuführen (vgl. Roselt). Freilich gilt das überwiegende Interesse des selbst komplett im Hintergrund bleibenden Regisseurs Merz seinem Kollegen (und ehemaligen Chef) Wolter, der aus für den Zuschauer nicht nachvollziehbaren Gründen sogar das Happy End sabotiert, indem er sein Ensemble nach der Aufführung beschimpft und vor den Kopf stößt. Auf die konsternierte Reaktion eines Schauspielers („Der Mann ist für mich gestorben.“) folgt als bittere Pointe die Meldung von Wolters Ableben wenige Wochen nach der Premiere.
Damit bildet der Hexer den Sonderfall eines Making-ofs, das beim Verhandeln des künstlerischen Prozesses das künstlerische Produkt selbst nur am Rande würdigt und stattdessen der Faszination für ein denkwürdiges ‚enfant terrible‘ erliegt.