Making-of
Ein Lexikon

Making-of. Ein Lexikon versammelt Texte zum Begriff Making-of. Die Online-Plattform wurde von Studierenden der Geistes- und Kulturwissenschaften initiiert. Sie widmet sich der Erforschung verschiedenster Making-of-Formate in der Gegenwartskultur und kann um neue Begriffe und Texte erweitert werden.

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Maler und Malerei im Film

Die „Legende vom Künstler“ erfreut sich, obwohl sie von Ernst Kris und Otto Kurz schon 1934 entzaubert wurde, bis in die Gegenwart größter Popularität, steht sie doch im Zentrum der beliebten Gattung des Künstlerfilms, der stets die Inszenierung einer mythischen (überwiegend männlichen) Produktionskraft zum Thema macht. Das Bild des innerlich getriebenen, jenseits normativer Ordnungen agierenden Künstlers, der zugleich – durch das visuelle Regime der Mise en scène – in liebevoll reproduzierten Kostümen und Dekors radikal historisiert wird, findet sich in so unterschiedlichen Spielfilmen wie Vincente Minnellis Lust for Life über Vincent van Gogh (1956), Ed Harris‘ Pollock (2000) und Derek Jarmans Caravaggio (1986), aber auch in erfolgreichen Dokumentarfilmen wie Le mystère Picasso von Henri-Georges Clouzot (1956) oder neueren Produktionen wie Gerhard Richter Painting von Corinna Belz (2011). Auch wenn einzelne Filmemacher, wie etwa Jarman, stellenweise mit dem historischen Einheitsraum brechen und anachronistische Referenzen (Taschenrechner, Zuggeräusche etc.) einbauen, bleibt der historistische Gestus des Eintauchens in die Wirklichkeit des Lebens und Sterbens eines tragischen Künstlerheros auch in den teilweise avantgardistischen Filmen erhalten.

Der Prozess der künstlerischen Produktion wird im Künstlerfilm, wenn er überhaupt gezeigt wird, als Ausdruck einer autonomen Künstlerexistenz visualisiert. Michelangelos Arbeit an den Deckenfresken der Sixtina in Sir Carol Reeds The Agony and the Ecstasy (1965) bezieht ihr dramaturgisches Gewicht daraus, dass sie als Dokument eines zähen Ringens zwischen dem Künstler und Papst Julius II. inszeniert wird. Jarmans Caravaggio findet Modelle unmittelbar in seinem proletarisch-bohemienartigen Alltag, der wiederholt zu ‚lebenden Bildern’ gerinnt und das Geschehen in ein prospektives Making-of transformiert. Das Kunstwerk wird dem Künstlerleben subsummiert. Dies gilt sogar dann, wenn ein Film, wie Alain Resnais‘ Van Gogh (1948), nur aus Aufnahmen von Werken des Künstlers besteht und auf jede realfilmische Handlung verzichtet. André Bazin hat darauf aufmerksam gemacht, dass dieser Film die „Ausrahmung“ jedes einzelnen Gemäldes vornimmt, damit vor allem durch Zooms und Überblendungen ein Raum-Zeitkontinuum evoziert werden konnte. So ist trotz der scheinbaren Verselbständigung der Werkebene Malerei als Ausdrucksgebärde und Existenzdokumentation des Künstlerlebens lesbar. Minnellis formal ganz anders gestaltetes Biopic gibt zum Beispiel einer Montagesequenz der Sonnenblumen-Bilder van Goghs einen ähnlich expressivistischen Sinn. Für die aktuelle digitale Filmproduktion ist exemplarisch auf Lech Majewskis Die Mühle und das Kreuz (2011) zu verweisen, das Pieter Bruegels Wiener Bild der Kreuztragung mit allen Details buchstäblich zum Leben erweckt und begehbar macht.

Die im Genre des Biopics und der filmischen Künstlerdarstellung übliche Fiktionalisierung der Meisterwerke negiert deren realen, vom historischen Entstehungskontext abgelösten Objektstatus. Andrei Tarkowskis Andrej Rubljow (1969) ist vielleicht der einzige Künstlerfilm, der sich diesem hermeneutischen Problem des Kunstwerks bewusst stellt. Ermöglicht wird dies durch die kritische Revision der Idee des Künstlerindividuums auf der Grundlage einer materialistischen Geschichtskonzeption, die Kunst wie Wissenschaft und Kult an die Interessen der herrschenden russischen Fürsten des 14. Jahrhunderts bindet. Es gibt hier keine kohärente Darstellung des Künstlerlebens, keine großen Persönlichkeiten vor dem Hintergrund einer gesichtslosen Volksmasse, sondern nur in der Gruppe agierende Einzelne, deren Taten in frei assoziierten Episoden erzählt werden. In einem gänzlich von der Handlung abgekoppelten Epilog schwenkt die Kamera über die von Rubljow und anderen Ikonenmalern angefertigten Fresken, insbesondere das Bild der von Engeln personifizierten Dreifaltigkeit, das einer innigen gegenseitigen Zugewandtheit und somit einem kollektiven Ideal Gestalt gibt. Nicht allein die individuelle Vorstellungskraft und technische Virtuosität, sondern vor allem die soziale Positionierung des Künstlers ist Anschub seiner Produktion.

Der entgegengesetzte Standpunkt wird durch die vermeintlich dokumentarische Aufzeichnung des Malprozesses in Filmen über zeitgenössische Künstler eingenommen, von denen viele tatsächlich wieder eine Fiktionalisierung des Werks leisten. Hans Namuths Kurzfilme über Jackson Pollock (1950) haben das Image des von Harold Rosenberg konzipierten existentialistischen ‚Action-Painters‘ geprägt und erneut dem Mythos der unmittelbaren künstlerischen Ausdrucksgeste visuelle Evidenz verliehen. Clouzots Le mystère Picasso (1955) zeigt zwar nicht den Künstler bei der Arbeit, umso magischer jedoch erscheint die mittels Stopptrick in allen Etappen visualisierte Bildentstehung. Auch der aktuelle Film von Corinna Belz, Gerhard Richter Painting, der die mechanische Bewegung des Rakels als ein geheimnisvolles Verfahren jenseits aller Erklärbarkeit inszeniert, zehrt noch von diesen Vorbildern.

Allein die konsequente Absage an den narrativen Aktionismus des filmischen ‚Bewegungsbildes‘ zugunsten des ‚Zeitbildes‘, das die filmische als reflexive Form einsetzt (Deleuze), hat eine kritische Perspektive auf das malerische Making-of ermöglicht, das auf Augenhöhe mit der Bildkritik der Avantgarden operiert. Aus dem Spektrum des experimentellen Films ist als Beispiel Andy Warhols Kurzfilm Elvis at Ferus (1963) zu nennen, in dem die hektischen, gesturalen Kamerabewegungen einer sinnfälligen Zuordnung zu den ausgestellten Siebdrucken weitgehend entzogen bleiben. Den Paragone zwischen Film und Malerei hat schon Jean-Luc Godard einschlägig in seinem Frühwerk (A bout de souffle, 1959, Le petit soldat, 1960; Pierrot le fou, 1965) begründet, indem er Reproduktionen von Gemälden in seine Spielfilme einbaut, ohne sie dem diegetischen Raum gänzlich unterzuordnen. Die Aufführung von Meisterwerken der Malerei in Passion (1981) lässt sich dabei als eine hoch reflektierte und zugleich pathosgeladene Verdichtung von malerischem und filmischem Making-of verstehen. 

Quellen

Bazin, André: “Le mythe du cinéma totale.” (1946) In: Ders.: Qu’est-ce que le cinéma? Paris 1981, S. 19-24.

Deleuze, Gilles: Das Bewegungs-Bild. Kino 1. Frankfurt/Main 1997.

—: Das Zeit-Bild. Kino 2. Frankfurt/Main 1997.

Kris, Ernst / Otto Kurz: Die Legende vom Künstler. Ein geschichtlicher Versuch. Frankfurt/Main 1995.