Making-of
Ein Lexikon

Making-of. Ein Lexikon versammelt Texte zum Begriff Making-of. Die Online-Plattform wurde von Studierenden der Geistes- und Kulturwissenschaften initiiert. Sie widmet sich der Erforschung verschiedenster Making-of-Formate in der Gegenwartskultur und kann um neue Begriffe und Texte erweitert werden.

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Lost in La Mancha

Wenn das klassische Making-of eine auf den Erfolgsfall getrimmte Erzählung ist, die das Gelingen eines (künstlerischen) Projekts und das Überwinden von Hürden zum Thema hat, dann ist Lost in La Mancha (2002) seine Antithese, nämlich der Referenzfilm des Scheiterns, der zudem die klare Unterordnung des Making-ofs als Paratext unter den filmischen Haupttext auf den Kopf stellt. Im Fall von Lost in La Mancha, dessen Regisseure Keith Fulton und Louis Pepe den Filmemacher Terry Gilliam im Jahr 2000 bei der Umsetzung seines langgehegten Cervantes-Projektes, The Man Who Killed Don Quixote, begleiten durften, bleibt der angedachte Hauptfilm nämlich unvollendet, und es obliegt dem Making-of, die geplante Cervantes-Modernisierung umzusetzen, indem es Gilliam selbst zur Quijote-Figur stilisiert, die im Kampf gegen Windmühlen unterliegt.

Im Film Lost in La Mancha, der den filmischen Entstehungsprozess als Abfolge von Katastrophen inszeniert, finden sich durchaus vertraute Gemeinplätze des Making-ofs, bspw. die kollektive Teamanstrengung und das vielfach geäußerte Vertrauen der Beteiligten in einen Regisseur, der, wie Kameramann und Co-Autor in Interviews betonen, als ‚enfant terrible‘, Träumer und Visionär der rechte Mann für den Quijote-Stoff zu sein scheint. Die schlechten Vorzeichen – Gilliam gilt als „Captain Chaos“, das Budget ist zu niedrig angesetzt, Verträge werden zu spät unterzeichnet, die Stars (wie Johnny Depp) sind nicht abkömmlich für Proben, das gemietete Studio entpuppt sich als inadäquat – werden im regulären Making-of selten thematisiert; und falls doch, dann nur als Widrigkeiten, die das Gelingen des Projekts dann umso triumphaler escheinen lassen. Allerdings entfällt das Happy End in Fultons und Pepes Film, der mit seiner Konzentration auf die Filmvorbereitung – die komplette erste Hälfte der Erzählzeit wird allein auf die Pre-Production von Quixote verwendet – auch ein Gefühl für die im standardisierten Making-of ausgesparten logistischen Aspekte sowie für die immensen, häufig frustrierenden Wartezeiten beim Dreh schafft. Auch die konventionelle Gewichtung der Rollen verkehrt sich: Schauspieler treten in Lost in La Mancha lediglich am Rand in Erscheinung, dagegen ist der ‚assistant director‘ (dessen wichtige Rolle das klassische Making-of nivellieren muss, weil sie die ‚auteur‘-Fiktion gefährden würde) omnipräsent. Die Dreharbeiten kann freilich auch er nicht retten, denn die Produktion wird vom ersten Drehtag an von unglücklichen Zufällen heimgesucht: Über dem für die Außendrehs auserkorenen Gelände kreisen permanent Düsenjets, Gewitterstürme führen zum Abbruch und der Hauptdarsteller Jean Rochefort fällt verletzt aus.

Gilliam, der mit seinem Ruf kokettiert („If it’s easy, I don’t do it.“), jedoch bald vor Mitarbeitern Nerven zeigt, sich für die zu Besuch weilenden Investoren nur mit Mühe ein Lächeln abringt und Durchhalteparolen verbreitet („We have to shoot, no matter what!“), wird zum leibhaftigen Quijote, der im Making-of zudem mit dem ebenfalls an einem Quijote-Projekt gescheiterten Orson Welles als Referenzfigur überblendet wird. So leistet Lost in La Mancha einen traurigen Abgesang auf den ‚auteur‘-Mythos, wie ihn Cervantes‘ Roman auf den Ritter lieferte: Der Regisseur ist nicht der visionäre Genius aus der konventionellen Making-of-Erzählung, sondern ein Entmachteter, denn Drehplan und Budget kalkuliert der pragmatische Assistent, und über den Produktionsstopp entscheiden Versicherungsbeamte. Auch im impliziten Vergleich mit dem Making-of-Projekt zieht Gilliam mit seinem Quixote-Film den Kürzeren, denn dessen wenige realisierte Sequenzen werden vom Making-of kurzerhand aufgesogen. Auch ein zweiminütiger Querschnitt durch Gilliams Karriere im Stil von dessen bekannten Monty Python-Animationen scheint die parasitäre Natur des Making-ofs zu unterstreichen. Allerdings behauptet dieses hier seine künstlerische Autonomie, indem Lost in La Mancha geplante Gilliam-Szenen durch fantasievolle, mit atmosphärischer Musik unterlegte Montagen aus Storyboard-Bildern und gelesenen Drehbuchpassagen integriert, und letztlich auch die Quijote-Narration vollendet: Das Röntgenbild des verletzten Darstellers wird mit dem strauchelnden Quijote kontrastiert, der resignierte Regisseur Terry Gilliam entpuppt sich selbst als Ritter von der traurigen Gestalt, der vor den Windmühlen Reißaus nimmt. Die gefilmte Niederlage des Spielfilmregisseurs wird so paradoxerweise zum Triumph für das (vollendete) Making-of.

Quellen

Lost in La Mancha. USA 2002, Regie: Keith Fulton / Louis Pepe.