Bezeichnung für die besondere Rhetorik und Struktur von Antragstexten, die sich durch stereotype Floskeln und Formulierungen auszeichnet. In wissenschaftlichen und künstlerischen Kontexten meint Antragsprosa im pejorativen Sinne das wortgewaltige Beschreiben von Nichtigkeiten, die obligatorische Nennung oder Vermeidung von Schlüsselwörtern fachlicher Diskurse sowie die Einhaltung formaler Vorgaben der Antragsstellung. Antragsprosa wird damit zum Merkmal der in wissenschaftlichen und künstlerischen Kontexten um sich greifenden Kultur des Projektemachens, die die Planung, Durchführung und Finanzierung einzelner Projekte an die Abfassung und erfolgreiche Begutachtung von Anträgen bindet.
Insofern Anträge den geplanten Ablauf eines wissenschaftlichen oder künstlerischen Prozesses entwerfen, können sie als prospektive Making-ofs gelten. Antragsprosa wäre demnach als Inszenierungsmittel zu begreifen, durch das bestimmte ideale Vorstellungen von wissenschaftlichen oder künstlerischen Produktionsprozessen und den an ihnen beteiligten Akteuren in Szene gesetzt werden. Stilmerkmale von Antragsprosa sind: Teleologie, Rechtfertigung und Planbarkeit von Produktionsprozessen sowie die Selbstinszenierung der beteiligten Personen als Mitglieder einer wissenschaftlichen oder kulturellen Gemeinschaft.
Anträge geben eine telelogische Struktur vor, die nicht zuletzt durch die explizite Aufstellung von Zeitplänen zum Ausdruck kommt. Sie verheißen Erkenntnis, indem sie das Ziel eines Vorhabens benennen, die konkreten Schritte und Maßnahmen zu dessen Erreichung beschreiben und so Ergebnisse in Aussicht stellen. Während es das Ziel des Projektes ist, künstlerisches oder wissenschaftliches Wissen zu generieren, bleibt es das Ziel des Antrags, dieses Vorhaben zu legitimieren und die Finanzierung desselben sicher zu stellen.
Anträge skizzieren eine mögliche Zukunft und suggerieren als prospektive Making-ofs die Kenntnis darüber, wie diese gemacht worden sein wird. Antragsprosa behauptet damit die Planbarkeit und Berechenbarkeit eines künstlerischen oder wissenschaftlichen Projekts unter möglichst weitgehendem Ausschluss der Kontingenz dieser Prozesse. Dass wissenschaftliche oder künstlerische Ergebnisse dem Zufall überlassen sein könnten (,serendipity‘-Phänomene), muss durch Antragsprosa ebenso kategorisch ausgeschlossen werden wie die Möglichkeit, Ausprobieren, Tüfteln oder Basteln als adäquate Techniken der Wissenserzeugung zu propagieren. Gegenüber der künstlerischen und wissenschaftlichen Praxis wird in Antragsprosa ein konzeptgeleitetes Vorgehen präferiert. Zu den Strategien von Antragsprosa gehört ferner, dass das Versprechen und die Voraussage neuer Erkenntnisse nur plausibel sind, wenn zugleich der aktuelle Zustand des Nichtwissens in Szene gesetzt wird. Antragssteller haben nachzuweisen, dass sie durch eigene Vorarbeiten ein Thema beherrschen und prognostizieren können, wann konkrete Ergebnisse zu erwarten sind, ohne dass sie dabei den Eindruck erwecken dürfen, dass ihnen die Ergebnisse unter Umständen schon bekannt sind. Auch wenn die Reputation der Antragssteller für erfolgreiche Begutachtung eines Antrags zentral ist, gehört es zu den Stilmitteln von Antragsprosa, auf die Verwendung der 1. Person Singular zu verzichten. Während in filmischen Making-ofs die Autorschaft Einzelner bzw. deren individuelle Verstrickungen in einen Prozess gefeiert oder mythologisch aufgeladen werden, pflegt Antragsprosa insbesondere im Kontext der Wissenschaften eine Form des Understatements, welche die Individualität und Kreativität einzelner Personen mit neutralen Formulierungen kaschiert. Der Satz: „Ich bin ein kluger und origineller Kopf und brauche drei Jahre Zeit, um in Ruhe über ein Thema nachzudenken, ohne dass ich wüsste, worauf es hinauslaufen könnte,“ wäre im Rahmen eines Antrags vielleicht ehrlich, aber sicher nicht erfolgversprechend. Dieses Self-Fashioning ist Teil des Wissenschaftsbetriebs, der zwar fordert, dass man in aller Munde zu sein habe, dabei aber selbst nie „Ich“ sagen bzw. schreiben darf.
Komplementär zum Antrag als Verheißung steht der Bericht als dessen Erfüllung. Die Zukunfts- und Fortschrittsgläubigkeit der Kultur wird dadurch deutlich, dass der Bericht weniger emphatisch behandelt wird. Der Begriff „Berichtsprosa“ findet kaum Verwendung, und der Rezeption von Berichten in Begutachtungs- und Akkreditierungsverfahren wird weniger Aufmerksamkeit geschenkt als der Lektüre der häufig auch umfangreicheren Anträge.
Die prinzipielle Offenheit von Forschungsprozessen erscheint durch Antragsprosa reguliert und diszipliniert. Damit wird zugleich eine bestimmte Vorstellung von Innovativität inszeniert, deren Merkmal die Verheißung einer bereits gebändigten Zukunft ist.