Making-of
Ein Lexikon

Making-of. Ein Lexikon versammelt Texte zum Begriff Making-of. Die Online-Plattform wurde von Studierenden der Geistes- und Kulturwissenschaften initiiert. Sie widmet sich der Erforschung verschiedenster Making-of-Formate in der Gegenwartskultur und kann um neue Begriffe und Texte erweitert werden.

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Zufall

Unter Zufall wird das Moment des Unvorhergesehenen und Nichtbeabsichtigten verstanden. Der Zufall im Hinblick auf ästhetische Produktion ist dasjenige Momentum, das unabhängig von der Intention des künstlerisch Schaffenden den Produktionsprozess unterschiedlich stark beeinflusst. Zufälle sind nicht planbar, sie können (künstlerische) Produktionsprozesse gleichwohl erheblich beeinflussen. Making-ofs lassen sich als geeignete Formate für die Beobachtung, Beschreibung und Analyse solcher zufallsbedingter Vorgänge begreifen. Im Making-of kann der Zufall auf verschiedenen Ebenen in Erscheinung treten.

Da ist zunächst der Zufall im Rahmen des beobachteten Produktionsprozesses selbst. Das Moment des Zufälligen beeinflusst die verschiedenen künstlerischen Sparten unterschiedlich stark und ist abhängig von der Komplexität des Produktionsprozesses. Mit anderen Worten: Die Anfälligkeit für Zufälle hängt von diversen Faktoren der künstlerischen Produktion ab. Entscheidende Parameter sind beispielsweise die Anzahl der Produktionsbeteiligten und der Produktionsort. Ein Filmteam, bestehend aus Regisseurin, Schauspielern und Produktionsstab, das überwiegend in Außenbereichen dreht, ist weitaus anfälliger für Einflüsse, die sich der eigenen Kalkulation und Intention entziehen, als beispielsweise der bildende Künstler oder Schriftsteller, der allein in seinem Atelier oder Schreibwerkstatt arbeitet. Zufälle entstehen aus unkontrollierbaren Wechselwirkungen der Produktionsbeteiligten mit ihrer Umgebung.

Allerdings ist auch von der produktiven Rolle des Zufalls, der sich keineswegs nur in Form von Widrigkeiten niederschlagen muss, auszugehen. Durch das Einwirken unvorhersehbarer Momente auf den Produktionsprozess kann etwas Neues entstehen. Es ist nicht allein aleatorische Kunst, die sich in ihrer Ausgestaltung gänzlich dem Zufall überlässt, ihn ästhetisiert und gleichsam zum konstitutiven Prinzip einer Poetik wählt (vgl. Schulze 103); Making-ofs lenken die Aufmerksamkeit des Rezipienten darauf, dass auch in konventionelleren Produktionsformen der Zufall Einfluss auf die Genese eines Werks ausübt. Im Making-of zu Jaws erfährt man, dass die Entscheidung, den Hai in der ersten Filmhälfte lediglich anzudeuten und viel der Fantasie des Publikums zu überlassen, nicht einer ausgeklügelten Inszenierungsstrategie des Regisseurs entstammt, sondern vielmehr der Tatsache geschuldet ist, dass der mechanische Hai beim Dreh ständig kaputt war. Die Entscheidung, den Zufall als konstituierendes Mittel ästhetischer Produktion nutzbar zu machen, berührt demzufolge den Diskurs über die Genie– und Werkästhetik. Gerade klassische Making-ofs stehen noch ganz im Zeichen des Verständnisses vom genialen Künstler und thematisieren den Einfluss von Zufällen auf den Entstehungsprozess des Films kaum. Im Zentrum stehen das Werk (hier: der Spielfilm) und die Inszenierung des Making-ofs im Sinne einer geradlinigen Entwicklung von der Idee zur Umsetzung. Beispiele wie Lost in La Mancha brechen mit der Tradition des klassischen Making-ofs und zeigen eine ästhetische Entwicklung dieser Form der Prozessbeobachtung auf. Sie verdeutlichen, wie stark Zufälle in den Produktionsprozess eingreifen und die künstlerische Produktion erschweren bzw. teilweise unmöglich machen. Das unbeständige Wetter oder ein schwer erkrankter Hauptdarsteller führen immer wieder zur Unterbrechung der Dreharbeiten. An diesen Beispielen zeigt sich, dass der Zufall in vielen Fällen die Diskrepanz zwischen externen Faktoren und menschlicher Kontrolle markiert. Der Schauspielerkörper, der anfällig für Krankheiten und Verletzungen ist, oder das Wetter, das zwar relativ zuverlässig vorhergesagt, aber nicht vom Menschen kontrolliert werden kann, zeigen den Produktionsbeteiligten Grenzen der Kontrolle auf.

Die zweite Ebene, auf welcher der Zufall im Rahmen des Making-ofs zutage tritt, ist der Akt des Beobachtens, denn ein Entstehungsprozess kann kaum vollständig beobachtet und dokumentiert werden. Eine Diskussion der Prozessbeteiligten, die abseits der offiziellen Produktionsorte (beispielsweise während der Mittagspause) geführt wird, kann zufällig beobachtet und aufgezeichnet werden und so als Material für das Making-of dienen. Die Diskussion kann sich als essentiell für den Fortlauf des Produktionsprozesses herausstellen, die Möglichkeit ihrer Aufzeichnung und Integrierung in das Making-of ist jedoch aufgrund der Unmöglichkeit der vollständigen Beobachtung nicht garantiert. So bedingt der Zufall auch die Materialgenese und -redaktion des Making-ofs.

So kann festgehalten werden, dass jede Art von künstlerischer Produktion zur gleichen Zeit Produkt von Intention und Zufall ist – Making-ofs können dieses Zusammenspiel sichtbar machen oder absichtlich verschleiern. Darüber hinaus ist die Produktion eines Making-ofs selbst diesen Faktoren ausgeliefert.

Quellen

Lost in La Mancha. USA 2002, Regie: Keith Fulton / Louis Pepe.

The Making of ‚Jaws‘. USA 1995, Regie: Laurent Bouzereau.

Schulze, Holger: „Das Modell der nichtintentionalen Werkgenese. Über Werkgeneratoren zwischen Cage und Frontpage.“ In: Peter Gendolla / Thomas Kamphusmann (Hg.): Die Künste des Zufalls. Frankfurt/Main 1999, S. 94-121