Indem Making-ofs Prozesse und alle beteiligten Faktoren und Akteure in komplexen und dynamischen Relationen neben-, mit- oder nacheinander beobachten und sichtbar machen, werden neue, andere Sinnzusammenhänge generiert, die im Sinne eines Samplings nach Thomas Feuerstein zu verstehen sind. Nonlinearität als ,Nicht-Einfachheit‘ bezeichnet eine mediale bzw. inhaltliche Komplexität von Inszenierungs– wie auch Organisationsprinzipien von Making-ofs.
Abgeleitet aus den theoretischen Überlegungen Henri Poincarés Endes des 19. Jahrhunderts wurden ab den 1960er-Jahren nonlineare dynamische Systeme für die mathematische Physik entwickelt (vgl. Hayles 2f.). Poincaré definierte sie als „sensitive Abhängigkeit von Anfangsbedingungen“ (Guntern 15). Sie werden weiter als Ordnungen verstanden, deren zeitliche Entwicklung unvorhersagbar ist, obwohl die Interaktion der zugrundeliegenden Faktoren annähernd determinierbar erscheint (vgl. Werner 10f.). Sie gelten als ‚chaotisch‘, weil die Menge an Information zunächst als größte Unordnung ohne roten Faden erscheint. Jedoch ist Chaos „not a lack of disorder, but order and disorder interlaced“ (ebd. 2). In den Naturwissenschaften bezeichnet man dies als einen Teilbereich der Chaostheorie oder Chaosforschung, der zunächst für die Beschreibung von langfristig unbestimmbaren Wettervorhersagen oder (magnetischen) Pendelbewegungen Verwendung fand. Daher erscheint die Nutzbarmachung dieser Theorien innerhalb des Making-of-Kontexts wohl zunächst fragwürdig.
Doch was in diesem speziellen Zusammenhang Relevanz besitzt, ist die Vorstellung einer nicht determinierbaren Prozessualität, in welcher Prozesse in nonlinearen Verbindungen zueinander stehen und agieren. Mit dem Wissenschaftler und Künstler Ian M. Clothier gesprochen: „[S]imple cause and effect has broken down, and the linear relationship between parts of a system is disturbed. One action may in one instance produce one reaction and in another, a different reaction“ (53). Wenn kreative Produktionsprozesse als komplexe Systeme gedacht werden, denen der Gestus von Unvorhersehbarkeit inhärent ist, ist eine singuläre Kausalität zwischen Aktion und Reaktion nicht mehr gegeben. Nonlinearität ist daher vor allem im Sinne der Autopoiesis die Erklärung für Making-ofs als interagierende und intermediale Systeme. Beispielsweise bezogen auf das Format Casting-Shows liegt hier jeder Staffel der selbe Experimentieraufbau zugrunde: die Hervorbringung eines Stars. Dennoch ist der Prozessverlauf, trotz maximal gleicher Ausgangssituation, jedes Mal ein völlig anderer. In diesem Sinne sind Making-ofs prädestiniert dazu, mit Hilfe von nonlinearen Strukturen die Komplexität und die Vielzahl möglicher, nicht-determinierbarer Prozessverläufe zu thematisieren bzw. zu beschreiben.
Um jedoch Nonlinearität auch als formales bzw. strukturelles Organisationsprinzip von Making-ofs greifbar zu machen und die Modi solcher Prozessverknüpfungen zu untersuchen, ist das Rhizomkonzept von Gilles Deleuze und Félix Guattari, welche die Chaostheorie in die Geisteswissenschaften einführten, grundlegend.
Ihre Unterscheidung zwischen Rhizom und Baum kann als Analogie zur Beziehung von Nonlinearität und Linearität gesehen werden. Unter der Vorstellung eines Baums mit natürlicher Pfahlwurzel werden Eigenschaften wie Hierarchie und binäre Logik subsumiert, wo alle neuen Verbindungen mit der zentralen Wurzel verbunden und linear bzw. chronologisch organisiert sind. Im radikalen Gegensatz dazu verstehen Deleuze und Guattari in Anlehnung an Carl Jung das Rhizom als subversives Moment der Dezentralisierung, Heterogenität, Anti-Hierarchie und Pluralität. Das Rhizom kennt kein Vorne, kein Hinten, kein Ende, keinen Anfang. Es wächst und hört auf, und wächst an einer anderen Stelle weiter, ohne dass ein Zentrum benannt werden könnte: „The rhizome is reducible neither to the One nor the multiple [… I]t is comprised not of units but of dimensions, or rather directions in motion“ (Deleuze / Guattari 2010, 21).
Mit Hilfe des Rhizom-Konzepts kann also die nonlineare Verknüpfung von Produktionsprozessen als Netzwerk als Organisationsstruktur des Making-ofs erklärt werden.
Wesentliche Eigenschaften sind hierin die Strategien der Dehierarchisierung, Heterogenität und Dezentralisierung. Bezogen auf Wissensgenerierungsprozesse lässt sich beispielsweise über Präsentationen von ‚prezi.com‘ als eine Art der Verknüpfung von Nonlinearität und Making-of nachdenken. Bei ‚Prezi‘ werden alle Folien ohne feste Abgrenzung auf einem einzigen Feld angeordnet. Mittels verschiedener Zeigetools kann wie auf einer ‚mindmap‘ navigiert werden; dabei werden Teilbereiche rotiert, gezoomt, animiert oder als Videodatei abgespielt. Prinzipiell ohne festen Anfang und Ende, ist das Wissen somit rhizomhaft organisiert, es steht frei, in welcher Reihenfolge von einem Bild, Text oder Ton zum nächsten navigiert wird und welche Wissenslogik als Netzwerk, das heterogene mediale Informationen in einer neuen Medialität verbindet, daraus entsteht. Doch anstelle einer zu erwartenden gesteigerten Realitätswahrnehmung ist die eigentliche Erfahrung das, was Becker et al. als „Rückkopplungseffekt des Medialen“ verstehen: „Die Ordnung der Repräsentation, die von einer strikten Trennung zwischen den Dingen und ihren Darstellungen ausgeht, wird empfindlich gestört, indem sich das von Medien Vermittelte selbst als medial erweist. Die substantielle Vorstellung von Wirklichkeit weicht einer funktionalen.“ (7)