Making-of
Ein Lexikon

Making-of. Ein Lexikon versammelt Texte zum Begriff Making-of. Die Online-Plattform wurde von Studierenden der Geistes- und Kulturwissenschaften initiiert. Sie widmet sich der Erforschung verschiedenster Making-of-Formate in der Gegenwartskultur und kann um neue Begriffe und Texte erweitert werden.

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Autopoiesis

Im Making-of werden Produktionsprozesse inszeniert, wobei dargestellt wird, wie etwas gemacht wurde (retrospektives Making-of), gemacht wird (simultanes Making-of) oder gemacht werden wird (prospektives Making-of). Als entscheidende Kategorie der Inszenierung des Making-ofs kann damit die Prozessualität kreativer Produktionsprozesse benannt werden.

Als ein Modell der Beschreibung spezieller Produktionsprozesse stellt sich das Konzept der Autopoiesis (moderne Bildung nach altgr. ,autos‘ für ,selbst‘ sowie ,poiein‘ für ‚schaffen‘) dar. Dieser Begriff, in den Forschungsdiskurs vor allem durch die Arbeiten der chilenischen Biologen und Neurophysiologen Humberto Maturana und Francisco Varela eingeführt (vgl. Maturana / Varela 1987 bzw. Varela et al. 1974), bezeichnet ursprünglich die Fähigkeit zur ständigen (Re-)produktion als ein zentrales Merkmal lebendiger Systeme. Diese (Re-)produktion erfolgt selbstreferentiell, aber nicht völlig unabhängig von Umwelteinflüssen, die durchaus Anpassungsprozesse innerhalb des autopoietischen Systems initiieren können: Autopoietische Systeme „kombinieren also die auf der Ebene der individuellen Strukturbildung realisierte Fähigkeit zur Anpassung an eine jeweils gegebene Umwelt mit operativer Geschlossenheit und Autonomie als wesentlichen Merkmalen ihrer Organisation bzw. Identität“ (Reinfandt 35).

Ausgehend von dieser neurobiologischen Begriffsbildung hat das Konzept der Autopoieisis bzw. autopoietischer Systeme Eingang in andere Disziplinen, so beispielsweise besonders wirkungsmächtig in die Soziologie in Form der Luhmann’schen Systemtheorie gefunden. Eine ebenfalls zentrale Rolle spielt das Konzept in Erika Fischer-Lichtes Ästhetik des Performativen, die es für die Analyse und Beschreibung kreativer Prozesse nutzbar macht. Nach Fischer-Lichte erscheinen die Prozesse einer Aufführungssituation als autopoietisch beschreibbar, da jeder, der am Ereignis der Aufführung beteiligt ist, einen gewissen Einfluss auf ihren Verlauf hat, während ihm jedoch gleichzeitig als Einzelnem die Möglichkeit der Steuerung des ‚Gesamtsystems‘ der Aufführung entzogen ist (autopoietische Feedbackschleife). Aufführungen als kreative und autopoietische Prozesse sind damit niemals vollständig losgelöst von der konkreten Aufführungssituation plan- und inszenierbar und in dieser Aufführungssituation als Ergebnis eines Zusammenwirkens verschiedenster heterogener Faktoren zu denken.

Will man die Autopoiesis kreativer Prozesse näher analysieren, erscheint dies vor allem in der Form des Making-ofs lohnenswert: Autopoietische Prozesse sind von einer Vielzahl heterogener Faktoren bedingt, deren Mit- und Gegeneinander den nonlinearen Gesamtprozessverlauf hervorbringen; dieser Verlauf ist also nur als multideterminierter denk- und damit auch beschreibbar. Mit seiner Konzentration auf die Prozessualität kreativer Abläufe erscheint das Making-of als besonders geeignetes Format, mit der die Vielzahl parallel ablaufender Mikroprozesse, die in ihrer Gesamtheit den Gesamtprozess determinieren, sichtbar gemacht, beschrieben und analysiert werden können. Ein derartiger Analyseansatz könnte beispielsweise die Beschreibung der konkreten Aufführung einer Performance in Form eines Netzwerkes leisten, das nicht nur die Intentionen des Regisseurs und die Aktionen der Performer als Konstituenten des Performanceablaufs erfasste, sondern auch die Rolle schwer planbarer Umweltbedingungen (Raumtemperatur, Wetter, Störgeräusche) bzw. das Verhalten der Zuschauer (Räuspern, Zwischenapplaus, Magenknurren) für den autopoietischen Gesamtprozess berücksichtigte. Auf diese Weise kann die prozessorientierte Perspektive des Making-ofs Einblicke in das wohl als Prozessnetzwerk zu denkende ‚Innere‘ autopoietischer Prozesse gewähren.

Quellen

Fischer-Lichte, Erika: Ästhetik des Performativen. Frankfurt/Main 2004.

Luhmann, Niklas: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. 1984. Frankfurt/Main 1987.

Maturana, Humberto / Francisco Varela: Der Baum der Erkenntnis. Die biologischen Wurzeln des menschlichen Erkennens. Bern et al. 1987.

Reinfandt, Christoph: „Autopoiesis/Autopoietisches System.” In: Metzler-Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Stuttgart et al. 2004, S. 35f.

Varela, Francisco et al: „Autopoiesis: The organization of living systems, its characterization and a model.” In: BioSystems 5.4 (1974), S. 187-196.