Das Konzept der autopoietischen Feedbackschleife entstammt den Überlegungen Erika Fischer-Lichtes zu einer Ästhetik des Performativen. Der Kern des Konzepts besagt, dass in einer Aufführungssituation jedes Verhalten eines Darstellers ein spezifisches Verhalten beim einzelnen körperlich kopräsenten Zuschauer hervorruft, das wiederum das weitere Verhalten der Darsteller und der anderen Zuschauer beeinflusst. Da somit der Verlauf einer Aufführung nicht nur von den Darstellern abhängig ist, sondern als Ergebnis von Wechselwirkungen zwischen Publikum und Performern erscheint, ist damit gerade diese traditionelle Opposition zwischen Produzenten und Rezipienten aufgehoben: Die Aufführung wird zum von allen körperlich Ko-Präsenten gemeinsam hervorgebrachten Ereignis und ist damit gleichzeitig in die Verfügungsgewalt des Einzelnen gegeben wie ihr entzogen. Die Feedbackschleife ist dabei also selbstbezüglich und sich-selbst-hervorbringend, somit autopoietisch im Sinne Humberto R. Maturanas und Francisco J. Varelas (Maturana / Varela 1987).
Für die Beobachtung kreativer Prozesse aus der Perspektive des Making-ofs liegt die Bedeutung des Konzepts der autopoietischen Feedbackschleife darin, dass mit ihm ein zentrales Merkmal des simultanen Making-ofs beschrieben werden kann, nämlich die nonlineare Netzwerkstruktur der Wechselbeziehungen zwischen allen am kreativen Gesamtprozess beteiligten Faktoren. Beim simultanen Making-of wirkt der Prozess der Prozessbeobachtung als selbst in diese Netzwerkstruktur so eingebettet, dass das hierarchische Referenzverhältnis von Prozess und Prozessbeobachtung/-inszenierung als aufgehoben erscheint: So fällt es beispielsweise beim simultanen Making-of einer Castingshow schwer, zwischen dem ästhetischen Prozess des Star-Machens und der Beobachtung bzw. medialen Inszenierung eben dieses Vorgangs im Making-of zu unterscheiden. Fischer-Lichtes Konzept der autopoietischen Feedbackschleife bietet hier einen Analyseansatz, nach dem die Gesamtheit der beteiligten Mikroprozesse als autopoietisch und damit selbstreferentiell zu betrachten wäre, was den Gesamtprozess in seinem Ablauf der Steuerung durch etwaige Inszenierungsabsichten Einzelner teilweise entzöge. Dies bedeutet indes nicht, dass das Konzept der autopoietischen Feedbackschleife die Bedeutung der Prozessinszenierung negierte: Erst in der durch Inszenierungsbemühungen geschaffenen ‚Laborsituation‘ des einzelnen Prozessablaufs können sich die autopoietischen Mechanismen der Feedbackschleife entfalten. Gerade in neuen Medienformaten ist zu beobachten, dass die Mechanismen der autopoietischen Feedbackschleife ausdrücklich inszeniert werden; dies geschieht beispielsweise bei den bereits angesprochenen Castingshows als simultanen Making-ofs auf mehreren Ebenen: So adressiert der Kandidat bei seiner Performance immer wieder die Kamera, die totalen Aufnahmen der Bühne werden oft aus der Menge des Saalpublikums vorgenommen, um dem Zuschauer vor dem Fernsehschirm das Gefühl zu geben, körperlich anwesend zu sein. Overlays mit direkter Ansprache an den Zuschauer fordern diesen auf, für seinen Wunschkandidaten anzurufen, und geben damit die Gestaltungsmacht über den weiteren Verlauf des Events mit in die Hand des Fernsehzuschauers.
Viele der von Fischer-Lichte als für die autopoietische Feedbackschleife typisch postulierten Faktoren, wie beispielsweise Rollenwechsel zwischen Produzent und Rezipient (der Zuschauer darf mitentscheiden, wie die Sendung verläuft) und die Bildung einer Gemeinschaft (der Kandidat muss seine Fans mobilisieren und auf sich einschwören), finden sich in Castingshows inszeniert.
Ähnliche Beobachtungen machen Christine Kugler und Ronald Kurt für das Fernsehformat der Polittalkshows: In ihnen muss sich der Politiker nicht nur auf die Moderatoren und das Saalpublikum einstellen, sondern über die Vermittlung der Kamera auch eine Beziehung zu den Zuschauern vor den Fernsehschirmen herstellen. Kugler und Kurt stellen richtig fest, dass diese Zuschauer durch die Entscheidung, die Sendung weiter zu verfolgen oder umzuschalten, auf dem Umweg der Quoten einen Einfluss auf die Gestaltung der Sendung gewinnen.
Dass auch bei dem Format der Daily Soaps der 1990er-Jahre das Episodenkonzept hin zur Mitgestaltung des ‚Soap-Events‘ durch den Zuschauer geöffnet wurde, haben Udo Göttlich und Jörg-Uwe Nieland beleuchtet: Die Tendenz zur Interaktivität wird von ihnen als ein Merkmal der Soaps der 1990er-Jahre genannt; dem Zuschauer wird nicht nur im Format der Cyber-Soaps im Internet Mitgestaltungsrecht eingeräumt, er kann die Stars der Serie auch in organisierten Events persönlich kennenlernen und seine Ansichten und Meinungen zum Serienverlauf artikulieren.
Angesichts dieser Ergebnisse ist Udo Göttlich zuzustimmen, der eine Fernsehsendung nicht als abgeschlossene, jederzeit wiederholbare Einheit betrachtet, sondern ihre Realisierung als ‚flow‘ begreift, der als Fluss von Ereignissen auch durch den Zuschauer – und sei es nur durch das bewusste Wählen oder Wegschalten des Programms – mitkonstituiert wird. Diese Feststellung gilt natürlich umso mehr auch für kreative Prozesse, die im Internet ablaufen, da die immer weiter fortschreitende Vernetzung und Einbindung verschiedenster User in Zeiten von facebook, Twitter und Instagram geradezu als Konstituens dieses Mediums betrachtet werden kann.
Unter Berücksichtigung dieser Entwicklungen in den neuen Medien scheint es gerechtfertigt, das Konzept der autopoietischen Feedbackschleife, das von Fischer-Lichte ursprünglich nur auf den Fall der leiblichen Ko-Präsenz aller an der Aufführung Beteiligten bezogen wird, auch für die Analyse anderer simultaner Making-Ofs heranzuziehen: Fischer-Lichtes ursprüngliche Vorstellung der leiblichen Ko-Präsenz basiert auf einem Raumverständnis, das angesichts der Inszenier- und Vernetzbarkeit von Räumen durch die neuen Medien zunehmend als unzureichend erscheinen muss, was bereits zur Ergänzung des Modells durch Fischer-Lichte selbst geführt hat. So ersetzen bei der Vermittlung der autopoietischen Feedbackschleife durch die Massenmedien medial inszenierte Präsenzeffekte die tatsächliche leibliche Ko-Präsenz aller am Prozess Beteiligten (vgl. Fischer-Lichte 2005, 151f.).