Making-of
Ein Lexikon

Making-of. Ein Lexikon versammelt Texte zum Begriff Making-of. Die Online-Plattform wurde von Studierenden der Geistes- und Kulturwissenschaften initiiert. Sie widmet sich der Erforschung verschiedenster Making-of-Formate in der Gegenwartskultur und kann um neue Begriffe und Texte erweitert werden.

weiterlesen

Castingshows

Der Begriff der Castingshow bezeichnet in seiner aktuellen Verwendung Castingformate, die sich seit der Jahrtausendwende vor allem im Privatfernsehen etablierten. Den Anfang dieser Reihe von Formaten bildete die Show Popstars (2000), die heute bekanntesten und in der Forschung am breitesten diskutierten Castingshows dieser Prägung sind Deutschland sucht den Superstar (DSDS, seit 2002) und Germany’s next Topmodel (GNTM, seit 2006). Für Joachim von Gottberg wurde der Durchbruch dieses Showformats durch die Talkshows der 1990er-Jahre vorbereitet, als deren herausragendes und im Bezug auf die Castingshows zukunftsweisendstes Merkmal er die Tatsache anführt, dass mit ihnen jeder bisherige Fernsehzuschauer selbst zum potentiellen (Haupt-)Darsteller vor der Kamera wurde (vgl. 9). Die große Gemeinsamkeit aller hier als Castingshows zusammengefassten Fernsehformate liegt also darin, dass ihre Kandidaten keine bereits prominenten Talente sind, sondern, im Gegenteil, der Prozess des Star-Werdens des ‚einfachen Menschen‘ unter Anteilnahme eines Millionenpublikums erzählt wird.

Gerade in der Inszenierung des Prozesses des Star-Werdens liegt auch das Interesse begründet, das eine Kulturwissenschaft aus der Perspektive des Making-ofs diesem Showformat entgegenbringt: Castingshows sind Beispiel eines simultanen Making-ofs, das den Prozess der Formung eines Prominenten nicht aus der Retrospektive nacherzählt, sondern bei dem die Erzählung dieses Prozesses mit seiner Inszenierung zusammenfällt. Die Hierarchie des Referenzverhältnisses zwischen Making-of und Bezugsprozess erscheint als aufgehoben.

Interessant ist dabei, dass das simultane Making-of der Castingshow nicht nur das ‚Gemacht-Werden‘ eines Stars vorführt – der Fernsehzuschauer erhält je nach Dramaturgie der spezifischen Show auch die Möglichkeit, das Weiterkommen der Kandidaten und damit den gesamten Prozess des Star-Werdens selbst mitzugestalten, beispielsweise durch Online- oder Telefonvoting. In Castingshows wird somit die passive Prozessbeobachtung durch den Zuschauer durch aktive Prozessmitgestaltung abgelöst, was die zentrale Rolle der Kategorie der Inszenierung in diesem Showformat unterstreicht. Dabei geht es nicht nur um die Inszenierung der Lebensgeschichte und des Star-Werdens der Kandidaten, sondern auch um den möglichst engen Einbezug des Millionenpublikums vor den Fernsehgeräten. Achim Hackenberg und Olaf Selg weisen darauf hin, dass sich der Kandidat gemäß den Inszenierungsbemühungen der Verantwortlichen meist nicht nur auf einer, sondern auf mehreren Bühnen zu bewähren hat (vgl. 132f.): So muss der kommende Superstar bei DSDS beispielsweise in den Liveshows während seiner Performance nicht nur das Saalpublikum ansprechen, sondern er singt auch vor dem Tisch der drei Studiojuroren und gleichzeitig vor Kameras, die seinen Auftritt für ein Millionenpublikum übertragen. Wenn der Kandidat auch die Beifalls- oder Kritikäußerungen von Saalpublikum und Jury noch während bzw. kurz nach seiner Performance erfährt, sind die vom Fernsehzuschauer über das Telefonvoting mitgeteilten Reaktionen auf den Auftritt um einiges entscheidender für sein Weiterkommen. In Anlehnung an Erika-Fischer Lichte könnte hier also von einer in dreifacher Hinsicht inszenierten autopoietischen Feedbackschleife gesprochen werden, deren Besonderheit vor allem darin besteht, den körperlich nicht anwesenden Fernsehzuschauern doch direkte Einflussmöglichkeiten auf das Ereignis des simultanen Making-ofs der Castingshow einzuräumen – freilich nur auf die von den Produzenten genau vorbestimmte Art und Weise.

Das Format der Castingshows erscheint folglich in zweifacher Hinsicht als typischer Exponent der Gegenwartskultur: Zum ersten inszenieren Castingshows als simultane Making-ofs den Gesamtprozess des Star-Machens als Netzwerk von parallelen und gegenläufigen Prozessen, die sich kaum mehr hierarchisieren lassen: Das tatsächliche Gesangstalent des Kandidaten erscheint dabei als für den letztlichen Erfolg beispielsweise kaum ausschlaggebender als Lebensgeschichte, Sozialverhalten vor der Kamera und Zuschauersympathien. Gerade die Tatsache, dass der Prozess des Star-Machens bis zum Schluss offen ist, liefert dabei die Möglichkeit, auch das Scheitern von Kandidaten darzustellen. Zum zweiten wird das Format aber auch dem scheinbar immer größer werdenden Wunsch der Zielgruppe nach Prozessbeteiligung gerecht: Die Kür des oder der Besten wird nicht nur vorgeführt, sondern vom Fernsehzuschauer ganz entschieden mitbestimmt; Castingshows werden somit in ihrer Mischung der Elemente von Casting-, Soap- und ‚Mitmachfernseh‘-Formaten zu Exponenten „performative[n] Realitätsfernsehen[s]“ (Keppler 8).

Der Einbezug des Zuschauers durch die Dramaturgie der Castingshows geht dabei oft mit einem Medienwechsel einher, der immer mehr auf das Internet ausgreift: So konnten während der neunten Staffel von DSDS Zuschauer die Performance der Kandidaten ‚live‘ online auf der RTL-Fanbase-Seite kommentieren – einige dieser Kommentare wurden dann ihrerseits von den Moderatoren live in der Sendung vorgelesen. „Der Trend geht in Richtung Internet – nicht einfach im Sinne eines neuen Ausstrahlungskanals […], sondern im Sinne des interaktiven Hybridfernsehens“ (Gräßer / Riffi 28). Ausdrücklich stellt auch Joachim von Gottberg das Gesamtphänomen ‚Castingshow‘ nicht nur hinsichtlich der Beteiligung der Zuschauer, sondern auch bezüglich der Bereitschaft zur Bewerbung von Seiten der Kandidaten in den Zusammenhang der Entwicklung sozialer (Online-)Netzwerke: „Die öffentliche Wahrnehmbarkeit wird offenbar als wichtiger empfunden als das Risiko, sich zu blamieren oder Persönliches preiszugeben“ (11). Eng mit dem Phänomen der Castingshows scheint also ein Bedürfnis der modernen Gesellschaft in Verbindung zu stehen, das vom Gestus des Zeigens bestimmt wird. Kultur des Machens bedeutet nicht nur, die aktive Teilhabe an Produktionsprozessen einzufordern, sondern ist auch mit dem Wunsch verbunden, in diesem Machen möglichst öffentlich wahrgenommen zu werden: „Ich will stattfinden! – so lautet die Kurzformel der Casting-Gesellschaft“ (Pörksen / Krischke 59).

Quellen

Fischer-Lichte, Erika: Ästhetik des Performativen. Frankfurt/Main 2004.

Gottberg, Joachim von: „Einleitung“. In: Daniel Hajok et al. (Hg.): Auf Augenhöhe? Rezeption von Castingshows und Coachingsendungen. Konstanz 2012, S. 9-14.

Gräßer, Lars / Aycha Riffi: „‚The (Casting-) Show must Go On…‘. Ein Fernsehformat in der Diskussion.“ In: Daniel Hajok et al. (Hg.): Auf Augenhöhe? Rezeption von Castingshows und Coachingsendungen. Konstanz 2012, S. 17-31.

Hackenberg, Achim / Olaf Selg: „Mehr als eine Live-Bühne – Castingshow-Formate als mediale Bedeutungsangebote für junge Zuschauer.“ In: Daniel Hajok et al. (Hg.): Auf Augenhöhe? Rezeption von Castingshows und Coachingsendungen. Konstanz 2012, S. 131-144.

Keppler, Angela: Wirklicher als die Wirklichkeit? Das neue Realitätsprinzip der Fernsehunterhaltung. Frankfurt/Main 1994.

Pörksen, Bernhard / Wolfgang Krischke: „Die Gesellschaft der Beachtungsexzesse.“ In: Daniel Hajok et al. (Hg.): Auf Augenhöhe? Rezeption von Castingshows und Coachingsendungen. Konstanz 2012, S. 57-70.