Making-of
Ein Lexikon

Making-of. Ein Lexikon versammelt Texte zum Begriff Making-of. Die Online-Plattform wurde von Studierenden der Geistes- und Kulturwissenschaften initiiert. Sie widmet sich der Erforschung verschiedenster Making-of-Formate in der Gegenwartskultur und kann um neue Begriffe und Texte erweitert werden.

weiterlesen

Produktionsöffentlichkeit

Ermöglicht ein simultanes Making-of zeitgleich zur Inszenierung seines Produktionsprozesses seine simultane Rezeption, so generiert es einen spezifischen Kommunikationszusammenhang, der als Produktionsöffentlichkeit beschrieben werden kann.

Der ursprünglich von Alexander Kluge und Oskar Negt 1972 in Öffentlichkeit und Erfahrung eingeführte und 1981 in Geschichte und Eigensinn erweiterte Begriff der Produktionsöffentlichkeit wird von Dirk Baecker aufgegriffen: „Produktionsöffentlichkeit ist eine Öffentlichkeit, die sich, orientiert an deren Darstellung, einen Produktionsprozess noch einmal genauer anschaut.“ (143). Produktionsöffentlichkeiten sind Produktionsbereiche bestimmter Wirklichkeiten, die sich aus Aushandlungsprozessen zwischen Produktion und Konsum bestimmter Wirklichkeiten sowie Abgrenzungs- und Vergleichsprozessen zu anderen Produktionsbereichen von Wirklichkeit ergeben.

Die Produktion und gleichzeitige Rezeption bestimmter Wirklichkeiten unterscheidet in Anlehnung an Baecker als Produktionsöffentlichkeiten charakterisierte simultane Making-ofs von klassischen Making-of-Formaten, die in einem abgeschlossenen Werk einen Referenzprozess als Produktionsprozess beschreiben: Die Produktion einer Theaterinszenierung wird beispielsweise im Medium des Films als ein chronologischer Prozess erzählt, der in der Filmbetrachtung retrospektiv rezipiert wird. Referenzprozess und Produktionsprozess des Making-ofs sind dann bereits abgeschlossen.

Produktionsöffentlichkeiten funktionieren anders: Der nonlineare Produktionsprozess wird von den Rezipienten durch eine Interaktion mit den Produzentinnen aufgrund einer (oftmals medial) vermittelten autopoietischen Feedbackschleife mit hervorgebracht und gleichzeitig als Making-of konsumiert. Es ist eine Aushandlung bestimmter Wirklichkeiten „zwischen Produktion und Konsum“ (Baecker 143), die Öffentlichkeit produziert. Diese ist nicht mehr als repräsentative, singuläre Gesamtöffentlichkeit zu verstehen, sondern untergliedert sich in Partialöffentlichkeiten, die sich durch ständige neue und weiterführende Verlinkungen in nonlinearen Netzwerkstrukturen organisieren und sich als Ko-Existenzen verschiedener Produktionsöffentlichkeiten ausbilden. Sie sind in ihrer Organisation in einer ständigen Neukonfiguration begriffen. Die Benutzerinnen sind sowohl Rezipienten als auch Ko-Produzenten dieser Öffentlichkeiten und gestalten auf diese Weise sowohl die Binnenorganisation einer Produktionsöffentlichkeit als Oszillieren dieser beiden Rollen (autopoietische Feedbackschleife) als auch die Außenorganisation in Netzwerkstrukturen durch permanente (Neu-)Verlinkung, die mit einem Wechsel zwischen sich abgrenzenden Produktionsöffentlichkeiten einhergeht und von Baecker als Switch bezeichnet wird.

Als Sonderfall in der Binnenorganisation einer Produktionsöffentlichkeit kann eine klassische Konstellation von Produzent und Rezipient betrachtet werden, bei der sich die Aktivität des Rezipienten auf die bloße Lektüre des simultanen Making-ofs bezieht. Dies kann beispielsweise bei Produktionstagebüchern oder anderen simultanen Berichten eines Ereignisprozesses (z.B. eines Tagebuchs einer Reise oder einer Konzerttournee) eintreten. Dabei kann die Rolle des Rezipienten von Seiten der Produzenten so festgelegt oder aber vom Rezipienten so gewollt sein, dass er sich selbst weniger ko-produzierend am Produktions- und Making-of-Prozess beteiligt als diese zu rezipieren. Durch die simultane Rezeption des Produktions- und Making-of-Prozesses könnte aber der Rezipient jederzeit Mittel und Wege finden, in den Produktionsprozess innerhalb dieser Produktionsöffentlichkeit einzugreifen. Wird eine Partizipation des Rezipienten am Produktions- und Making-of-Prozess ermöglicht und beteiligt er sich aktiv an dessen Hervorbringung, so kommt es zu einer Neukonfiguration der Produktionsöffentlichkeit.

Eine solche Organisation von Produktionsöffentlichkeit ist eng verbunden mit der Entwicklung des Web 2.0 sowie Plattformen wie facebook, YouTube und anderen Online-Portalen, die verschiedene Communities ausbilden und deren Inhalt von ihren Benutzern durch Produktion und Rezeption (z.B. durch Hochladen, Teilen, Verlinken, Liken eigener oder fremder Einträge) generiert wird. Die Ko-Produktion kann hierbei durch die Produzenten inszeniert werden, wie dies beispielsweise bei den in Castingshows üblichen Telefon- und Internet-Votings der Fall ist. Produktionsöffentlichkeiten können aber auch eine Eigendynamik erhalten, wie dies beispielsweise bei der Entstehung von YouTube-Stars oder aber auch beim ‚Viral Marketing‘ der Fall ist, das die Distribution von Informationen in kürzester Zeit durch die Verbreitung innerhalb einer Produktionsöffentlichkeit sozialer Medien nutzt.

Das Publikum, das keinen Anspruch auf eine gesamtgesellschaftliche Repräsentation stellt, sieht sich selbst in den gegenwärtigen Produktionsöffentlichkeiten beim Produzieren immer neuer Konfigurationen zu, die sich als Making-ofs in Echtzeit abspielen.

Quellen

Baecker, Dirk: „Der Ort des Theaters in der nächsten Gesellschaft. Die Struktur des Switches und die Kultur des Systems.“ In: Barbara Mundel et al. (Hg.): Heart of the City. Recherchen zum Stadttheater der Zukunft. Berlin 2011, S. 142-148.