Making-of
Ein Lexikon

Making-of. Ein Lexikon versammelt Texte zum Begriff Making-of. Die Online-Plattform wurde von Studierenden der Geistes- und Kulturwissenschaften initiiert. Sie widmet sich der Erforschung verschiedenster Making-of-Formate in der Gegenwartskultur und kann um neue Begriffe und Texte erweitert werden.

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    Antragsprosa

    Bezeichnung für die besondere Rhetorik und Struktur von Antragstexten, die sich durch stereotype Floskeln und Formulierungen auszeichnet. In wissenschaftlichen und künstlerischen Kontexten meint Antragsprosa im pejorativen Sinne das wortgewaltige Beschreiben von Nichtigkeiten, die obligatorische Nennung oder Vermeidung von Schlüsselwörtern fachlicher Diskurse sowie die Einhaltung formaler Vorgaben der Antragsstellung. Antragsprosa wird damit zum Merkmal der in wissenschaftlichen und künstlerischen Kontexten um sich greifenden Kultur des Projektemachens, die die Planung, Durchführung und Finanzierung einzelner Projekte an die Abfassung und erfolgreiche Begutachtung von Anträgen bindet.

    Insofern Anträge den geplanten Ablauf eines wissenschaftlichen oder künstlerischen Prozesses entwerfen, können sie als prospektive Making-ofs gelten. Antragsprosa wäre demnach als Inszenierungsmittel zu begreifen, durch das bestimmte ideale Vorstellungen von wissenschaftlichen oder künstlerischen Produktionsprozessen und den an ihnen beteiligten Akteuren in Szene gesetzt werden. Stilmerkmale von Antragsprosa sind: Teleologie, Rechtfertigung und Planbarkeit von Produktionsprozessen sowie die Selbstinszenierung der beteiligten Personen als Mitglieder einer wissenschaftlichen oder kulturellen Gemeinschaft.

    Anträge geben eine telelogische Struktur vor, die nicht zuletzt durch die explizite Aufstellung von Zeitplänen zum Ausdruck kommt. Sie verheißen Erkenntnis, indem sie das Ziel eines Vorhabens benennen, die konkreten Schritte und Maßnahmen zu dessen Erreichung beschreiben und so Ergebnisse in Aussicht stellen. Während es das Ziel des Projektes ist, künstlerisches oder wissenschaftliches Wissen zu generieren, bleibt es das Ziel des Antrags, dieses Vorhaben zu legitimieren und die Finanzierung desselben sicher zu stellen.

    Anträge skizzieren eine mögliche Zukunft und suggerieren als prospektive Making-ofs die Kenntnis darüber, wie diese gemacht worden sein wird. Antragsprosa behauptet damit die Planbarkeit und Berechenbarkeit eines künstlerischen oder wissenschaftlichen Projekts unter möglichst weitgehendem Ausschluss der Kontingenz dieser Prozesse. Dass wissenschaftliche oder künstlerische Ergebnisse dem Zufall überlassen sein könnten (,serendipity‘-Phänomene), muss durch Antragsprosa ebenso kategorisch ausgeschlossen werden wie die Möglichkeit, Ausprobieren, Tüfteln oder Basteln als adäquate Techniken der Wissenserzeugung zu propagieren. Gegenüber der künstlerischen und wissenschaftlichen Praxis wird in Antragsprosa ein konzeptgeleitetes Vorgehen präferiert. Zu den Strategien von Antragsprosa gehört ferner, dass das Versprechen und die Voraussage neuer Erkenntnisse nur plausibel sind, wenn zugleich der aktuelle Zustand des Nichtwissens in Szene gesetzt wird. Antragssteller haben nachzuweisen, dass sie durch eigene Vorarbeiten ein Thema beherrschen und prognostizieren können, wann konkrete Ergebnisse zu erwarten sind, ohne dass sie dabei den Eindruck erwecken dürfen, dass ihnen die Ergebnisse unter Umständen schon bekannt sind. Auch wenn die Reputation der Antragssteller für erfolgreiche Begutachtung eines Antrags zentral ist, gehört es zu den Stilmitteln von Antragsprosa, auf die Verwendung der 1. Person Singular zu verzichten. Während in filmischen Making-ofs die Autorschaft Einzelner bzw. deren individuelle Verstrickungen in einen Prozess gefeiert oder mythologisch aufgeladen werden, pflegt Antragsprosa insbesondere im Kontext der Wissenschaften eine Form des Understatements, welche die Individualität und Kreativität einzelner Personen mit neutralen Formulierungen kaschiert. Der Satz: „Ich bin ein kluger und origineller Kopf und brauche drei Jahre Zeit, um in Ruhe über ein Thema nachzudenken, ohne dass ich wüsste, worauf es hinauslaufen könnte,“ wäre im Rahmen eines Antrags vielleicht ehrlich, aber sicher nicht erfolgversprechend. Dieses Self-Fashioning ist Teil des Wissenschaftsbetriebs, der zwar fordert, dass man in aller Munde zu sein habe, dabei aber selbst nie „Ich“ sagen bzw. schreiben darf.

    Komplementär zum Antrag als Verheißung steht der Bericht als dessen Erfüllung. Die Zukunfts- und Fortschrittsgläubigkeit der Kultur wird dadurch deutlich, dass der Bericht weniger emphatisch behandelt wird. Der Begriff „Berichtsprosa“ findet kaum Verwendung, und der Rezeption von Berichten in Begutachtungs- und Akkreditierungsverfahren wird weniger Aufmerksamkeit geschenkt als der Lektüre der häufig auch umfangreicheren Anträge.

    Die prinzipielle Offenheit von Forschungsprozessen erscheint durch Antragsprosa reguliert und diszipliniert. Damit wird zugleich eine bestimmte Vorstellung von Innovativität inszeniert, deren Merkmal die Verheißung einer bereits gebändigten Zukunft ist.

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    Ateliergespräch

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    Aufführung

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    Authentizität

    Der Begriff der Authentizität spielt im Selbstverständnis vieler Making-ofs eine entscheidende Rolle, versprechen sie doch oftmals eine Offenlegung des ‚echten‘, ‚unverfälschten‘, eben des authentischen Produktionsprozesses. Die verwickelte Geschichte des Begriffs (gr. ,authentēs‘: Ausführer, Selbstherr) bis zum 19. Jahrhundert belegt sein Auftreten in den verschiedensten Diskursen (vgl. Kalisch 32-43). Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass der aus der griechischen Antike vermittelte Begriff des Authentischen auch noch lange nach seinem ersten Auftreten in der deutschen Sprache als Lehnwort im 16. Jahrhundert (vgl. Hattendorf 63) vor allem eng mit dem des Urhebers und damit oft auch dessen Autorität verknüpft bleibt, sei es in Fragen der Authentizität von Dokumenten oder der Bibelhermeneutik. Erst seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts beschreibt er in der noch heute vorherrschenden eingangs aufgerufenen Wortsemantik eine Vorstellung des ‚Echten‘, ‚Unverfälschten‘, ‚Ehrlichen‘, ‚Natürlichen‘ (vgl. Knaller 2006, 19). Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts tritt der Begriff des Authentischen nicht nur in verschiedensten geisteswissenschaftlichen Disziplinen beinahe ubiquitär auf – auch in der Alltagskultur ist er geradezu zu einem „catchword“ (Knaller 2007, 7) der Werbetexter und Personal Coaches avanciert.

    Wohl auch weil der Begriff bei vielen der großen Theoretiker des 20. Jahrhunderts – von Adorno (127-130) über Luhmann bis Habermas (vgl. Knaller / Müller 9f.) – abweichend besetzt ist, wird er heute in verschiedenster Weise, sei es beispielsweise empirisch (Beurteilung der ‚Echtheit‘ eines Werks von Picasso), interpretativ (Beurteilung des Auftretens eines Politikers im Fernsehen) oder normativ (im Sinne einer eigenen Vorstellung davon, wie man sich ‚natürlich‘ verhält), verwendet (vgl. ebd. 8).

    Insofern Making-ofs nicht nur eine Prozessbeobachtung, sondern geradezu eine Prozessoffenlegung zum Ziel haben, versprechen sie meist auch eine authentische Beschreibung dieses Produktionsprozesses: So darf der Zuschauer beim Making-of des Films Jurassic Park scheinbar hinter die Kulissen schauen und die Dinosaurier nicht als wiederauferstandene Urzeitmonster, sondern in ihrer ‚echten‘ Form, nämlich als raffinierte und mit hohem Aufwand produzierte Attrappen, kennenlernen. Doch Authentizität im filmischen Making-of erschöpft sich nicht in der Offenlegung mechanischer Produktionsprozesse: Oft wird sie auf einer weiteren Ebene auch in Interviews mit den Darstellern thematisiert, wenn beispielsweise eine Parallele zwischen dem Lebensweg der Hauptdarstellerin und der Entwicklung ihrer Rolle im Film aufgezeigt wird. Ihr Auftreten im Film, so die Botschaft der Making-of-Narration, ist damit von Seiten der Schauspielerinnen und Schauspieler kein ‚Schlüpfen in eine fremde Rolle‘, sondern das Ausspielen eigener Lebenserfahrungen in der ‚Rolle ihres Lebens‘: Als authentisch gilt hier also das, was nicht erfunden oder durch Rollenarbeit aufgebaut werden muss, sondern was der Schauspieler aus seinem eigenen, echten Leben direkt in die Rolle einfließen lässt. Ein ganz ähnlicher Authentizitätsbegriff lässt sich auch in vielen Castingshows finden: Ein Kandidat ist dann authentisch, wenn er ‚bodenständig‘ erscheint, das heißt sich im Prozess des Star-Werdens so gibt, wie er bereits vorher war. Authentizität in Castingshows erschöpft sich also nicht in dem Versprechen, ganz ‚ungeschminkt‘ zu zeigen, wie man ein Star wird, sondern spielt auch im Zusammenhang mit den Kandidaten eine Rolle, die meist den typischen Menschen von der Straße darstellen sollen: Echt, natürlich und vom Starruhm noch unverdorben müssen die Bewerberinnen sein, gerade der Gegensatz zwischen wachsender Prominenz und dem Versuch des Aufrechterhaltens der eigenen Bodenständigkeit bildet nicht selten einen Spannungsmoment derartiger Shows.

    Gerade im letzten Beispiel zeigt sich jedoch sehr deutlich, dass es zunächst paradox wirkt, im Zusammenhang mit Making-ofs von Authentizität zu sprechen: Sie beobachten Prozesse nicht nur, sondern inszenieren sie auch. Dass der Kandidat bei Deutschland sucht den Superstar bodenständig, echt und damit authentisch ist, wird dem Zuschauer durch oftmals gestellte Einspielfilme nähergebracht, die den Bewerber beispielsweise bei der Ausübung seines Berufes oder im Kreis seiner Freunde zeigen. Die von Making-ofs versprochene Offenlegung von Produktionsprozessen ist damit grundsätzlich eine inszenierte, was zunächst als größtmöglicher Gegensatz zur Forderung nach Authentizität als Echtheit, Natürlichkeit und Wahrhaftigkeit erscheint.

    Angesichts dieser Erkenntnis lässt sich aber die Frage stellen, ob Authentizität und Inszenierung tatsächlich Antonyme darstellen oder ob nicht, wie beispielsweise Erika Fischer-Lichte nahelegt, jede Form von wahrnehmbarer Authentizität notwendigerweise inszeniert ist: „Denn Inszenierung produziert nicht Schein, sondern läßt etwas als gegenwärtig in Erscheinung treten“ (Fischer-Lichte 22). Mit dieser These korrespondieren Beobachtungen, die zeigen, dass oftmals gerade das, was dem Betrachter bzw. Gegenüber als besonders authentisch erscheint, Produkt sorgfältigster Inszenierung ist, sei es beispielsweise der Englische Garten als Sinnbild für die sich völlig selbst überlassene Natur oder die scheinbar so frei fließenden, ‚gefühlsechten‘, aber eben doch genau konstruierten Verse der Hymnen in der Dichtung des Sturm und Drang.

    Die Annahme der Inszenierungsbedürftigkeit alles Authentischen lässt den Eindruck von Authentizität beim Zuschauer folglich als Vermittlungsziel vieler Making-of-Formate erscheinen, zu dessen Erreichung verschiedenste Strategien der Inszenierung Einsatz finden.

    Adorno, Theodor W.: Noten zur Literatur, Bd. 2. 1961. Frankfurt/Main 1973.

    Fischer-Lichte, Erika: „Theatralität und Inszenierung.“ In: Erika Fischer-Lichte et al. (Hg.): Inszenierung von Authentizität. Tübingen 2007, S. 9-28.

    Hattendorf, Manfred: Dokumentarfilm und Authentizität. Ästhetik und Pragmatik einer Gattung. Konstanz 1999.

    Kalisch, Eleonore: „Aspekte einer Begriffs- und Problemgeschichte von Authentizität und Darstellung.“ In: Erika Fischer-Lichte et al. (Hg.): Inszenierung von Authentizität. Tübingen 2007, S. 31-44.

    Knaller, Susanne / Harro Müller: „Einleitung.“ In: Dies. (Hg.): Authentizität. Diskussion eines ästhetischen Begriffs. München 2006, S. 7-16.

    Knaller, Susanne: „Genealogie des ästhetischen Authentizitätsbegriffs.“ In: Dies. / Harro Müller (Hg.): Authentizität. Diskussion eines ästhetischen Begriffs. München 2006, S. 17-35.

    Knaller, Susanne: Ein Wort aus der Fremde. Geschichte und Theorie des Begriffs Authentizität. Heidelberg 2007.

    The Making of ,Jurassic Park‘. USA 1995, Regie: John Schultz.

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    Autopoiesis

    Im Making-of werden Produktionsprozesse inszeniert, wobei dargestellt wird, wie etwas gemacht wurde (retrospektives Making-of), gemacht wird (simultanes Making-of) oder gemacht werden wird (prospektives Making-of). Als entscheidende Kategorie der Inszenierung des Making-ofs kann damit die Prozessualität kreativer Produktionsprozesse benannt werden.

    Als ein Modell der Beschreibung spezieller Produktionsprozesse stellt sich das Konzept der Autopoiesis (moderne Bildung nach altgr. ,autos‘ für ,selbst‘ sowie ,poiein‘ für ‚schaffen‘) dar. Dieser Begriff, in den Forschungsdiskurs vor allem durch die Arbeiten der chilenischen Biologen und Neurophysiologen Humberto Maturana und Francisco Varela eingeführt (vgl. Maturana / Varela 1987 bzw. Varela et al. 1974), bezeichnet ursprünglich die Fähigkeit zur ständigen (Re-)produktion als ein zentrales Merkmal lebendiger Systeme. Diese (Re-)produktion erfolgt selbstreferentiell, aber nicht völlig unabhängig von Umwelteinflüssen, die durchaus Anpassungsprozesse innerhalb des autopoietischen Systems initiieren können: Autopoietische Systeme „kombinieren also die auf der Ebene der individuellen Strukturbildung realisierte Fähigkeit zur Anpassung an eine jeweils gegebene Umwelt mit operativer Geschlossenheit und Autonomie als wesentlichen Merkmalen ihrer Organisation bzw. Identität“ (Reinfandt 35).

    Ausgehend von dieser neurobiologischen Begriffsbildung hat das Konzept der Autopoieisis bzw. autopoietischer Systeme Eingang in andere Disziplinen, so beispielsweise besonders wirkungsmächtig in die Soziologie in Form der Luhmann’schen Systemtheorie gefunden. Eine ebenfalls zentrale Rolle spielt das Konzept in Erika Fischer-Lichtes Ästhetik des Performativen, die es für die Analyse und Beschreibung kreativer Prozesse nutzbar macht. Nach Fischer-Lichte erscheinen die Prozesse einer Aufführungssituation als autopoietisch beschreibbar, da jeder, der am Ereignis der Aufführung beteiligt ist, einen gewissen Einfluss auf ihren Verlauf hat, während ihm jedoch gleichzeitig als Einzelnem die Möglichkeit der Steuerung des ‚Gesamtsystems‘ der Aufführung entzogen ist (autopoietische Feedbackschleife). Aufführungen als kreative und autopoietische Prozesse sind damit niemals vollständig losgelöst von der konkreten Aufführungssituation plan- und inszenierbar und in dieser Aufführungssituation als Ergebnis eines Zusammenwirkens verschiedenster heterogener Faktoren zu denken.

    Will man die Autopoiesis kreativer Prozesse näher analysieren, erscheint dies vor allem in der Form des Making-ofs lohnenswert: Autopoietische Prozesse sind von einer Vielzahl heterogener Faktoren bedingt, deren Mit- und Gegeneinander den nonlinearen Gesamtprozessverlauf hervorbringen; dieser Verlauf ist also nur als multideterminierter denk- und damit auch beschreibbar. Mit seiner Konzentration auf die Prozessualität kreativer Abläufe erscheint das Making-of als besonders geeignetes Format, mit der die Vielzahl parallel ablaufender Mikroprozesse, die in ihrer Gesamtheit den Gesamtprozess determinieren, sichtbar gemacht, beschrieben und analysiert werden können. Ein derartiger Analyseansatz könnte beispielsweise die Beschreibung der konkreten Aufführung einer Performance in Form eines Netzwerkes leisten, das nicht nur die Intentionen des Regisseurs und die Aktionen der Performer als Konstituenten des Performanceablaufs erfasste, sondern auch die Rolle schwer planbarer Umweltbedingungen (Raumtemperatur, Wetter, Störgeräusche) bzw. das Verhalten der Zuschauer (Räuspern, Zwischenapplaus, Magenknurren) für den autopoietischen Gesamtprozess berücksichtigte. Auf diese Weise kann die prozessorientierte Perspektive des Making-ofs Einblicke in das wohl als Prozessnetzwerk zu denkende ‚Innere‘ autopoietischer Prozesse gewähren.

    Fischer-Lichte, Erika: Ästhetik des Performativen. Frankfurt/Main 2004.

    Luhmann, Niklas: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. 1984. Frankfurt/Main 1987.

    Maturana, Humberto / Francisco Varela: Der Baum der Erkenntnis. Die biologischen Wurzeln des menschlichen Erkennens. Bern et al. 1987.

    Reinfandt, Christoph: „Autopoiesis/Autopoietisches System.” In: Metzler-Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Stuttgart et al. 2004, S. 35f.

    Varela, Francisco et al: „Autopoiesis: The organization of living systems, its characterization and a model.” In: BioSystems 5.4 (1974), S. 187-196.

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    Autopoietische Feedbackschleife

    Das Konzept der autopoietischen Feedbackschleife entstammt den Überlegungen Erika Fischer-Lichtes zu einer Ästhetik des Performativen. Der Kern des Konzepts besagt, dass in einer Aufführungssituation jedes Verhalten eines Darstellers ein spezifisches Verhalten beim einzelnen körperlich kopräsenten Zuschauer hervorruft, das wiederum das weitere Verhalten der Darsteller und der anderen Zuschauer beeinflusst. Da somit der Verlauf einer Aufführung nicht nur von den Darstellern abhängig ist, sondern als Ergebnis von Wechselwirkungen zwischen Publikum und Performern erscheint, ist damit gerade diese traditionelle Opposition zwischen Produzenten und Rezipienten aufgehoben: Die Aufführung wird zum von allen körperlich Ko-Präsenten gemeinsam hervorgebrachten Ereignis und ist damit gleichzeitig in die Verfügungsgewalt des Einzelnen gegeben wie ihr entzogen. Die Feedbackschleife ist dabei also selbstbezüglich und sich-selbst-hervorbringend, somit autopoietisch im Sinne Humberto R. Maturanas und Francisco J. Varelas (Maturana / Varela 1987).

    Für die Beobachtung kreativer Prozesse aus der Perspektive des Making-ofs liegt die Bedeutung des Konzepts der autopoietischen Feedbackschleife darin, dass mit ihm ein zentrales Merkmal des simultanen Making-ofs beschrieben werden kann, nämlich die nonlineare Netzwerkstruktur der Wechselbeziehungen zwischen allen am kreativen Gesamtprozess beteiligten Faktoren. Beim simultanen Making-of wirkt der Prozess der Prozessbeobachtung als selbst in diese Netzwerkstruktur so eingebettet, dass das hierarchische Referenzverhältnis von Prozess und Prozessbeobachtung/-inszenierung als aufgehoben erscheint: So fällt es beispielsweise beim simultanen Making-of einer Castingshow schwer, zwischen dem ästhetischen Prozess des Star-Machens und der Beobachtung bzw. medialen Inszenierung eben dieses Vorgangs im Making-of zu unterscheiden. Fischer-Lichtes Konzept der autopoietischen Feedbackschleife bietet hier einen Analyseansatz, nach dem die Gesamtheit der beteiligten Mikroprozesse als autopoietisch und damit selbstreferentiell zu betrachten wäre, was den Gesamtprozess in seinem Ablauf der Steuerung durch etwaige Inszenierungsabsichten Einzelner teilweise entzöge. Dies bedeutet indes nicht, dass das Konzept der autopoietischen Feedbackschleife die Bedeutung der Prozessinszenierung negierte: Erst in der durch Inszenierungsbemühungen geschaffenen ‚Laborsituation‘ des einzelnen Prozessablaufs können sich die autopoietischen Mechanismen der Feedbackschleife entfalten. Gerade in neuen Medienformaten ist zu beobachten, dass die Mechanismen der autopoietischen Feedbackschleife ausdrücklich inszeniert werden; dies geschieht beispielsweise bei den bereits angesprochenen Castingshows als simultanen Making-ofs auf mehreren Ebenen: So adressiert der Kandidat bei seiner Performance immer wieder die Kamera, die totalen Aufnahmen der Bühne werden oft aus der Menge des Saalpublikums vorgenommen, um dem Zuschauer vor dem Fernsehschirm das Gefühl zu geben, körperlich anwesend zu sein. Overlays mit direkter Ansprache an den Zuschauer fordern diesen auf, für seinen Wunschkandidaten anzurufen, und geben damit die Gestaltungsmacht über den weiteren Verlauf des Events mit in die Hand des Fernsehzuschauers.

    Viele der von Fischer-Lichte als für die autopoietische Feedbackschleife typisch postulierten Faktoren, wie beispielsweise Rollenwechsel zwischen Produzent und Rezipient (der Zuschauer darf mitentscheiden, wie die Sendung verläuft) und die Bildung einer Gemeinschaft (der Kandidat muss seine Fans mobilisieren und auf sich einschwören), finden sich in Castingshows inszeniert.

    Ähnliche Beobachtungen machen Christine Kugler und Ronald Kurt für das Fernsehformat der Polittalkshows: In ihnen muss sich der Politiker nicht nur auf die Moderatoren und das Saalpublikum einstellen, sondern über die Vermittlung der Kamera auch eine Beziehung zu den Zuschauern vor den Fernsehschirmen herstellen. Kugler und Kurt stellen richtig fest, dass diese Zuschauer durch die Entscheidung, die Sendung weiter zu verfolgen oder umzuschalten, auf dem Umweg der Quoten einen Einfluss auf die Gestaltung der Sendung gewinnen.

    Dass auch bei dem Format der Daily Soaps der 1990er-Jahre das Episodenkonzept hin zur Mitgestaltung des ‚Soap-Events‘ durch den Zuschauer geöffnet wurde, haben Udo Göttlich und Jörg-Uwe Nieland beleuchtet: Die Tendenz zur Interaktivität wird von ihnen als ein Merkmal der Soaps der 1990er-Jahre genannt; dem Zuschauer wird nicht nur im Format der Cyber-Soaps im Internet Mitgestaltungsrecht eingeräumt, er kann die Stars der Serie auch in organisierten Events persönlich kennenlernen und seine Ansichten und Meinungen zum Serienverlauf artikulieren.

    Angesichts dieser Ergebnisse ist Udo Göttlich zuzustimmen, der eine Fernsehsendung nicht als abgeschlossene, jederzeit wiederholbare Einheit betrachtet, sondern ihre Realisierung als ‚flow‘ begreift, der als Fluss von Ereignissen auch durch den Zuschauer – und sei es nur durch das bewusste Wählen oder Wegschalten des Programms – mitkonstituiert wird. Diese Feststellung gilt natürlich umso mehr auch für kreative Prozesse, die im Internet ablaufen, da die immer weiter fortschreitende Vernetzung und Einbindung verschiedenster User in Zeiten von facebook, Twitter und Instagram geradezu als Konstituens dieses Mediums betrachtet werden kann.

    Unter Berücksichtigung dieser Entwicklungen in den neuen Medien scheint es gerechtfertigt, das Konzept der autopoietischen Feedbackschleife, das von Fischer-Lichte ursprünglich nur auf den Fall der leiblichen Ko-Präsenz aller an der Aufführung Beteiligten bezogen wird, auch für die Analyse anderer simultaner Making-Ofs heranzuziehen: Fischer-Lichtes ursprüngliche Vorstellung der leiblichen Ko-Präsenz basiert auf einem Raumverständnis, das angesichts der Inszenier- und Vernetzbarkeit von Räumen durch die neuen Medien zunehmend als unzureichend erscheinen muss, was bereits zur Ergänzung des Modells durch Fischer-Lichte selbst geführt hat. So ersetzen bei der Vermittlung der autopoietischen Feedbackschleife durch die Massenmedien medial inszenierte Präsenzeffekte die tatsächliche leibliche Ko-Präsenz aller am Prozess Beteiligten (vgl. Fischer-Lichte 2005, 151f.).

    Fischer-Lichte, Erika: Ästhetik des Performativen. Frankfurt/Main 2004.

    Fischer-Lichte, Erika: „Inszenierung“. In: Metzler-Lexikon Theatertheorie. Stuttgart et al. 2005, S. 146-153.

    Göttlich, Udo: „Öffentlichkeitswandel, Individualisierung und Alltagsdramatisierung. Aspekte der Theatralität von Fernsehkommunikation im Mediatisierungsprozess“. In: Erika Fischer-Lichte et al. (Hg.): Diskurse des Theatralen. Tübingen / Basel 2001, S. 291-309.

    Göttlich, Udo / Jörg-Uwe Nieland: „Inszenierungsstrategien in deutschen Daily Soaps. Theatralität und Kult-Marketing am Vorabend“. In: Erika Fischer-Lichte et al. (Hg.): Inszenierung von Authentizität. Tübingen / Basel 2007, S. 163-181.

    Kugler, Christine / Ronald Kurt: „Inszenierungsformen von Glaubwürdigkeit im Medium Fernsehen. Politiker zwischen Ästhetisierung und Alltagspragmatik.“ In: Erika Fischer-Lichte et al. (Hg.): Inszenierung von Authentizität. Tübingen / Basel 2007, S. 149-162.

    Maturana, Humberto / Francisco Varela: Der Baum der Erkenntnis. Die biologischen Wurzeln des menschlichen Erkennens. Bern et al. 1987.

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    Autorschaft

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    Baustellen

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    Beethovens Küche (Beuys)

    Der Titel Beethovens Küche bezeichnet sowohl eine Sequenz aus Mauricio Kagels Film Ludwig van. Ein Bericht (1970) als auch einen Ausschnitt aus dessen filmischem Making-of Kagels Beethoven. Bericht über Ludwig van (1970) von Wilhelm Flues. Ludwig van entstand anlässlich des 200. Geburtstags von Beethoven im Auftrag des WDR und in Zusammenarbeit mit renommierten Künstlern, die das in Bonn stehende Geburtshaus des Komponisten um fiktive Räume erweiterten. Kagels Beethoven wurde ebenfalls vom WDR in Auftrag gegeben und ein halbes Jahr nach dem Film ausgestrahlt, ist also ein  retrospektives Making-of. Das Verhältnis beider Arbeiten lässt sich mit dem Begriff  Komplementarität fassen.

    Die im Titel genannte Küche war eine temporäre Installation von Joseph Beuys, die der Künstler am 4. Oktober 1969 in seinem Atelier aufbaute und während des Drehs um zwei kurze Aktionen ergänzte (vgl. Schneede 380). Die Vorbereitung der Dreharbeiten respektive des Drehorts sind in einer Sequenz aus Kagels Beethoven zu sehen, die aus drei Einstellungen besteht: In der ersten sitzen Beuys und Kagel hinter einem flachen Tisch, um sie herum herrscht reges Lärmen und Treiben. Eine männliche Stimme informiert aus dem Off, dass Beuys eine Küche einrichten soll – oder besser: eine Ansammlung von „Zeichen […] für Küche, keine normale Küche“, wie der Künstler selbst bemerkt. Beuys erläutert Kagel, wie er sich ‚seine‘ Sequenz vorstellt. Diese Erläuterungen unterstützt er sowohl gestisch als auch zeichnerisch, das Fernsehpublikum bekommt jedoch weder die Zeichnungen noch die erwähnten Orte und Requisiten zu sehen. Die zweite Kameraposition ist eine Diagonale, die für einen Moment über den Boden verteiltes Arbeitsmaterial in den Blick bringt, über das jemand hinweg steigt. In der dritten und letzten Einstellung versuchen Bildhauer und Regisseur vergeblich, eine aufgeschlagene Partitur mithilfe zweier Hornobjekte von Beuys an der Wand zu befestigen. Kagel lacht über das  Scheitern des Versuchs und beschreibt die in sich zusammengefallene Installation als „wagnerianisch“. Beuys erwidert, dass er das Ensemble „heraldisch“ fände und sich etwas anderes überlegen wolle.

    Ganz im Sinne eines klassischen Making-ofs scheint Kagels Beethoven demnach die Entstehung eines Films zu thematisieren: Der Bildhauer legt dem Filmemacher dar, welches Ergebnis er erwartet. Dann bauen Beuys und Kagel die ,Küche‘ auf, zeigen dabei allerdings vor allem, was sie nicht tun werden. Dies lässt sich als Hinweis darauf verstehen, dass es dem Fernsehbericht nicht nur um die Entstehung des bereits gesendeten Films, sondern auch um die Entstehung des Making-ofs selber geht, werden doch beständig beide Filmwerdungen anschaulich: Überall im Raum herrscht produktives Chaos. Es ist laut. An den Rändern des Kaders ist die Geschäftigkeit des Filmteams auszumachen. Jemand schreitet über einen Stapel Skizzen hinweg. Kagel tritt aus dem Off in den von der Kamera festgelegten Kader und setzt sich für die Aufzeichnung der Besprechung neben Beuys. Erst danach wird vor den beiden Männern ein Mikrofon aufgestellt. Beuys begleitet seine Ausführungen durch ostentatives Zeichnen. Beuys und Kagel arrangieren Objekte und verwerfen das Arrangement wieder. Das Atelier wird demnach zum Drehort und bleibt zugleich Atelier, in welchem nicht nur während der Dreharbeiten, sondern auch durch die Dreharbeiten zweierlei hergestellt wird: Eine Installation, d.h. die von Beuys in Abstimmung mit Kagel eingerichtete Küche Beethovens, die später filmisch umgesetzt werden soll, und das Making-of Beethovens Küche selbst.

    Kagels Beethoven. Bericht über Ludwig van. WDR, Erstausstrahlung: 8. Dezember 1970, Regie: Wilhelm Flues.

    Ludwig van. Ein Bericht. WDR, Erstausstrahlung: 1. Juni 1970, Regie: Mauricio Kagel.

    Schneede, Uwe M.: Joseph Beuys: Die Aktionen. Kommentiertes Werkverzeichnis mit fotografischen Dokumentationen. Ostfildern-Ruit bei Stuttgart 1994.

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    Castingshows

    Der Begriff der Castingshow bezeichnet in seiner aktuellen Verwendung Castingformate, die sich seit der Jahrtausendwende vor allem im Privatfernsehen etablierten. Den Anfang dieser Reihe von Formaten bildete die Show Popstars (2000), die heute bekanntesten und in der Forschung am breitesten diskutierten Castingshows dieser Prägung sind Deutschland sucht den Superstar (DSDS, seit 2002) und Germany’s next Topmodel (GNTM, seit 2006). Für Joachim von Gottberg wurde der Durchbruch dieses Showformats durch die Talkshows der 1990er-Jahre vorbereitet, als deren herausragendes und im Bezug auf die Castingshows zukunftsweisendstes Merkmal er die Tatsache anführt, dass mit ihnen jeder bisherige Fernsehzuschauer selbst zum potentiellen (Haupt-)Darsteller vor der Kamera wurde (vgl. 9). Die große Gemeinsamkeit aller hier als Castingshows zusammengefassten Fernsehformate liegt also darin, dass ihre Kandidaten keine bereits prominenten Talente sind, sondern, im Gegenteil, der Prozess des Star-Werdens des ‚einfachen Menschen‘ unter Anteilnahme eines Millionenpublikums erzählt wird.

    Gerade in der Inszenierung des Prozesses des Star-Werdens liegt auch das Interesse begründet, das eine Kulturwissenschaft aus der Perspektive des Making-ofs diesem Showformat entgegenbringt: Castingshows sind Beispiel eines simultanen Making-ofs, das den Prozess der Formung eines Prominenten nicht aus der Retrospektive nacherzählt, sondern bei dem die Erzählung dieses Prozesses mit seiner Inszenierung zusammenfällt. Die Hierarchie des Referenzverhältnisses zwischen Making-of und Bezugsprozess erscheint als aufgehoben.

    Interessant ist dabei, dass das simultane Making-of der Castingshow nicht nur das ‚Gemacht-Werden‘ eines Stars vorführt – der Fernsehzuschauer erhält je nach Dramaturgie der spezifischen Show auch die Möglichkeit, das Weiterkommen der Kandidaten und damit den gesamten Prozess des Star-Werdens selbst mitzugestalten, beispielsweise durch Online- oder Telefonvoting. In Castingshows wird somit die passive Prozessbeobachtung durch den Zuschauer durch aktive Prozessmitgestaltung abgelöst, was die zentrale Rolle der Kategorie der Inszenierung in diesem Showformat unterstreicht. Dabei geht es nicht nur um die Inszenierung der Lebensgeschichte und des Star-Werdens der Kandidaten, sondern auch um den möglichst engen Einbezug des Millionenpublikums vor den Fernsehgeräten. Achim Hackenberg und Olaf Selg weisen darauf hin, dass sich der Kandidat gemäß den Inszenierungsbemühungen der Verantwortlichen meist nicht nur auf einer, sondern auf mehreren Bühnen zu bewähren hat (vgl. 132f.): So muss der kommende Superstar bei DSDS beispielsweise in den Liveshows während seiner Performance nicht nur das Saalpublikum ansprechen, sondern er singt auch vor dem Tisch der drei Studiojuroren und gleichzeitig vor Kameras, die seinen Auftritt für ein Millionenpublikum übertragen. Wenn der Kandidat auch die Beifalls- oder Kritikäußerungen von Saalpublikum und Jury noch während bzw. kurz nach seiner Performance erfährt, sind die vom Fernsehzuschauer über das Telefonvoting mitgeteilten Reaktionen auf den Auftritt um einiges entscheidender für sein Weiterkommen. In Anlehnung an Erika-Fischer Lichte könnte hier also von einer in dreifacher Hinsicht inszenierten autopoietischen Feedbackschleife gesprochen werden, deren Besonderheit vor allem darin besteht, den körperlich nicht anwesenden Fernsehzuschauern doch direkte Einflussmöglichkeiten auf das Ereignis des simultanen Making-ofs der Castingshow einzuräumen – freilich nur auf die von den Produzenten genau vorbestimmte Art und Weise.

    Das Format der Castingshows erscheint folglich in zweifacher Hinsicht als typischer Exponent der Gegenwartskultur: Zum ersten inszenieren Castingshows als simultane Making-ofs den Gesamtprozess des Star-Machens als Netzwerk von parallelen und gegenläufigen Prozessen, die sich kaum mehr hierarchisieren lassen: Das tatsächliche Gesangstalent des Kandidaten erscheint dabei als für den letztlichen Erfolg beispielsweise kaum ausschlaggebender als Lebensgeschichte, Sozialverhalten vor der Kamera und Zuschauersympathien. Gerade die Tatsache, dass der Prozess des Star-Machens bis zum Schluss offen ist, liefert dabei die Möglichkeit, auch das Scheitern von Kandidaten darzustellen. Zum zweiten wird das Format aber auch dem scheinbar immer größer werdenden Wunsch der Zielgruppe nach Prozessbeteiligung gerecht: Die Kür des oder der Besten wird nicht nur vorgeführt, sondern vom Fernsehzuschauer ganz entschieden mitbestimmt; Castingshows werden somit in ihrer Mischung der Elemente von Casting-, Soap- und ‚Mitmachfernseh‘-Formaten zu Exponenten „performative[n] Realitätsfernsehen[s]“ (Keppler 8).

    Der Einbezug des Zuschauers durch die Dramaturgie der Castingshows geht dabei oft mit einem Medienwechsel einher, der immer mehr auf das Internet ausgreift: So konnten während der neunten Staffel von DSDS Zuschauer die Performance der Kandidaten ‚live‘ online auf der RTL-Fanbase-Seite kommentieren – einige dieser Kommentare wurden dann ihrerseits von den Moderatoren live in der Sendung vorgelesen. „Der Trend geht in Richtung Internet – nicht einfach im Sinne eines neuen Ausstrahlungskanals […], sondern im Sinne des interaktiven Hybridfernsehens“ (Gräßer / Riffi 28). Ausdrücklich stellt auch Joachim von Gottberg das Gesamtphänomen ‚Castingshow‘ nicht nur hinsichtlich der Beteiligung der Zuschauer, sondern auch bezüglich der Bereitschaft zur Bewerbung von Seiten der Kandidaten in den Zusammenhang der Entwicklung sozialer (Online-)Netzwerke: „Die öffentliche Wahrnehmbarkeit wird offenbar als wichtiger empfunden als das Risiko, sich zu blamieren oder Persönliches preiszugeben“ (11). Eng mit dem Phänomen der Castingshows scheint also ein Bedürfnis der modernen Gesellschaft in Verbindung zu stehen, das vom Gestus des Zeigens bestimmt wird. Kultur des Machens bedeutet nicht nur, die aktive Teilhabe an Produktionsprozessen einzufordern, sondern ist auch mit dem Wunsch verbunden, in diesem Machen möglichst öffentlich wahrgenommen zu werden: „Ich will stattfinden! – so lautet die Kurzformel der Casting-Gesellschaft“ (Pörksen / Krischke 59).

    Fischer-Lichte, Erika: Ästhetik des Performativen. Frankfurt/Main 2004.

    Gottberg, Joachim von: „Einleitung“. In: Daniel Hajok et al. (Hg.): Auf Augenhöhe? Rezeption von Castingshows und Coachingsendungen. Konstanz 2012, S. 9-14.

    Gräßer, Lars / Aycha Riffi: „‚The (Casting-) Show must Go On…‘. Ein Fernsehformat in der Diskussion.“ In: Daniel Hajok et al. (Hg.): Auf Augenhöhe? Rezeption von Castingshows und Coachingsendungen. Konstanz 2012, S. 17-31.

    Hackenberg, Achim / Olaf Selg: „Mehr als eine Live-Bühne – Castingshow-Formate als mediale Bedeutungsangebote für junge Zuschauer.“ In: Daniel Hajok et al. (Hg.): Auf Augenhöhe? Rezeption von Castingshows und Coachingsendungen. Konstanz 2012, S. 131-144.

    Keppler, Angela: Wirklicher als die Wirklichkeit? Das neue Realitätsprinzip der Fernsehunterhaltung. Frankfurt/Main 1994.

    Pörksen, Bernhard / Wolfgang Krischke: „Die Gesellschaft der Beachtungsexzesse.“ In: Daniel Hajok et al. (Hg.): Auf Augenhöhe? Rezeption von Castingshows und Coachingsendungen. Konstanz 2012, S. 57-70.

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    Critique genetique

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    Der Hexer in Niedernhall

    Gunther Merz’ Dokumentarfilm Der Hexer in Niedernhall (2005) begleitet die Probenarbeit des Schauspielers und Regisseurs Wolfgang Wolter im baden-württembergischen Niedernhall. Wolter, ein durch die Vorabend-Seifenoper Marienhof (1992-2011) bekannt gewordener, klassisch ausgebildeter Schauspieler, inszeniert dort mit lokalen Darstellern das selbst verfasste Stück Hexenreigen und steht von der ersten Szene an im Mittelpunkt dieses personenfixierten, simultanen (wenn auch aus der Retrospektive gerahmten) Making-ofs der Inszenierung. Für Plot und Hintergrundgeschichte des historischen Dramas interessiert sich der Film weit weniger als für die schillernde Figur Wolter, der launisch über sein Ensemble gebietet und es auf die Metapher des Wolfsrudels (mit ihm als Alphatier) einschwört: „Theaterarbeit ist keine Demokratie, [sie] ist Diktatur. […] Da hat einer das Sagen, und sonst keiner.“ Während der das Projekt unterstützende Gemeinderat das Treiben mit einigem Amüsement betrachtet („Künstler sind immer Künstler.“), wiegeln Wolters Ausbrüche und sein widersprüchlicher Umgang mit dem eigenen verblassten Ruhm bald Darsteller und Assistenten gegen ihn auf. Nach zornigen Tiraden („Ich bin ein Opfer vom Staatstheater und vom Fernsehen!“) beharrt er wiederholt auf seinem Status als Prominenter und tritt mit Sonnenbrille und Fedora vor die Lokalpresse. Das Making-of der Theaterinszenierung wird zum ‚unmaking‘ der Person Wolters, dessen Qualitäten als Theaterpädagoge und Regisseur die filmische Inszenierung zugunsten seiner Wutausbrüche in den Hintergrund treten lässt. Zwar nimmt der Film vereinzelt leisere, von anderen Facetten zeugende Momente in den Blick, in denen das Ensemble durch die Proben emotional zusammenwächst, mit seinem Regisseur singt oder in der sogenannten ,Menschentraube‘ Halt findet bzw. „in einer Mischung aus Voodoo, Séance und Selbsthilfegruppe zusammengeschweißt [wird]“ (Hegemann 325). Insgesamt überwiegt aber die Entlarvung des Profilneurotikers, der mit seinen Ambitionen Thomas Bernhards Theatermacher Bruscon nachzueifern scheint: Auch dieser einst große Schauspieler findet sich zur Tingeltour durch Provinznester verdammt, die er früher „nicht einmal zum Wasserlassen“ betreten hätte (Bernhard 11).

    Den Probenprozess des Theaterbetriebs setzt Merz’ Film v.a. als Abfolge von Streitereien ins Bild, die sich weniger an interpretatorischen Fragen entzünden als an den Launen des Despoten, der auf Widerspruch mit Probenabbruch oder dem Verhängen von Strafaufgaben reagiert. Die Ironie, dass gerade die Proben zu einem Stück über die historischen Hexenprozesse von Denunziation und Willkür begleitet werden, schwingt zwischen den Zeilen mit. Wenn auch die Erzähllogik des klassischen Making-ofs gewahrt bleibt, indem Momente der Krise in versöhnlichen Szenen aufgelöst werden und allen Widerständen zum Trotz am Ende eine erfolgreiche Premiere steht, werden weder Probenchronologie noch wirkliche Fortschritte der Inszenierung oder technische Aspekte des Bühnenapparats offengelegt. Dennoch erhellt der Film den Probenprozess, indem er zeigt, welch wichtige Rolle Krisen zukommt und wie diese gar bewusst provoziert werden, um Stimmungen und persönliche Reaktionen der Akteure herbeizuführen (vgl. Roselt). Freilich gilt das überwiegende Interesse des selbst komplett im Hintergrund bleibenden Regisseurs Merz seinem Kollegen (und ehemaligen Chef) Wolter, der aus für den Zuschauer nicht nachvollziehbaren Gründen sogar das Happy End sabotiert, indem er sein Ensemble nach der Aufführung beschimpft und vor den Kopf stößt. Auf die konsternierte Reaktion eines Schauspielers („Der Mann ist für mich gestorben.“) folgt als bittere Pointe die Meldung von Wolters Ableben wenige Wochen nach der Premiere.

    Damit bildet der Hexer den Sonderfall eines Making-ofs, das beim Verhandeln des künstlerischen Prozesses das künstlerische Produkt selbst nur am Rande würdigt und stattdessen der Faszination für ein denkwürdiges ‚enfant terrible‘ erliegt.

    Bernhard, Thomas: Der Theatermacher. Frankfurt/Main 1984.

    Hegemann, Carl. „Hexer bei der Arbeit. Warum ich lieber auf Proben gehe als in die Vorstellung.“ In: Melanie Hinz / Jens Roselt (Hg.): Chaos und Konzept. Proben und Probieren im Theater. Berlin / Köln 2011, S. 316-329.

    Der Hexer in Niedernhall. Deutschland 2005, Regie: Gunther Merz.

    Roselt, Jens: „Dramaturgie der Krise. Theaterproben im Dokumentarfilm am Beispiel von Gunther Merz’ ,Der Hexer in Niedernhall‘.“ In: Stefanie Diekmann (Hg.): Die andere Szene. Theaterproben und Theaterarbeit im Dokumentarfilm [in Vorbereitung].

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    Dilettantenkultur

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    Director’s Cut

    Unter der Produktbezeichnung ,Director’s Cut‘ wird die Schnittfassung eines Films vermarktet, die von einer anfangs im größeren Wirkungskreis veröffentlichten Version abweicht. Der Director’s Cut ist Anlass retrospektiver und zentraler Gegenstand klassischer Making-ofs. In beiden Fällen trägt das Making-of dazu bei, den Widerspruch zu verdeutlichen, der zwischen dem durch den Begriff implizierten Leitbild der geschlossenen künstlerischen Vision eines ‚auteurs‘ und dem offenen Prozess der Restaurierung besteht, wobei suggeriert wird, dass der Director’s Cut den eigentlichen Intentionen des Regisseurs entspricht. Die Herstellungsbedingungen eines Director’s Cut bestätigen jedoch oftmals nicht diese Annahme, so dass bei einer engeren Definition viele geläufige Anwendungen des Begriffs ihre Gültigkeit verlieren könnten. Von wissenschaftlicher Seite wird daher auch die Validität des Begriffs in Frage gestellt (vgl. Berthomé 25f.).

    Diese Kritik setzt die Auffassung voraus, dass ein Director’s Cut unter der Hauptverantwortung des Regisseurs geschnitten und von diesem als ultimativ gültige Fassung anerkannt worden sein muss. Sie muss zudem in erklärtem Gegensatz zu einer alternativen Fassung stehen, an deren Final Cut dem Regisseur das Mitspracherecht entzogen worden ist. Prominente Beispiele wie Blade Runner (1982, Director’s Cut 1993, Final Cut 2007) sprechen indes dafür, dass ,Director’s Cut‘ als ein Label aufgefasst werden kann, das nur die relativ größere Übereinstimmung einer Schnittfassung mit einem Konzept des Regisseurs signalisiert, unabhängig davon, ob und in welchem Ausmaß sie auf etwaigen Skizzen basiert, die dieser bereits während der Dreharbeiten erstellt hat.

    Als Paratexte einer Director’s Cut-Veröffentlichung thematisieren retrospektive Making-ofs die Konflikte, die sich im Produktionsprozess zwischen den ökonomischen Auflagen und den ästhetischen Entscheidungen des Regisseurs ergeben haben. Weder der Director’s Cut noch seine Paratexte entstehen jedoch außerhalb des Studiosystems, sondern werden seit der Entstehung des Heimvideomarktes in dessen Kalkulationen integriert. Konventionell schließen retrospektive Making-ofs daher mit relativierenden Stellungnahmen, in denen die Koexistenz diverser Versionen eines Films legitimiert wird. Diese Versionen können somit einerseits zielgruppenspezifisch bearbeitet und vermarktet werden, andererseits stehen sie interessierten Fans zum Vergleich bereit.

    Die Verleihfirmen selbst lassen alternative Fassungen von Filmen herstellen, für die Regisseure eigens zu entsprechenden Überarbeitungen aufgefordert werden (z.B. Alien – Director’s Cut, 2003) oder für die nur die öffentliche Anerkennung des Regisseurs eingeholt wird (z.B. Amadeus – Director’s Cut, 2002). Das Produkt bleibt somit über ein Netzwerk aller an dem Rehabilitierungsprozess Beteiligten in ständiger Veränderung begriffen. Gegensätzlich dazu verhält sich die konventionelle Dramaturgie des klassischen Making-ofs in einem Director’s Cut, die die wiederhergestellte Geschlossenheit des Werkes als Ende einer Erfolgsgeschichte behauptet. Wenngleich die Herstellung eines Director’s Cut hier als archäologisches Verfahren vermittelt werden soll, zeigt das Making-of auf, dass keineswegs nur die Linearität des Werkes durch zuvor geschnittenes Material restauriert wird. Vielmehr wird die Nichtlinearität des Werkkomplexes durch die Dokumentation von Reinszenierungen und Neuabmischungen offenkundig. Dies wird einerseits auf die erschwerenden Bedingungen des alten Filmmaterials zurückgeführt (so muss der Ton häufig neu aufgenommen werden, z.B. bei Lawrence of Arabia – Restored Director’s Cut, 1989; Die Blechtrommel – Director’s Cut, 2010), andererseits auf die vielfältigen Möglichkeiten der Digitalisierung (etwa die nachträgliche Eliminierung von Fehlern).

    Das klassische Making-of verdeutlicht somit die autopoietische Feedbackschleife, in der ein Director’s Cut sowohl durch die Leistungen neuer oder reaktivierter Mitarbeiter als auch durch die Berücksichtigung einer Fangemeinde geformt wird. Vor der Erstellung des ,Final Cut‘ von Blade Runner wurde etwa abgewogen, welche Anschlussfehler sich in der Rezeptionsgeschichte des Films als zu beliebt erwiesen haben, um sie zu korrigieren (vgl. All Our Variant Futures. From Work Print to Director’s Cut. Blade Runner, 2007). Widersprüchlich erscheint demgegenüber auch, dass der dem Begriff inhärente ‚auteur‘-Status des Regisseurs im Making-of verbal beschworen, aber durch die Beobachtung des Kollektiv-Körpers (vgl. Wortmann 50) bei der Arbeit praktisch widerlegt wird.

    Dass die Vertreter der ‚auteur‘Theorie in der Filmzeitschrift Cahiers du cinéma das Recht des Regisseurs auf den Final Cut propagierten, kann als ideologische Voraussetzung des Paratextformates der Einführung gewertet werden, das sich in der DVD-Kultur herausgebildet hat. In ihr beglaubigt der Regisseur den Director’s Cut in einer persönlichen Adressierung der Zuschauer.

    Ein wörtliches Verständnis der Bezeichnung ,Director’s Cut‘ müsste ihre Anwendung auf nichtfilmische Phänomene wie das Remastering von Musikalben (z.B. Let It Be… Naked von den Beatles, 2003) und die unzensierte Neuauflage von literarischen Werken (z.B. Erich Kästners Der Gang vor die Hunde, die ungekürzte Fassung seines Romans Fabian, 2013) oder Comics (z.B. Iron Man: Extremis – Director’s Cut von Warren Ellis und Adi Granov, 2010) in Frage stellen. Da die Autorschaft des Regisseurs und die Reintegration geschnittenen Materials sich nur als Teilaspekte des filmischen Director’s Cut erwiesen haben, ergeben sich darüber hinaus aber durchaus Gemeinsamkeiten zwischen den Phänomenen, die eine Erweiterung des Begriffes nahelegen.

    Die Authentizität des nicht kommerziell verfälschten Originals als eine Wunschvorstellung führt der Film Interior. Leather. Bar. (2013) vor. In diesem Making-of eines fiktionalen Director’s Cut stellt ein Filmteam die zensierten Sequenzen aus Cruising (1980) nach, einem in der Lederszene spielenden Thriller, und folgt dabei erklärtermaßen seiner Imagination.

    All Our Variant Futures. From Work Print to Director’s Cut. Blade Runner. USA 2007, Regie: Charles De Lauzirika.

    Berthomé, Jean-Pierre: „Le fantasme de l’ œuvre perdue.“ In: Michel Marie / François Thomas (Hg.): Le mythe du director’s cut. Paris 2008, S. 17-26.

    Interior. Leather. Bar. USA 2013. Regie: James Franco / Travis Mathews.

    Wortmann, Volker: „special extended: Das Filmteam als kreativer Kollektiv-Körper im ,making-of‘.“ In: Hajo Kurzenberger et al. (Hg.): Kollektive in den Künsten. Hildesheim 2008, S. 39-60.

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    Do It Yourself

    Do It Yourself (kurz: DIY) steht sowohl für das Selbermachen im Bereich der Handarbeit und des Heimwerkens als auch für Formen des selbstermächtigten politischen Aktivismus. Mit Aufkommen neuer Medientechnologien des Internets und vor allem des Web 2.0 stehen Ausprägungen einer aktuellen DIY-Kultur mit Formen und Strategien des Making-ofs in Verbindung. Making-ofs als Formen der Beobachtung, Beschreibung und Ästhetisierung von Produktionsprozessen finden sich beispielsweise in Form von Weblogs, Online-Tutorials sowie (YouTube-)Videos, wobei sich zwischen verschiedenen Ausprägungen und Nutzergruppen differenzieren lässt, die in ihrer Unterscheidung durchaus an die historische Entwicklung des DIY-Begriffs anknüpfen.

    Über Felder wie Freizeitgestaltung verbindet sich der Begriff des DIY mit der Gruppe der Heimwerkerinnen, Handarbeiter und Bastlerinnen, die das Selbermachen sowohl aus Gründen der Kostenersparnis gegenüber Fertigprodukten als auch der passionierten Leidenschaft am Prozess des Selbermachens sowie seiner Resultate als Motivation antreibt.

    Historisch gesehen tritt der Slogan „Do it yourself!“ das erste Mal 1912 in einem Artikel der amerikanischen Zeitschrift Suburban Life auf (vgl. Hornung et al. 8). Maßgeblich trägt die Etablierung des Heimwerkers zur Popularisierung des DIY in der BRD bei und verankert den Begriff hier ab den 1960er-Jahren (vgl. ebd. 10). Paradigmatisch hierfür ist die Eröffnung erster Baumärkte sowie die Distribution der Deutschen Do it yourself Illustrierten mit den beiden Ausgaben Selbst ist der Mann und Selbst ist die Frau ab 1956 (vgl. ebd. 31).

    Mit der Einführung neuer Medientechnologien wie Internet und Web 2.0 geschieht eine Veränderung in diesem Feld der DIY-Kultur, die mit einer Verschiebung zum Making-of einhergeht. Aktuell gibt es neben professionell ver- und betriebenen Publikationen und Onlineplattformen mit Anleitungen und Tipps zu DIY-Projekten über vielfältige Themen auch Plattformen, die es jedem Bastler und jeder Heimwerkerin mit Internetzugang ermöglichen, ihre Ergebnisse ebenso wie die Prozesse ihres Selbermachens zu veröffentlichen und im Rahmen einer Community zu teilen. Meistens werden Weblogs betrieben, die von einer einfachen Präsentation der eigenen DIY-Projekte über Anleitungen (How-to) in Form von Bild, Text/Bild-Kombinationen oder Video-Tutorials, Anregungen, Tipps und Inspirationen bis hin zur Selbstvermarktung im Online-Shop reichen und ein Zeigen des Selbstgemachten als auch des Selbermachens in den Fokus stellen. Dieser Vorgang des Zeigens stellt eine inszenierte Vermittlung von Produktionsprozessen dar und kann somit als Making-of-Format untersucht werden.

    Neben der Gruppe der Heimwerkerinnen und Bastler hat auch die politische Seite den DIY-Begriff geprägt. Er steht hier für politischen Aktivismus, der mit einer politischen Selbstermächtigung einhergeht. Das „Mach es selbst!“ wird hierbei zum Slogan für politische Partizipation und Artikulation beispielsweise in Form von Informationsdistribution und Aufklärung durch Verteilung selbstproduzierter Fanzines in geringer Auflage. Die Selbstartikulation mit Hilfe von Fanzines und das Schaffen einer Öffentlichkeit wird dann in der ,Riot-Girl‘-Bewegung (auch: ,Riot Grrrls‘) wieder aufgegriffen, die ab Mitte der 90er-Jahre das Medium der ,Grrrl-E-zines‘ benutzt, um eine „Form […] feministische[r] Do-It-Yourself-Praxis“ (Armstrong 372) zu formulieren. Aktuelle Entwicklungen in diesem Bereich aktivistischer DIY-Praktiken zeigen eine Annäherung an Formen der Handarbeit durch die Bewegung des ,Radical Crafting‘ (im deutschsprachigen Raum beispielsweise des Critical Crafting Circles). Sogenannte Craftistas und Craftivistas betreiben hier das Handarbeiten als politischen Aktivismus und grenzen sich gegenüber der historischen Handarbeitstradition häufig ab (vgl. Gaugele 13).

    Neben diesen Ausprägungen der DIY-Kultur gibt es die Vorstellung einer ,Design-It-Yourself‘-Kultur, die sich auch als eine Prosumer-Kultur beschreiben lässt und sich in ,customizated products‘ wiederfindet. Der Kunde respektive Rezipient wird zum Ko-Produzenten und Benutzer, der Produkte nicht nur bedient, sondern individualisiert und weiterführend nutzt. Dieses veränderte Konsumverhalten lässt sich beispielsweise an einer Eigenbeteiligung des Kunden bei Transport und Zusammenbau von Möbeln (Ikea) erkennen und wird von Alvin W. Toffler als „Prosuming“ bezeichnet (vgl. Toffler 386, Blättel-Mink 72). Es entsteht eine neue Rolle von Produzenten-Konsumenten, die sich auch in Produktionsöffentlichkeiten wiederfindet.

    Die hier skizzierte Entwicklung einer Kultur des Selbermachens und des Selbstgemachten ist unmittelbar mit der Entwicklung einer Making-of-Kultur verbunden. Das Zeigen des Machens sowie das Rezipieren gezeigter Produktionsprozesse sind grundlegend für aktuelle Formen der DIY-Kultur. In ihr werden Formate und Strategien des Making-ofs für eine kollektive Generierung von Wissen benutzt, um Wissen, Können und Fertigkeiten in selbstorganisierten Communities und Produktionsöffentlichkeiten weiterzugeben oder sich anzueignen. Anleitungen und How-tos als simultane Making-ofs werden rezipiert, um die vorgeschlagenen DIY-Projekte zu realisieren oder sich für weitere eigene Projekte inspirieren zu lassen. Eine DIY-Kultur bringt somit ein Interesse am Machen mit: an der Rezeption von Produktionsprozessen im Hinblick auf ein eigenes Produzieren und Wiedereinspeisen der eigenen (Er-)Kenntnisse aus diesem eigenen Produzieren in Form von Making-ofs, die dann als Dokumentationen und Anleitungen des Produktionsprozesses sowie der (vorläufigen) Ergebnisse des Selbermachens fungieren. Oft sind diese Resultate Ergebnisse einer Weiterentwicklung des zuvor rezipierten Produktionsprozesses anderer Mitglieder der Community.

    Armstrong, Jayne: „Web Grrrls, Guerilla Taktiken: Junge Feminismen im Web.“ In: Karin Bruns / Ramón Reichert. (Hg.): Reader Neue Medien. Texte zur digitalen Kultur und Kommunikation. Bielefeld 2007, S. 371-383.

    Blättel-Mink, Birgit: „Prosumer – Der arbeitende Kunde.“ In: Helmut Gold et al. (Hg.): Do It Yourself: Die Mitmach-Revolution. Katalog zur Ausstellung. Mainz 2011, S. 72-78.

    Gaugele, Elke: „Historische Plattformen der Craftistas. Symbolische Politik und politische Praxis textiler Handarbeiten.“ In: Critical Crafting Circle (Hg.): craftista! Handarbeit als Aktivismus. Mainz 2011, S. 12-14.

    Hornung, Annabelle et al. „,Do It Yourself: Die Mitmach-Revolution’. Eine Einführung in die Ausstellung.“ In: Helmut Gold et al. (Hg.): Do It Yourself: Die Mitmach-Revolution. Katalog zur Ausstellung. Mainz 2011, S. 8-20.

    Toffler, Alvin: Die dritte Welle. Zukunftschance: Perspektiven für die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts. München 1983.

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    DVD-Kultur

    Nicht nur für die Filmbetrachtung, sondern auch für das Making-of bedeutete das Aufkommen digitaler Medien eine Revolution: Mit dem Einlegen des Films wurde der non-lineare Zugriff auf eine Fülle von Paratexten ermöglicht, ohne den Weg über den Referenzfilm gehen oder gar andere Medien (z.B. Buchpublikationen) hinzuziehen zu müssen. So konnte das Making-of, das heute beim Kauf von Filmen auf DVD oder BluRay eine Standardbeigabe darstellt, „zu einer Angelegenheit der DVD“ werden (Paech 222). Konzentrierten sich frühe Bestrebungen, Filme mit informierendem Material auszustatten, zunächst auf kanonisierte Klassiker (wie im Fall der hunderte von Titeln umfassenden Criterion Collection), sind die Bonus Features inzwischen zum Standard für alle Filme avanciert, als symbolisches Kapital gemäß der Quantifizierbarkeitsformel: „[J]e umfangreicher die Ausstattung, desto bedeutsamer der Film!“ (Wortmann 99) Ein ohne Extras angebotener Film bekommt das abwertende Etikett der ‚Vanilla Edition‘ verpasst, was als Stigma einer wenig cineastischen Anspruch verratenden Kaufentscheidung auf den Rezipienten zurückfällt. Motto: Wer nicht auf Audiokommentar oder Making-of Wert legt, weiß den Film nicht zu schätzen. Der Kenner liest dagegen Filmzeitschriften, die bei der Einschätzung von DVD-Veröffentlichungen mittlerweile getrennte Bewertungssysteme für die Qualität des Films und die Ausstattung mit Extras führen, oder gar nur letztere bemessen. Um besser abzuschneiden und einen Mehrwert der DVD gegenüber dem Kinoerlebnis zu suggerieren, bemühen sich Verleiher, bei der Vermarktung ihrer Produkte einander durch immer umfangreichere ‚Special Editions‘, ‚Extended Editions‘, ‚Limited Editions‘ oder ‚Collector‘s Editions‘ auszustechen, wodurch auch bei Re-Releases stets umfangreicheres Zusatzmaterial zu Tage gefördert und in immer neue Making-ofs integriert werden muss – bei der Lord of the Rings-Trilogie etwa wächst das Bonusmaterial mit jeder Neuauflage. So existieren nicht nur separate Features zu Produktionsaspekten wie Kostümentwurf, Schnitt und Toneffekten, sondern sogar eigene Dokumentationen zum Adaptionsprozess oder zur Inspiration für den Titelsong.

    Häufig dient das traditionelle Making-of-Siegel im Zuge der Ausdifferenzierung innerhalb der DVD-Kultur als Dachbegriff für andere Spielarten. Zu den unterschiedlichen Formaten, die einen Blick hinter die Kulissen werfen, zählen ‚Behind the Scenes‘-Features (die durch unkommentiertes B-Roll-Material Drehatmosphäre vermitteln), Interviews, erklärende Audiokommentare von am Produktionsprozess Beteiligten, nach unterschiedlichen Aspekten ausdifferenzierte Kurzdokumentationen und bei besonders prestigeträchtigen Drehs das u.a. vom Lord of the Rings-Regisseur Peter Jackson gepflegte Produktionstagebuch, das den Fans bereits parallel zum Dreh regelmäßige Updates vom Set verspricht, im Internet für eine Form des viralen Marketings sorgt und später auf der DVD bzw. BluRay wiederzufinden ist.

    Mit Sicherheit hat die DVD-Kultur einen Paradigmenwechsel vom retrospektiv recherchierten Making-of hin zur simultanen Begleitung des Filmdrehs eingeleitet, wenngleich das Material nachträglich redigiert und der DVD als  retrospektives Making-of beigegeben wird. Doch obgleich behauptet wird, durch DVDs seien insgesamt bessere Making-ofs möglich gemacht worden, weil nicht länger nur die Werbung für den Hauptfilm im Vordergrund stehe, sondern tatsächlich Arbeitsprozesse dokumentiert werden (vgl. Barlow 80), ist der Verkaufsaspekt auf dem Heimkinomarkt nicht zu vernachlässigen. Das gilt auch für umfangreichere, durch Autoritäten wie Filmkritiker oder -historiker beglaubigte, retrospektive Making-ofs über neu aufgelegte Filmklassiker, die zwar z.T. kritisch und detailliert informieren, jedoch ebenfalls zum Kauf der DVD animieren sollen und, im Einklang mit der Rhetorik des klassischen Making-ofs, den Regisseur zentral setzen und zum Ausgangspunkt für Produktionsgeschichte sowie Deutungsversuche wählen. Hierfür sind die Kurzdokumentationen auf der Alfred Hitchcock Signature Collection ein treffendes Beispiel.

    Die Vorstellung einer gründlich umgekrempelten Rezeptionslandschaft, in der die DVD insgesamt ein Umdenken von narrativer Sequenzierung hin zum Filmkonsum als Selektion aus einer Datenbank eingeleitet haben soll (vgl. Hight 5), ist im Hinblick auf Making-ofs noch nicht im großen Stil realisiert – dafür werden sie auf der DVD häufig zu stiefmütterlich behandelt. So trägt ein 45-minütiges Feature, sofern es (wie häufig praktiziert) nicht einmal in einzelne Tracks unterteilt wurde, regelrecht analogen Charakter, da auf einzelne Stellen und Produktionsaspekte häufig nur wie beim Video per Suchlauf zugegriffen werden kann. Vielversprechende Ansätze liefert das über mehr Speicherplatz verfügende Nachfolgemedium BluRay, das verstärkt alternative Sehzugänge anbietet. So kann selbst beim Anschauen des Hauptfilms dessen Gemachtheit thematisiert werden, beispielsweise in der direkten Gegenüberstellung von Storyboard-Konzepten mit fertigen Sequenzen oder durch Umschalten aus dem Film heraus zur Szenenanatomie. Dies hebelt auch die lange geltende, rigide Unterscheidung zwischen Making-of und begleitendem Audiokommentar aus, nach der letzterer parallel zur ‚discourse time‘ des Films stattfinde, ersteres dagegen nicht (vgl. Voigts-Virchow 132).

    Barlow, Aaron: The DVD Revolution: Movies, Culture, and Technology. Westport / London 2005.

    Hight, Craig: „Making-of Documentaries on DVD: The Lord of the Rings Trilogy and Special Editions.“ In: The Velvet Light Trap: A Critical Journal of Film and Television 56 (2005), S. 4-17.

    Paech, Joachim: „Film, programmatisch.“ In: Klaus Kreimier / Georg Stanitzek (Hg.): Paratexte in Literatur, Film, Fernsehen. Berlin 2004, S. 213-223.

    Voigts-Virchow, Eckart: „Paratracks in the Digital Age: Bonus Material as Bogus Material in Blood Simple (Joel and Ethan Coen, 1984/2001).“ In: Werner Wolf et al. (Hg.): Intermedialities. Trier 2007, S. 129-139.

    Wortmann, Volker: „DVD-Kultur und ,Making-Of‘: Beitrag zu einer Mediengeschichte des Autorenfilms.“ In: Rabbit Eye – Zeitschrift für Filmforschung 1 (2010), S. 95-108.

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    Eine neue Version ist verfügbar

    Typischer Satz, mit dem ein Software-Update angekündigt wird. Findet sich regelmäßig in Apps und im Web, aber bisher nicht im Bereich kultureller Produkte. Das gleichnamige Buch Eine neue Version ist verfügbar von Dirk von Gehlen beschreibt die Idee, digitalisierte Kultur unter den Bedingungen von Software zu denken und setzte diesen Gedanken in einem Crowdfunding-Projekt auch selbst in die Tat um.
    Während die klassische Verwertungslogik kultureller Güter durch die Möglichkeit kostenloser Replikation unter Druck gerät, verortet von Gehlen in Zeugenschaft und Teilhabe an der Produktion selbst einen unkopierbaren Wert jedes Werkes, der neue Geschäftsmodelle im digitalen Raum begründen könnte. Eine solche Form der Produktionsöffentlichkeit wird hergestellt durch den Zugang zu simultanen Making-ofs. Sofern der Zugang zu dieser Produktionsöffentlichkeit kommerziell erworben wird, handelt es sich um eine (demokratisierte) Form des Mäzenatentums. Dabei steht nicht zwangsläufig die Authentizität des Schaffensprozesses im Vordergrund, sondern eine passende und stimmige Inszenierung.
    Eine „verflüssigte“ Kultur, die Produktionsprozesse und Zwischenstadien zugänglich macht, ermöglicht außerdem das Nebeneinander von Versionen: Ähnlich wie ein alter Wein-Jahrgang kann auch die frühere Version eines Werkes sich zum Klassiker oder Liebhaberstück entwickeln.
    In den fünf praktischen Schlussfolgerungen seines Buches fordert von Gehlen, (1.) das Produkt konsequent als Prozess zu denken, in der Folge (2.) das Gespräch mit den Nutzerinnen und Kollegen zu führen und somit (3.) ein Netzwerk zu erstellen bzw. (4.) einen Salon zu eröffnen, in dem Produzentinnen und Rezipienten sich zur Geschmacksbildung und Werkkritik austauschen. So werden schon während der Produktion (5.) Erlebnisse geschaffen, was im Anschluss an Jeremy Rifkins Access als ursprüngliche Kompetenz der Kulturindustrie und herrschendes Paradigma einer zukünftigen Ökonomie verstanden wird.
    Als Konsequenz aus diesen theoretischen Überlegungen wurde das Buch – wie Software – in Versionen geschrieben, die für die Käuferinnen des Crowdfundings auch in ihren unfertigen Fassungen sichtbar waren. Regelmäßig erhielten sie Mails, in denen der Schreibfortschritt dokumentiert wurde, und waren durch ihre Rückmeldungen direkt an der Entstehung beteiligt (autopoeitische Feedbackschleife). Eine neue Version ist verfügbar ist damit zugleich sein eigenes literarisches Making-of.

    Rifkin, Jeremy. Access. Das Verschwinden des Eigentums. Frankfurt/New York: Campus 2007.

    von Gehlen, Dirk: Eine neue Version ist verfügbar. Berlin 2013.

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    Entwurf

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    Exit through the Gift Shop

    Bei Exit through the Gift Shop (2010) handelt es sich um ein Faking-of, das zugleich das Regiedebüt des legendären Street-Art-Künstlers Banksy ist. In seiner vielschichtigen Satire auf die Mechanismen des Kunstmarkts und das Format des Making-ofs setzt Banksy der Kultur des Machens ein ironisches Denkmal. Der Film geht dabei nicht nur auf die Anfänge der Street-Art-Szene und das für die internationale Kunstszene selbstverständliche, globale Networking ein. Ebenso zeichnet er den Aufstieg eines Star-Künstlers nach und bricht mit traditionellen Vorstellungen von künstlerischem Genie und Originalität.

    Im Mittelpunkt des Films, der der Ästhetik des Dokumentarfilms folgt, steht zunächst nicht Banksy selbst, sondern der Geschäftsmann und Hobbyfilmer Thierry Guetta, der die Aktivitäten bekannter Street Artists auf Video aufnehmen möchte und dabei seiner Faszination für die Szene erliegt. Zufällig gerät Thierry durch seine nächtlichen Streifzüge in Kontakt mit dem britischen Szenestar Banksy und assistiert ihm bald mit wachsender Begeisterung bei seinen aufwändigen Kunst-Aktionen. Thierrys Wunsch, seinen Vorbildern nachzueifern und selbst Street Art zu produzieren, kulminiert schließlich in einer zum Großereignis gehypten Ausstellung des nunmehr als ,Mr. Brainwash‘ agierenden Dilettanten, der sich mit Hilfe professioneller Assistenten seinen Einstieg in die Szene erkauft. Dagegen bleibt Thierrys Versuch, aus seinem gesammelten Videomaterial eine Street-Art-Dokumentation zu schneiden, ein hoffnungsloses Unterfangen. Konfrontiert mit dem indiskutablen Ergebnis (einem zusammenhanglosen, hyperaktiv geschnittenen Angriff auf die Seh- und Geschmacksnerven) konstatiert ein desillusionierter Banksy, der schließlich selbst die erzählerische Kontrolle in Exit übernimmt und nunmehr selbst seinem vormaligen Assistenten dokumentarisch nachzuspüren vorgibt: Der von ihm auserkorene Chronist habe sich als „someone with mental problems who happened to have a camera“ entpuppt.

    Doch Banksys Erfolg – der von ihm realisierte Film ist ein funktionierendes Making-of, Thierrys Film dagegen nicht – ist ein Pyrrhussieg. Denn mit Thierrys (alias Brainwashs) Durchbruch als Star der Kunstszene zeichnet der Film (wie schon sein Titel andeutet) die endgültige Kommerzialisierung und damit den Untergang der im Independent-Geist gestarteten Street-Art-Bewegung nach.

    Vor dem Hintergrund des Making-of-Themas dürfte Exit through the Gift Shop den Endpunkt einer Entwicklung markieren, in der das Entstehen einer Produktionsöffentlichkeit nicht nur reflektiert, sondern bereits einer kritischen Revision unterzogen wird. Street Art erscheint in Banksys Film als Paradebeispiel einer produktiven, bereits stark ausdifferenzierten Dilettantenkultur, deren Mitglieder eine Vielzahl von Distributionskanälen nutzen, in Netzwerken interagieren und mit ihrer vergänglichen, im Internet breit rezipierten Kunst zum Mitmachen einladen. Mit der Schilderung von Thierrys Fall warnt der Film allerdings vor den Folgen des Do-It-Yourself-Impulses, denn aus dem klassischen Eckermann-Verhältnis zwischen dem etablierten, beinah schon kanonisierten Künstler (Banksy) und seinem dilettierenden Epigonen wird eine „Geister, die ich rief“-Erzählung, in der das Geschöpf außer Kontrolle gerät und den Untergang des Herrscherhauses heraufbeschwört.

    Zugleich dreht Banksys Film der Öffentlichkeit noch eine lange Nase, denn das Faking-of verweigert sowohl auf der intra- als auch extratextuellen Ebene die Auflösung des Fakes (Thierry Guetta verfügt über einen eigenen Wikipedia-Artikel sowie über einen Credit als Gestalter eines Madonna-Albums) und wurde obendrein 2011 in der Kategorie ,Bester Dokumentarfilm‘ für einen Oscar nominiert.

    Exit through the Gift Shop. United Kingdom 2010, Regie: Banksy.

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    Experiment

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    Faking-of

    Beim Faking-of handelt es sich um ein Format, das die etablierten Gemeinplätze und Verfahren des klassischen Making-of-Films auf satirische Weise imitiert. In der DVD-Kultur sind Making-ofs nicht mehr allein für kanonisierte Titel bzw. technisch aufwändige Blockbuster-Produktionen reserviert. Vielmehr hat ihre Allgegenwart dazu geführt, dass die Rezipienten Vertrautheit mit den generischen Spielregeln und Erzählstrukturen des Making-ofs entwickeln konnten. In Anknüpfung an Wortmanns These, der im DVD-Making-of auftretende kreative Kollektiv-Körper stelle nur ein Substitut für die eigentlichen, „unterhalb der Schwelle ihrer Abbildbarkeit“ liegenden Prozesse dar (49), erweist sich, dass die Beteiligten häufig ein im Erscheinungsbild stark uniformes Stück zur (Wieder-)Aufführung bringen. So beinhaltet die 2012 erschienene BluRay von Jaws (1975) zwei verschiedene Making-ofs aus den Jahren 1995 und 2007, in denen z.T. dieselben Mitwirkenden zu Wort kommen und identische Anekdoten erzählen. Berücksichtigt man zudem, dass einige Making-ofs bereits das Verhältnis von Haupt- und Nebentext deutlich verschoben haben (Buckaroo Banzai Declassified, 2002; Lost in La Mancha, 2007), wird auch die Etablierung von Faking-ofs nachvollziehbar. Diese rekurrieren auf die ‚mockumentary‘-Tradition, die v.a. seit den 1960er-Jahren den Dokumentarfilm mit dessen eigenen Stilmitteln parodiert und häufig künstlerische Prozesse zum Thema hat (The Rutles, 1978; This Is Spinal Tap, 1984). Die verwendeten Codes – u.a. die Autorität des Voice-Over-Kommentars, Archivfotos, Handkameraeinsatz, imperfekte Bildästhetik, als ‚talking heads‘ auftretende Experten und Zeitzeugen (vgl. Kleinschnitger 55f.) – kommen auch im Faking-of zum Einsatz, das zudem das satirische Projekt des ‚mockumentary‘ teilt: „to engage in a sustained critique of the set of assumptions and expectations that support the classic modes of documentary“ (Roscoe 910). Hierzu zählt etwa die angebliche Objektivität des Standpunkts angesichts einer postmodernen Problematisierung des Begriffs der Authentizität. Faking-ofs bilden eine Variante des künstlerischen Fakes bzw. ‚hoax‘, der traditionell vermittels eines von Künstlerkollektiven ersonnenen, mit Biographie und Werkkatalog ausgestatteten Strohmanns (wie Nat Tate oder Georg Paul Thomann) zwischen Teilhabe am Kulturbetrieb und Zurschaustellung seiner Mechanismen changiert. Dabei hat der Fake zumeist seine eigene Aufdeckung zum Ziel und provoziert den Skandal, um seine Kritik möglichst öffentlichkeitswirksam zu entladen. Wenngleich nicht alle Faking-ofs diesen Kontrakt einhalten, können sie doch als „symbolisches Handeln in symbolischen Räumen“ (Schneider 83) verstanden werden, indem sie sich in satirisch überspitzter Form an gängige Erzählskripte bzw. Plotmomente der verbreiteten Making-of-Erzählung halten.

    Wenngleich es nicht auf den Kontext von DVD-Kultur und klassischem Film-Making-of zu beschränken ist, findet das Faking-of hier seine meistverbreitete Form und wendet sich an den medienversierten, filmaffinen Zuschauer, der mit den metareflexiven Strategien des postmodernen Spielfilms vertraut sowie in der Lage ist, das häufig komplexe intertextuelle Geflecht zu entwirren. War der subversive Umgang mit dem DVD-Bonusmaterial zunächst noch die Domäne angeblicher ‚mavericks‘ innerhalb des Studiosystems wie der Coen-Brüder (vgl. Voigts-Virchow), stellen mittlerweile auch ‚big budget‘-Produktionen ihre eigene Gemachtheit aus oder arbeiten mit ,mockumentary‘-Strategien, wie der neuerliche Boom des ‚found-footage‘-Films (Cloverfield, 2008) belegt.

    Dass das Faking-of Eingang in den Mainstream gefunden hat, wird am Beispiel von Rain of Madness (2008) deutlich: Dieser Film findet sich als Bonus Feature auf der DVD von Tropic Thunder (2008), einer von Ben Stiller inszenierten Persiflage auf legendäre Hollywood-Kriegsfilme wie Platoon (1986). Darüber hinaus ist Rain of Madness eine Parodie des Making-ofs von Coppolas Apocalypse Now (Hearts of Darkness: A Filmmaker’s Apocalypse, 1991) sowie von Werner-Herzog-Filmen. Making-of-Konventionen und Filmvermarktungsstrategien werden durch Imitation und Überspitzung offengelegt, u.a. durch ziellos mäanderndes Voice-Over oder unpassende Archivbilder. Zudem werden zentrale Topoi des filmischen Making-ofs (u.a. der auf die Rhetorik der Genieästhetik rekurrierende Kampf zwischen unkorrumpierbarem Regisseur und Filmindustrie, die Topik der Schicksalhaftigkeit, Authentifizierungsstrategien) karikiert: In Rain of Madness erscheint der Regisseur als aufgeblasener Möchtegern-‚auteur‘; Interviews entlarven die zynische, pseudo-pazifistische Agenda des Kriegsfilms („The only difference between this film and Vietnam is that, with this film, we’re gonna win.“).

    Der in Rain of Madness aufs Korn genommene Werner Herzog nimmt sein Image als kompromissloser Filmpionier in Zak Penns Faking-of Incident at Loch Ness (2004) sogar selbst auf die Schippe. Hier lässt sich Herzog angeblich als Regisseur einer Loch-Ness-Dokumentation verpflichten, fällt dann allerdings den Manipulationen seines sensationsgierigen Produzenten Penn und der gegen ihn arbeitenden Crew zum Opfer. Auch dieser Film stützt sich auf die in Making-ofs perpetuierten Konventionen und Mythen, indem er Herzog als launischen Sturkopf porträtiert, der sich nicht aus dem Schatten der Kinski/Fitzcarraldo-Legende zu lösen vermag, glaubwürdige Interviewpartner zugunsten von illustren Spinnern übergeht und dokumentarisches Ethos mit der Bemerkung abtut, das sei „TV stuff“.

    Das Faking-of kann, wie bereits das klassische Making-of, einerseits als Paratext einem Hauptfilm nachgeordnet sein (The Muppets: Scratching the Surface, 2011) und tradierte Distributionskanäle (DVD) wie auch neuere (‚Viral Videos‘) nutzen, es kann aber auch den Haupttext überlagern bzw. ersetzen und die Grenzen zwischen Realität und Fiktion spielerisch verschieben (Exit through the Gift Shop, 2010; I’m Still Here, 2010), beispielsweise indem der ‚hoax‘ in weiteren Paratexten fortgeschrieben, eine Auflösung also verweigert wird.

    Incident at Loch Ness. USA 2004, Regie: Zak Penn.

    Kleinschnitger, Jürgen: Realität oder Fiktion? Ästhetik und Authentizität der Fernsehreportage. Berlin 2009.

    Rain of Madness. USA 2008, Regie: Justin Theroux.

    Roscoe, Jane: „Mocumentary.“ In: Encyclopedia of the Documentary Film, Bd. 2: H-O. New York 2006, S. 908-910.

    Schneider, Frank Apunkt: „Steal the world/Fake it a better place …: The Faking-of Georg Paul Thomann.“ In: Kultur und Gespenster 8 (2009), S. 81-87.

    Voigts-Virchow, Eckart: „Paratracks in the Digital Age: Bonus Material as Bogus Material in Blood Simple (Joel and Ethan Coen, 1984/2001).“ In: Werner Huber et al. (Hg.): Intermedialities. Trier 2007, S. 129-139.

    Wortmann, Volker: „special extended: Das Filmteam als kreativer Kollektiv-Körper im ,making-of‘.“ In: Hajo Kurzenberger et al. (Hg.): Kollektive in den Künsten. Hildesheim 2008, S. 39-60.

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    Forschung zum literarischen Making-of

    Die Erforschung des literarischen Making-ofs versucht aus unterschiedlichen, u.a. von der Disziplin abhängigen Perspektiven, mit variierender Zielrichtung und entsprechend differenzierten Methoden, Erkenntnisse über die Entstehung literarischer Texte zu gewinnen.

    Vor allem in den letzten Jahrzehnten avancierte der Schreibprozess zunehmend zu einem eigenen Forschungsgegenstand der Literaturwissenschaften. Dabei ist durchaus ein Bewusstsein für jene Aspekte zu erkennen, welche die ‚Critique Génétique‘ „das Zufällige, den Schwebezustand, die Sackgasse, die offene Alternative, die Schreibformen, die vom geraden Weg abweichen“ (Gréssilon, S.171)nennt. Dennoch wird die Dynamik des Schreibprozesses meist aus überlieferten Archivmaterialien rekonstruiert (retrospektives Making-of). Wenn dieser Zugang zum Making-of literarische Texte auch als beweglich und vielfältig veränderbar betrachtet, so interpretiert die Beschäftigung mit der Genese doch rückblickend die potentiellen Richtungen, in die sich das Werk, das in der Regel fertig gestellt vorliegt, auch hätte entwickeln können. In dieser Hinsicht ähnelt der Ansatz der Editionsphilologie, deren Ziel jedoch ein anderes ist, nämlich die vorliegenden Materialien eines Schreibprozesses an eine Öffentlichkeit zu vermitteln, in der Regel um dadurch das Textverständnis zu erhöhen (vgl. Gellhaus). Auch dies geschieht, nachdem der Prozess abgeschlossen ist, es wird also keine (simultane) Produktionsöffentlichkeit erzeugt. Bei allen Unterschieden in der methodischen Ausrichtung ist für beide Forschungsrichtungen die Frage nach der Materialität und Medialität literarischer Kommunikationsprozesse zentral (vgl. Zanetti, Einleitung, S.11).

    Empirische – qualitative und quantitative – Schreibforschungen, die teilweise simultan zum Schreibprozess Daten erheben (etwa mittels sogenannter Verbal Reports), beschäftigen sich hingegen fast ausschließlich mit der Bewältigung kürzerer Schreibaufgaben, meist aus sprachwissenschaftlicher Perspektive. Das Ziel besteht dabei in der Gewinnung didaktischer Einsichten zur Schreibpraxis. Eine differenziertere Typologie von Schreibstrategien, basierend auf der Auswertung hunderter – überlieferter, nicht zu diesem Zweck erhobener – Selbstzeugnisse Schreibender (Schriftsteller, aber auch Philosophen) entwarf der Sprachwissenschaftler Hans-Peter Ortner (vgl. Ortner). Wie Almuth Grésillon übt auch er Kritik an der Vorstellung von Schreibprozessen als Lösen vorwiegend kognitiver Probleme, wie sie v.a. an der Schnittstelle von Kognitionspsychologie, Linguistik und empirisch orientierter Schreibdidaktik vertreten wurde. Literarische Werke sind jedoch keine standardisierten Produkte und literarisches Schreiben kein zielgesteuerter, linearer Prozess mit zeitlich begrenzbaren Phasen.

    In der Erforschung des literarischen Schreibens aus wissenstheoretischer Perspektive (vgl. Zembylas / Dürr ) stehen nicht Texte im Mittelpunkt des Interesses, sondern die Erfahrungen von Schriftstellern bzw. die Frage danach, wie sie Herausforderungen bewältigen und mit der Offenheit und Nichtformalisierbarkeit des Schaffensprozesses umgehen. Erfahrungen sind jedoch niemals direkt zugänglich, sondern nur über die Beobachtung der Produktionsbedingungen und des Arbeitskontextes sowie über Aussagen von Akteuren erschließbar. Die Erforschung des Making-ofs von Schreibprozessen ist prinzipiell darauf angewiesen, dass diese Prozesse Spuren hinterlassen, entweder in Form von Manuskripten, Entwürfen, Arbeitsmaterialien und dergleichen oder in Form von Selbstzeugnissen und Auskünften von Schriftstellern.

    Interviews mit Schreibenden über ihre Arbeit haben eine lange Tradition. Sogenannte Werkstattgespräche (vgl. etwa Bienek, Arnold, Curtius sowie auch Kessler) erheben jedoch zumeist nicht den Anspruch, den Arbeitsprozess in theoretische Zusammenhänge weiter zu führen. Im Sinne traditioneller Autoren-Poetiken reflektieren darüber hinaus Autoren in zahlreichen ‚Berichten aus der Werkstatt‘ (vgl. etwa Haslinger / Treichel, Ortheil / Siblewski) den (zumeist eigenen) Schaffensprozess und die Herausforderungen, denen sie in der Aneignung, Weitergabe und damit verbunden auch der Versprachlichung ihres Könnens begegnen. Die Analyse gegenwärtiger Schreibprozesse (simultanes Making-of) ermöglicht es, solche Daten gezielter zu erheben (etwa mittels den Arbeitsprozess begleitender Schreibtagebücher). Das ändert jedoch nichts daran, dass stets eine Ungleichzeitigkeit bestehen bleibt, die genau genommen bereits im Moment des Schreibens beginnt (vgl. Zanetti, Einleitung, S.32f).

    Eine weitere Schwierigkeit der Verbalisierung des Making-ofs liegt darin, dass den Schreibenden nicht alle in den Schreibprozess einfließenden Wissensformen notwendigerweise bewusst werden, da sie ‚verinnerlicht’ bzw. nach langer Übung habitualisiert und somit primär im Tun inkorporiert sind (vgl. Neuweg S.8f). Die Möglichkeit der vollständigen Explikation aller Faktoren, die in einer Schreibhandlung eine Rolle spielen – von der etwa die Empirische Literaturwissenschaft ausgehen muss, um ihre Forderung nach Einhaltung (natur-)wissenschaftlicher Standards einzulösen (vgl. Schmidt) – ist nicht zu realisieren. Darüber hinaus ist bei vielen Autoren die Angst präsent, mit der Beschreibung ihres Tuns die Vielschichtigkeit des Denkens unzulänglich zu verkürzen, den kreativen Prozess auf beschreibbare Momente zu reduzieren und damit eine Abgeschlossenheit und Linearität zu konstruieren, um ihn mitteilbar zu machen. Zudem kann die (Selbst-)Beobachtung und Analyse störend auf den Arbeitsprozesses wirken.

    Das Bewusstsein der Interviewten über die Zitierbarkeit ihrer Aussagen beeinflusst sowohl, was sie sagen als auch die Art und Weise, wie sie ihre Schreiberfahrungen und sich selbst darstellen. Dieses gerichtete Bewusstsein kann niemals völlig eliminiert werden. In der Interpretation des empirischen Materials muss daher berücksichtigt werden, dass eine Differenz zwischen dem erfolgten (teils bewusst erlebten) Schreibprozess und der erzählten Schreiberfahrung bleibt (Inszenierung).

    Auf Grund der Tatsache, dass es keine universelle, zeitlose und kulturtranszendente Kompetenz geben und das literarische Making-of daher nur in Relation zu einer konkreten Praxis sinnvoll untersucht werden kann, können – bei aller Vorsicht der Verallgemeinerung – in der Erforschung von Arbeitsprozessen auch Aussagen über institutionelle Rahmenbedingungen, aktuelle literarische Konventionen und Praktiken gewonnen werden. Ästhetische Präferenzen und selbst gesetzte Ziele von Schriftstellern, die beim Verfassen literarischer Texte wirksam sind, entstehen nicht in einem isolierten Raum, sondern sind vielfach mit Berufsbildern, konkreten ökonomischen Beziehungen und anderen, nicht-ästhetisch immanenten Aspekten verknüpft. Die Rückgezogenheit während des Schreibens darf nicht darüber hinweg täuschen, dass Schriftstellerinnen eingebettet in ein konkretes Praxiskollektiv agieren. Somit ist eine solchermaßen praxisorientierte Auseinandersetzung mit der Gegenwartsliteratur auch implizit kulturpolitisch, da in der Untersuchung des literarischen Making-ofs Erkenntnisse darüber gewonnen werden, welche Rahmenbedingungen literarische Schaffensprozesse begünstigen können.

    Arnold, Heinz Ludwig: Gespräche mit Schriftstellern. München 1975.

    Bienek, Horst: Werkstattgespräche mit Schriftstellern. München 1964.

    Curtius, Mechthild: Autorengespräche: Verwandlung der Wirklichkeit. Frankfurt/Main 1991.

    Gellhaus, Axel: Die Genese literarischer Texte: Modelle und Analysen. Würzburg 1994.

    Gréssilon, Almuth: Literarische Handschriften: Einführung in die „critique génétique“. Bern et al. 1999.

    Haslinger, Josef / Hans-Ulrich Treichel (Hg.): Wie werde ich ein verdammt guter Schriftsteller? Berichte aus der Werkstatt. Frankfurt/Main 2005.

    Kessler, Florian: Werkstattgespräche: Funktionen und Potentiale einer Form literarischer Praxis. Salzhemmendorf 2012.

    Neuweg, Georg Hans: Könnerschaft und implizites Wissen: Zur lehr-lerntheoretischen Bedeutung der Erkenntnis- und Wissenstheorie Michael Polanyis. Münster 2001.

    Ortheil, Hanns-Josef / Klaus Siblewski: Wie Romane entstehen. München 2008.

    Ortner, Hanspeter: Schreiben und Denken. Tübingen 2000.

    Polanyi, Michael: Implizites Wissen. Frankfurt/Main 1966.

    Schmidt, Siegfried J.: Grundriß der Empirischen Literaturwissenschaft. Frankfurt/Main 1980.

    Zanetti, Sandro (Hg.): Schreiben als Kulturtechnik: Grundlagentexte. Berlin 2012.

    Zembylas, Tasos / Claudia Dürr: Wissen, Können und literarisches Schreiben: Eine Epistemologie der künstlerischen Praxis. Wien 2009.

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    Fragment

    Ein Fragment (von lat. ‚fragmentum‘, ,Bruchstück’, ,Splitter’, ,Überbleibsel’) bezeichnet Werke der Literatur und Kunst, die in ihrer „ideellen Struktur eine Unterbrechung aufweisen“ (Ostermann 1996, 455). Dabei verweist der Begriff immer auf eine abwesende Ganzheit, auch wenn er zuweilen die Idee einer möglichen Totalität negiert. Die Theorie des Fragments hat im Laufe ihrer Geschichte viele Veränderungen und Weiterentwicklungen erfahren, die für eine Diskussion des Making-ofs bedeutsame Fragen aufwerfen „nach der Möglichkeit oder Unmöglichkeit, nach der Wahrheit oder Unwahrheit eines ganzheitlichen und geschlossenen Kunstwerks“ (Ostermann 1991, 14f.).

    Sowohl unvollständig überlieferte als auch unvollendete Werke werden als Fragment bezeichnet. Bei Letzteren kann zwischen solchen Werken unterschieden werden, die aufgrund von äußeren Umständen unvollständig geblieben sind, z.B. Goethes Urfaust (1772-75), und jenen, die absichtlich nicht vollendet wurden. Der bewusste Einsatz fragmentarischer Strukturen nutzt die Unvollständigkeit als konstitutives Element. Die resultierenden Phänomene reichen vom absichtlich unvollendeten Roman bis zu jenen Werken der Moderne, die sich innerhalb eines offenen und unabschließbaren Produktions- und Rezeptionsprozesses verorten, wie etwa James Joyces Finnegans Wake (1923-39).

    Wichtige Grundlage für die Diskussion ist der aristotelische Begriff der ‚Definition’, der „das Besondere unter das Allgemeine subsumiert und es darin integriert“ (Dällenbach 7). In der Antike kennt man daher die Bezeichnung ‚Fragment’ für unvollendete Werke nicht, sehen sich die Künste doch grundsätzlich einer Ganzheit verpflichtet, die als ästhetische Kategorie bis in die Frühe Neuzeit das Unvollendete wertlos macht. So heißt es in Thomas von Aquins Summa Theologica (1265-73): „Die Dinge nämlich, die verstümmelt sind, sind schon deshalb häßlich“ (zit. nach Ostermann 1996, 458). Erst im 18. Jahrhundert wird das Fragment als eigenständige Gattungsform eingeführt. Johann Georg Hamann und Johann Gottfried Herder leiten einen entschiedenen Perspektivwechsel ein, der bewusst unvollständige Texte fördert und entgegen einer als überholt und unnatürlich wahrgenommenen Ganzheitsästhetik das „unverfälscht Emotionale“ (Ostermann 1996, 459) im Fragment betont. Auch das Verhältnis zwischen Teil und Ganzem wird neu bestimmt, was zu einer Emanzipation des Fragmentarischen gegenüber seiner potenziellen Vervollkommnung führt.

    In der Bildenden Kunst ist es vor allem Johann Joachim Winckelmann, der in seiner Beschreibung des Torso im Belvedere zu Rom (1759) das fragmentarische Torsomotiv zum Ideal erhebt. Damit macht er den Weg für zukünftige Abstraktionstendenzen frei, allen voran bei Auguste Rodin, mit dem sich die fragmentarische Skulptur als vollendetes Werk durchsetzt (vgl. Bennert 301). Auch in der Malerei favorisiert man immer mehr fragmentarisierte Formen und Körper, die vor allem durch die Impressionisten zur Metapher der Moderne werden (vgl. Nochlin 24).

    In Deutschland geht mit den Weltkriegen immer mehr der Glaube an die Möglichkeit einer Gesamtheit verloren; Theodor W. Adornos Ausspruch „Das Ganze ist das Unwahre“ (zit. nach Sorg / Würffel 7) wird zum Kernsatz eines weit verbreiteten Zeitempfindens. Angesichts der Erlebnisse des Holocaust und des „Trümmerhaufens der Geschichte“ (Würffel 132) erscheint jedes Totalitätsversprechen obsolet; nahezu alle Avantgardebewegungen der Moderne negieren die Ganzheitsansprüche des vergangenen Jahrhunderts und werten die Form des Fragments auf. Künstlerische Formate wie Collagen und Montagen sowie die sprachliche und semantische Offenheit moderner Literatur betonen das Bruchstück in einer widersprüchlichen Welt stärker als die Idee eines ästhetischen Ganzen (vgl. Würffel 130). Diese Ideen bleiben bis heute erhalten und spiegeln sich beispielsweise in den aufgelösten Handlungsmodellen des postmodernen Theaters, das eine geschlossene, organische Form verweigert.

    Für das Making-of bleibt festzuhalten, dass Totalität seit der Romantik als grundsätzlich nicht verfügbar und daher nicht darstellbar gilt. Obwohl das Fragment die Idee der Ganzheit immer mitdenkt und sich nur in Verhältnis zu ihr definieren lässt, hinterfragt es gleichzeitig ihre Bedingungen. Die Tendenz zur Fragmentarisierung beinhaltet damit ein Misstrauen gegenüber dem Vollendeten, dem endgültig Fertigen. Die vormals unantastbare Idee des Werkganzen fällt schon im 18. Jahrhundert auf die Stufe eines „Durchgangsstadiums für den sich historisch entfaltenden Sinn“ (Ostermann 1996, 459) zurück. Ähnlich zeigen auch Making-of-Formate auf, dass sich jedes vermeintlich ‚fertige’ Werk in einem unendlichen Kontext von Produktion und Rezeption befindet und erst hier überhaupt vervollkommnet werden kann. Damit ist jedes Produkt zunächst Fragment, alles fertig Geglaubte unfertig und der Wert eines Werkes nicht am vermeintlichen Endprodukt zu bestimmen. So gedacht, verliert das Making-of seine existentielle Abhängigkeit von einem (vollendeten) Werk endgültig und wird zum medialen Zeichen einer Generation ununterbrochener Machensprozesse.

    Bennert, Uwe: „Bemerkungen zur Problematik des Fragmentarischen im ‚musealen‘ Kontext vor Rodin.“ In: Arlette Camion et al. (Hg.): Über das Fragment – Du fragment. Heidelberg 1999, S. 301-315.

    Dällenbach, Lucien: „Vorwort.“ In: Ders. et al. (Hg.): Fragment und Totalität. Frankfurt/Main 1984, S. 7-17.

    Nochlin, Linda: The Body in Pieces. The Fragment as a Metaphor of Modernity. London 2001.

    Ostermann, Eberhard: „Fragment.“ In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 3. Tübingen 1996, Sp. 454-464.

    Ostermann, Eberhard: Das Fragment. Geschichte einer ästhetischen Idee. München 1991.

    Sorg, Reto / Stefan Bodo Würffel: „Vorwort.“ In: Dies. (Hg.): Totalität und Zerfall im Kunstwerk der Moderne. München 2006, S. 7-10.

    Würffel, Stefan Bodo: „,Den Trümmern allein trau ich was zu…‘: Zur Kritik des Gesamtkunstwerks.“ In: Reto Sorg / Stefan Bodo Würffel (Hg.): Totalität und Zerfall im Kunstwerk der Moderne. München 2006, S. 117-132.

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    Genie

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    Gerhard Richter Painting

    Gerhard Richter Painting (2011) ist ein Dokumentarfilm von Corinna Belz, der den Künstler bei der Arbeit an einer abstrakten Bildserie zeigt. Über einen Zeitraum von drei Jahren wird Richter in seinem Kölner Atelier begleitet, um den gesamten Prozess von der Bespannung der Leinwände bis hin zur Ausstellung der Bilder zu verfolgen. Richter wird in seinem privaten Atelier beim Anrühren der Farbe, bei der Arbeit mit der Rakel auf der Leinwand, beim Überprüfen der verschiedenen Produktionsstufen und beim Betrachten der finalen Werke beobachtet. Der Film, der sich als Making-of dem Prozess des Malens wie auch der Person Richters verschreibt, kommt ohne Sprecherkommentare aus. Nur vereinzelt werden Gespräche vor der Kamera sowie Atelierbesprechungen, Pressekonferenzen und Archivaufnahmen gezeigt.

    Wie der auf das Prozessuale und den Aspekt des Machens deutende Titel suggeriert, versucht die Regisseurin, den künstlerischen Prozess für sich sprechen zu lassen: „Oft wird der Maler gefragt: Was haben Sie sich dabei gedacht? Man kann sich aber nichts dabei denken, weil es eine andere Form des Denkens ist“ (Richter zit. nach Reichert). Im Mittelpunkt des Films stehen Richters Techniken und die Bearbeitung bereits begonnener Bilder, ihre komplette Übermalung oder die Freigabe fertiger Arbeiten. Diese Schwerpunktsetzung ist ganz im Sinne Richters, der wiederholt betont: „Über Malerei zu reden, hat keinen Sinn“ (zit. nach Höhne). Der Künstler lehnt damit eine sprachliche Auseinandersetzung mit malerischen Prozessen ab; und auch seine Assistenten finden nur kurze Erläuterungen, „als müsste eine anstrengende Übersetzungsleistung erbracht werden“ (Reichert). In diesem Sinne stellt sich für ein Making-of von Richters Arbeit die Frage, ob eine filmische Vermittlung dort weiterhelfen kann, wo die Sprache versagt.

    Richter selbst betont zu Beginn der Dreharbeiten, dass Malen „eine heimliche Angelegenheit“ sei: „Wenn ich weiß, ich werde gefilmt, dann gehe ich anders, irgendetwas ist dann anders“ (zit. nach Höhne). Daher lässt die Regisseurin ihn auch zu Beginn selbst die Kamera auf einem Stativ befestigen und demonstriert so sein Einverständnis mit dem Gezeigten (vgl. Butin).

    Obwohl der Film versucht, durch die physische Präsenz Richters an dem nonverbalen Dialog zwischen ihm und dem Bild teilhaben zu lassen, äußert sich Richters ehemaliger Assistent Hubertus Butin kritisch zu Belz’ Herangehensweise. Die komplexe Genese der abstrakten Malereien würde zwar eine Beobachtung lohnen, die ein „wichtiges historisches Dokument zur künstlerischen Malpraxis Gerhard Richters“ sei, doch liefere der Film kaum mehr als „reine Schauwerte“, die den Betrachter unterforderten; eine „intellektuelle Durchdringung des Gezeigten“ finde dagegen „schlichtweg nicht statt.“ Dieser Konflikt sei der ihr durchaus bewusst gewesen, so die Regisseurin dagegen, doch habe sie Prioritäten setzen müssen: „Was mich am meisten interessierte, war die Arbeit im Atelier. Die Gegenwart. Der genuine Prozess, Farbe auf eine Leinwand zu bringen.“ Dennoch scheint Belz den Künstler „für den besten Exegeten seines Werks“ (Rauterberg) zu halten, verleitet sie ihn doch immer wieder mit ihren Fragen zu lakonischen Kommentaren, die selbst ein bestimmtes Künstlerbild inszenieren.

    Der Film spielt mit dem Wissen um Richters Unnahbarkeit und betont die Einmaligkeit der Möglichkeit, dem scheuen Künstler im Massenformat des Kinofilms nahe zu kommen und das vermeintliche Geheimnis seiner Arbeit zu lüften. Dabei wird immer wieder deutlich, dass es im Laufe der Arbeit auch zu Umwegen und Zufällen kommt, die tatsächlich eine wesentliche Rolle für den Fortgang des Prozesses spielen. Belz’ Film präsentiert daher sowohl intuitive Entscheidungen als auch kritische Betrachtungen und Zweifel als wichtige Entwicklungsstufen, die weitere Arbeitsschritte prägen oder neue Produkte hervorbringen. Da weder isolierbare Produkte noch rein intentionale Vorgehensweisen auszumachen sind, so das filmische Resümee, darf grundsätzlich nicht von einer Linearität kreativer Prozesse ausgegangen werden.

    Belz, Corinna. „Director’s Note.“ In: Gerhard Richter Painting [Website zum Film], http://www.gerhard-richter-painting.de/directors_note.php [Letzter Zugriff: 2. April 2013].

    Butin, Hubertus: „Gerhard Richter auf der Leinwand.“ In: Texte zur Kunst vom 25. Juli 2011, http://www.textezurkunst.de/daily/2011/jul/25/gerhard-richter-corinna-belz-hubertus-butin [Letzter Zugriff: 1. März 2013].

    Gerhard Richter Painting. Deutschland 2011, Regie: Corinna Belz.

    Höhne, Arne (Hg.): Presseheft Gerhard Richter Painting. Berlin 2011.

    Rauterberg, Hanno: „Weggerakelt. Ein Kinofilm will das große Gerhard-Richter-Geheimnis lüften.“ In: Zeit Online vom 8. September 2011, http://www.zeit.de/2011/37/Film-Gerhard-Richter [Letzter Zugriff: 2. April 2013].

    Reichert, Kolja: „Die intimen Momente des Malers Gerhard Richter.“ In: Die Welt vom 7. September 2011, http://www.welt.de/kultur/kino/article13585995/Die-intimen-Momente-des-Malers-Gerhard-Richter.html [Letzter Zugriff: 2. April 2013].

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    Germany's Next Topmodel

    Um ein langjährig erfolgreiches und auch wissenschaftlich viel beachtetes Beispiel eines simultanen Making-ofs, das jedoch (bis auf die finale Live-Show) retrospektiv rezipiert wird, handelt es sich beim Castingshow-Format Germany’s Next Topmodel (GNTM), das als Adaption eines US-amerikanischen Formats seit 2006 für den Fernsehsender ProSieben produziert wird.

    In (pseudo-)dokumentarischer Form (vgl. Decker 136) wird die expertengeleitete Verwandlung junger Frauen in Models dargestellt, an der die Produktionsöffentlichkeit im mehrmonatigen Staffelverlauf in vorproduzierten und wöchentlich ausgestrahlten Sendungen als Beobachter Anteil nimmt. Als Format des performativen Reality-TV (vgl. Keppler 8) ist die Sendung durch dramaturgische Konstruktionen vor einem realen Hintergrund gekennzeichnet (vgl. Lünenborg/Töpper 183).

    Das offizielle Ziel besteht darin, das nächste deutsche Topmodel zu (er-)finden und zu formen, welches final in einer abendfüllenden Live-Show ernannt wird. Als Erschaffer des Topmodels wird dominant die als solche dargestellte Experten-Jury inszeniert, deren Vorsitz Heidi Klum, Model, Fernsehberühmtheit und Co-Produzentin des Formats, innehat. Die Kandidatinnen werden von den Mitgliedern der Jury zunächst hinsichtlich ihrer Eignung für das Modelbusiness ausgewählt, müssen unter Anleitung und Aufsicht der Jury im Staffelverlauf verschiedene vermeintlich berufstypische Aufgaben lösen und in einer wöchentlichen Entscheidung vor den Juroren bestehen. Anders als in anderen Castingshows, wie beispielsweise Deutschland sucht den Superstar (seit 2002), deren Dramaturgie den Zuschauern ein Mitspracherecht am Schaffungsprozess verspricht, verbleiben die Zuschauer von GNTM in einer passiven Beobachterrolle – das Making-of von GNTM unterliegt anscheinend der alleinigen Autorität der Jury-Mitglieder (vgl. zur Rolle und Darstellung der Jury u.a. Decker 137-139 und Weber et al. 65-72).

    Anteil haben die beobachtenden Zuschauer am Making-of eines Models – und nicht zuletzt am Making-of einer Frau, das nicht nur gekennzeichnet ist von der Arbeit am eigenen Körper, sondern auch von der angeleiteten Formung und Optimierung der eigenen ‚Personality‘, einem Lernen in Anpassung und Disziplin sowie der Überwindung von Vorbehalten und Ängsten (vgl. hierzu auch Larjow et al. 103-123).

    Gezeigt wird ein Transformationsprozess von ‚Mädchen‘, die unter Anleitung der erfahrenen Jury im Zeitraffer zu erwachsenen Frauen werden, die sich möglichst perfekt in die dargestellte Topmodel-Welt einfügen. Dem Anspruch der völligen Einpassung in das Modelbusiness wird die fortwährende Versicherung entgegengestellt, dass es sich bei den Teilnehmerinnen um ganz ‚normale‘ und authentische Mädchen handle. So wird die Authentizität des Dargestellten kontinuierlich beteuert und durch Strategien der Realitätsbeglaubigung untermauert. Unter anderem die dokumentarische Form, die Einbindung privater Details der Protagonisten, emotionale Ausbrüche sowie scheinbar überraschende Entwicklungen und Entscheidungen verweisen neben der ‚Echtheit‘ des Gezeigten auch auf die vermeintliche Ergebnisoffenheit des beobachtbaren Schaffungsprozesses. Insbesondere in den neueren Staffeln des Formats ist zudem eine zunehmende narrative Einbindung der am Produktionsprozess beteiligten Akteure (Maske, Kamera, Aufnahmeleitung etc.) zu beobachten – nicht nur der Prozess des Star-Machens, sondern auch die Arbeitsweise des Mediums Fernsehen wird so scheinbar offengelegt und rückt in den Erfahrungshorizont der Zuschauer.

    In jeder Staffel finden sich wiederkehrende narrative Elemente wie die ‚Umstyling‘-Sequenzen, die als dramatisierte Toilettenszenen beschrieben werden können: Im Rahmen des ‚Großen Umstylings‘ müssen sich die Kandidatinnen oft unter Tränen und Widersetzungsversuchen von ihrem alten Aussehen verabschieden und erhalten entsprechend der Jury-Vorstellungen ein neues Aussehen. In den Vordergrund tritt u.a. durch diese Szenen das zentrale Thema der Erzählung: die aktive Formung und Disziplinierung der Teilnehmerinnen gemäß eines formatseitig festgelegten Ideals, das sich schließlich in der Siegerin, dem Produkt des dargestellten Making-ofs, wiederfindet.

     

    Decker, Jan-Oliver: „,Germany’s Next Topmodel‘ – Initiation durch Domestikation. Zur Konzeption der Person in Castingshows.“ In: Petra Grimm / Oliver Zöllner (Hg): Medien – Rituale – Jugend. Perspektiven auf Medienkommunikation im Alltag junger Menschen. Stuttgart 2011, S. 135-156.

    Germany’s Next Topmodel. Deutschland 2006ff., RedSeven Entertainment für ProSieben.

    Keppler, Angela: Wirklicher als die Wirklichkeit? Das neue Realitätsprinzip der Fernsehunterhaltung. Frankfurt/Main 1994.

    Larjow, Eugenia et al.: „Beratung versus Erniedrigung, oder: Welches Lehr-Lernverhältnis wird hier gezeigt?“ In: Ulrike Prokop et al. (Hg.): Geiles Leben, falscher Glamour. Beschreibungen, Analysen, Kritiken zu Germany’s Next Topmodel. Marburg 2009, S. 103-123.

    Lünenborg, Margreth / Claudia Töpper: „Skandalisierung in Castingshows und Coachingsendungen.“ In: Daniel Hajok et al. (Hg.): Auf Augenhöhe? Rezeption von Castingshows und Coachingsendungen. Konstanz 2012, S. 179-192.

    Weber, Annemarie et al.: „Die Jury“. In: Ulrike Prokop et al. (Hg.): Geiles Leben, falscher Glamour. Beschreibungen, Analysen, Kritiken zu Germany’s Next Topmodel. Marburg 2009, S. 65-72.

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    Geschichte wird gemacht

    Die Vorstellung, dass Geschichte ästhetischen und sozialen Konstruktionsprozessen unterliegt, ist ein allgegenwärtiger Topos nicht nur in den Künsten, den Medien und der Populären Kultur geworden, sondern ist auch in der Geschichtswissenschaft selbst angekommen. Geschichte wird gemacht und ihr Gemacht-Sein wird reflexiv ausgestellt: in theatralen Formen wie dem Re-enactment, in medialen und musealen Inszenierungen der Figur des Zeitzeugen oder in populären Eingriffen in kanonisierte Geschichtsbilder in Form von Mocumentaries.

    Damit jene Formen des Making-ofs von Geschichte entstehen konnten, ist es ideengeschichtlich entscheidend gewesen, dass der Kollektivsingular Geschichte als Material und als Form aus dem Kontinuum des Zeitverlaufs herausgelöst wurde. Als Material wird Geschichte verfügbar, als Form wird sie erzählbar. Hierfür setzt Immanuel Kants Begriff des Geschichtszeichens von 1798 die Voraussetzungen. Ein Geschichtszeichen bezeichnet Ereignisse in der Geschichte, die als Zeichen für eine dynamische und progressive Entwicklung der Menschen und ihrer Gesellschaften verstanden werden können. Kant entwickelt seine Idee des Geschichtszeichens am Beispiel der Französischen Revolution. Geschichtszeichen sind somit Zeichen für historischen Fortschritt; für ein „Fortschreiten zum Besseren“ (Kant, Abschnitt 7). Damit ist aber auch gesagt, dass Geschichte erstens ein offener Prozess ist und zweitens vom Menschen gemacht wird; die einzelnen Subjekte wie auch die Gattung kommen als Akteure einer sich zum Besseren entwickelnden Geschichte in den Blick.

    Dabei ist entscheidend, dass der Begriff des Geschichtszeichens auf einer Trennung von Ereignis und Betrachter aufbaut. Erst die Tatsache, dass wir einem geschichtlichen Ereignis wie der Französischen Revolution nicht beiwohnen – wohl aber in der Distanz der Betrachtung „eine Theilnehmung dem Wunsche nach“ (ebd. Abschnitt 6) empfinden –, lässt es als ein Zeichen für den historischen Fortschritt erkennbar und relevant werden. Erst durch die Einbindung der Perspektive des (medialen) Publikums können wir davon sprechen, dass Geschichte gemacht wird.

    Durch die Voraussetzung einer Distanz von Ereignis und Betrachter öffnet sich ein Spielraum für Medien und Narrative, für Vermittlungsformen und das Erzählen von Geschichte. Entscheidend für eine – natürlich nicht ungebrochene – Fortschreibung des kantischen Geschichtszeichens sind die Analytische Philosophie der Geschichte von Arthur C. Danto (1965) sowie das Konzept der ,Metahistory‘ von Hayden White (1973). Danto arbeitet den Zusammenhang zwischen einer historischen Erklärung und ihrer spezifischen Erzählung heraus und macht deutlich, dass plausible Erzählungen zu plausiblen Erklärungen führen bzw. verleiten. White konzentriert sich auf die narrative Beschaffenheit von historiographischen Texten. Die Geschichtsschreibung wird von ihm als literarische Gattung analysiert; somit kommen Fragen wie nach der Präsenz des Erzählers in historiographischen Texten (bzw. seiner Unsichtbarkeit) in den Blick.

    Damit sind die gedanklichen Grundlagen gelegt, das grundsätzliche Gemacht-Sein und das spezifische Geformt-Sein von Geschichte in ästhetischen Formaten selbst auszustellen. Re-enactments bilden dabei eine Form des klassischen Making-ofs, indem sie (welt-)historische Begebenheiten als gleichzeitig faktisch Geschehenes und performativ Angeeignetes zeigen. Die Präsenz der Zuschauer wie auch die offene Landschaftsbühnensituation führen zu einer autopoietischen Feedbackschleife, die die Betrachter des Re-enactments zu Teilnehmern der Geschichte wie auch zu Teilnehmern an der Herstellung von Geschichte macht.

    Weil historische Ereignisse heute aber primär als visuelle Zeichen wahrgenommen werden, finden sich auch die Formen des Making-ofs vermehrt in der technischen und digitalen Bildkultur. So haben die Einführung von The History Channel wie auch die Etablierung von Geschichtszeitschriften zu einer Popularisierung der Vermittlung von Geschichte beigetragen und dabei nicht zuletzt die Narrative der Geschichtserzählung durch Formen wie Vergrößerung und Wiederholung, Serialisierung und Verdichtung erweitert, wie übergreifend die erklärenden Plotstrukturen durch jene Formate emotionalisiert und individualisiert wurden. Aber auch Mockumentaries können als Formate verstanden werden, die auf das Gemacht-Sein von Geschichte hinweisen, indem sie sich an massenmedialen Geschichtsbildern abarbeiten. In dieser Perspektive sind Mockumentaries unterhaltsame und/oder subversive Paratexte zu visuellen Referenztexten, die sie in ihrer (oft spekulativen) Wirkungsästhetik aus- und bloßstellen.

    Schließlich generieren Geschichtszeichen gegenwärtig neue Akteure der Geschichtsvermittlung und Geschichtsinszenierung. Eine der hervorstechendsten Figuren ist dabei der Zeitzeuge. Jener steht zwischen kanonisierter Geschichte und individuellen Geschichten und ist seit seinem Auftritt im Prozess gegen Adolf Eichmann von 1961 eine mediale Figur. Annette Wieviorka (2006) hat gezeigt, dass der Begriff und die gesellschaftliche Anerkennung der Figur des Zeitzeugen erst im Verlauf der täglichen Live-Übertragung des Eichmann Prozesses entstanden sind. Entscheidend für die aktuelle Popularisierung der Figur des Zeitzeugen in Dokumentationen oder Docufictions, im musealen Kontext oder als Live-Performer ist die Tatsache, dass die Frage, wie Geschichte gemacht wird, in der Figur des Zeitzeugen in ihrer Dialektik zur Anschauung kommt: Geschichte in ihrer modernen Fassung wird von dem Einen und von den Vielen gemacht. Das ‚Selbst‘ kommt zu einem Verständnis seines Selbst in der Anschauung vergangenen Geschehens – doch die Erkenntnis einer eigenen Geschichte hat zur Voraussetzung, dass Geschichte seit dem 18. Jahrhundert als Menschheitsgeschichte imaginiert wird. Der Einzelne macht nur dann Geschichte, wenn er beobachtet und darstellt, dass die Menschheit Geschichte macht. Formate des retrospektiven wie des simultanen Making-ofs haben entsprechend auch die Figur des Zeitzeugen reflexiv durchdrungen: Im Erzählen von Geschichte beobachten wir an uns selbst und an anderen, dass und wie wir Geschichte konstruieren.

    Danto, Arthur C.: Analytical Philosophy of History. London 1965.

    Kant, Immanuel: Der Streit der Facultäten in drei Abschnitten. Königsberg 1798.

    White, Hayden: Metahistory. The Historical Imagination in Nineteenth-Century Europe. Baltimore 1973.

    Wieviorka, Annette: „The Witness in History.“ In: Poetics Today 27.2 (2006), S. 385-397.

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    Gespräche mit Goethe (Eckermann)

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    Gestus des Zeigens

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    Haircut (No. 1) (Warhol)

    1963 gedreht, zählt Haircut (No. 1) zu den frühen Stummfilmen Andy Warhols. Zu sehen sind vier Männer in einem Loft, von denen einer dem augenscheinlich Jüngsten unter ihnen das Haar schneidet. Der Film lässt sich demnach als Toilettenszene einordnen, wird hier doch vor laufender Kamera dem Zeitgeschmack – oder besser: den Schönheitsvorstellungen einer bestimmten soziokulturellen Gruppe – entsprechend Männerschönheit hergestellt. Darüber hinaus lässt sich die nur vordergründig belanglose Alltagshandlung als metaphorische Umschreibung einer homosexuellen Mannwerdung und damit als Making-of einer schwulen Identität verstehen.

    Haircut (No. 1) wirkt von Beginn an erotisch aufgeladen. Zunächst scheint dies allerdings weniger dem titelgebenden Sujet als vielmehr dem Auftreten Freddy Herkos geschuldet: In der ersten Einstellung posiert der Tänzer mit entblößtem Oberkörper in der linken Hälfte des Kaders. Durch seine enge weiße Jeans zeichnet sich sein Geschlecht deutlich ab. Nach etwa zwei Minuten dreht sich Herko um, geht wiegenden Schrittes nach hinten – präsentiert also Rücken und Gesäß – und blickt noch einmal aufreizend über die Schulter, bevor er sich ins Halbdunkel begibt. Unterstrichen wird das Verführerische dieses Tuns (Krüger 153f.) durch den am rechten unteren Bildrand sitzenden Billy Name, der in alttestamentarischer Manier (1. Mose 3,6) einen Apfel isst.

    In den folgenden Einstellungen ändert sich die Position Herkos vor allem insofern, als er zwar weiterhin die Blicke auf sich lenkt, zugleich aber den eigenen Blick auf eine dritte Person richtet: Übereinstimmend mit den Darstellungskonventionen von Beefcake-Magazinen nun bis auf einen Cowboyhut unbekleidet (Hooven 40, 115), beobachtet er, wie Name dem im Vordergrund sitzenden John Daley das Haar kürzt. Herko fixiert Daley sichtlich angetan, befeuchtet seine Lippen, bewegt genüsslich eine Pfeife im Mund vor und zurück – verleiht seinem sexuellen Verlangen also unmissverständlichen Ausdruck. Aus der Kameraperspektive wiederum verdeckt der sich hebende und senkende Arm Names Partien Herkos (etwa das Gesicht) und gibt im Gegenzug andere (wie die Brust) frei, wodurch das Ausgestelltsein des athletischen behaarten Körpers noch augenfälliger wird.

    Dass Haircut (No. 1) nicht nur homosexuelles Verlangen artikuliert, sondern vielleicht auch das gleichsam rituelle Making-of einer klar umrissenen schwulen Identität zelebriert, verdeutlicht die Anbindbarkeit des vorgeblich alltäglichen Geschehens an die antike Tradition, durch das öffentliche – also wie im Film vor Zeugen stattfindende – Abschneiden (und Deponieren) des Haars den Eintritt in eine neue Lebensphase zu markieren. Bei der depositio crinium handelte es sich um ein Übergangsritual, bei dem unter anderem der zwischen Männern unterschiedlichen Alters übliche Geschlechtsverkehr (genauer: die Rollenzuweisung bei der Pedicatio) neu geregelt wurde, denn seinerzeit hieß vom Jüngling zum Mann zu reifen auch, vom passiven zum aktiven Liebhaber zu werden. Dementsprechend war das Ritual erotisch konnotiert (Obermayer 103-114). Auf Warhols Film zurückgewendet ließe sich das Haareschneiden also dahingehend deuten, dass Daley in den Kreis der reiferen Männer aufgenommen wird, was wohl eine Veränderung der bis dahin gelebten sexuellen Praxis einschließt.

    Wesentlich scheint zudem, dass mehr noch als der Blick Herkos die Anwesenheit der Kamera jene Öffentlichkeit garantiert, die das Ritual braucht, um wirksam zu werden (Braungart 106f.). Dass sich alle vier Männer zum Schluss ostentativ die Augen reiben, verleiht der Szene etwas Spielerisches (Grundmann 79) oder Traumhaftes (Murphy 23), mag im Rahmen der hier vorgeschlagenen Lesart aber auch das Ende des Rituals, also die Rückkehr in die Realität anzeigen. Gleichzeitig reflektiert das Augenreiben den Produktionsprozess des Films selbst, haben die Protagonisten für die letzte Einstellung doch minutenlang nicht nur in die Kamera, sondern auch in das für die Aufzeichnung notwendige Scheinwerferlicht gestarrt.

    Braungart, Wolfgang: Ritual und Literatur. Tübingen 1996.

    Grundmann, Roy: „The Tenderness of Scissors in Haircut (No. 1).“ In: Glyn Davis, Gary Needham (Hg.): Warhol in Ten Takes. Houndmills/New York, S. 66-83.

    Haircut. USA 1963, Regie: Andy Warhol.

    Hooven III, F. Valentine: Beefcake. The Muscle Magazines of America 1950-1970. Köln 1995.

    Krüger, Klaus: „Der Blick ins Innere des Bildes. Ästhetische Illusion bei Gerhard Richter.“ In: Pantheon. Internationale Jahreszeitschrift für Kunst 53 (1995), S. 149-166.

    Murphy, J. J.: The Black Hole of the Camera. The Films of Andy Warhol. Berkeley/Los Angeles/London 2012.

    Obermayer, Hans Peter: Martial und der Diskurs über männliche „Homosexualität“ in der Literatur der frühen Kaiserzeit. Tübingen 1998.

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    Hand

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    History Channel

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    Houwelandt: Ein Roman entsteht

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    How-to

    How-to-Formate (auch ,HowTo‘ oder ,How2‘) sind Making-of-Formate, da auch sie, allerdings eher auf informelle Weise, Produktionsprozesse dokumentieren und weitergeben. How-to-Formate sind in einer Kultur des DIY zu verorten, in der sich jeder zum Experten ernennen und seine Expertise wiederum in Form von How-tos zur Verfügung stellen kann.

    How-to-Formate sind retrospektive Making-ofs mit zugleich prospektivem Charakter, indem sie Anleitungen künftiger Produktionsprozesse darstellen und als solche rezipiert werden, jedoch zur Beschreibung des Produktionsprozesses häufig retrospektiv editiertes Bild- und Filmmaterial verwenden.

    How-tos finden sich in verschiedenen Medienformaten. Printmedien, die Anleitungsformate auf Papier vermitteln, waren neben der oralen Weitergabe von Wissen und Können das Hauptmedium innerhalb der Buchkultur (vgl. Kuni 136f.). Anleitungen werden in Form von Ratgeberliteratur und Kochbüchern ebenso publiziert wie in Zeitschriften oder als lose Bauanleitungen für Möbel einer Prosumer-Kultur des DIY, die den Konsumenten als Ko-Produzenten in die Fertigstellung und Individualisierung des Produktes miteinbindet.

    Mit der technologischen Entwicklung von bildlichen und filmischen Aufzeichnungssystemen sowie mit der Einführung neuer Medientechnologien des Internet und des Web 2.0 ändern sich auch die Darstellungsmöglichkeiten von Anleitungsformaten. Als informelle How-to-Formate werden sie unter anderem im Rahmen einer DIY-Kultur ins Netz eingespeist.

    Neben Internet-Blogs und Online-Communities nimmt hierbei YouTube als Video-Internetportal eine prominente Stellung ein. Von den Videos, die hier von Usern hochgeladen werden, gibt es eine große Zahl von Making-of-Formaten, die sich größtenteils als Video-Tutorials How-to-Formaten zurechnen lassen. Hierbei finden sich Tutorials von How to Apply Eyeliner bis zu How to Yodel. How-to-Formate finden sich aber auch auf anderen Plattformen, wie beispielsweise dem „multi-platform distribution network“ Howcast, das neben den auf YouTube verlinkten Tutorials auch eine eigene How-to-Website betreibt, die laut Selbstauskunft Tutorials von How to Bake a Cake bis How to Survive an Alien Abduction zur Verfügung stellt.

    Diese Beispiele zeigen die Bandbreite von How-to-Videos: Sie reichen von Alltagstipps wie Schmink- und Kochtutorials über Anleitungen für spezielles Können und Fertigkeiten bis hin zu Parodien und Fun-Videos. Gerade Parodien reproduzieren Form, Aufbau und Struktur sowie Ästhetik vieler Video-Tutorials und verweisen ähnlich den Faking-ofs darauf, wie sehr sich das Format Making-of mit seinen Erzählstrategien bereits etabliert hat.

    Inszenierungen von How-tos beginnen häufig mit einer Aufzählung nötiger ,Zutaten‘ und ,Tools‘, die zum Gelingen der Nachahmung des Produktionsprozesses beitragen, und stellen dann in einer Schritt-für-Schritt-Anleitung den Prozess durch Handlungsanweisungen vor. Das Gelingen dieses Aneignungsprozesses hängt von der Expertise der Produzierenden des How-tos sowie deren Zielsetzung ab und ist somit nicht gewährleistet. How-tos können von Profis ebenso erstellt werden wie von passionierten Laien (Dilettantismus), wie sich an Tutorials für das Erlernen des Gitarrespielens zeigen lässt, wobei beide How-tos zum Erfolg des Lernenden führen können. Gleichzeitig können How-tos nicht hilfreich sein in ihrer Anleitung (etwa wenn es sich um Parodien handelt), was jedoch (beispielsweise bei Parodien) kein Scheitern der Inszenierung des Produktionsprozesses bedeuten muss, da eine erfolgreiche Anleitung nicht intendiert war.

    Die mediale Aufbereitung entspricht dem informellen Charakter der How-to-Formate. Es sind häufig selbstgedrehte Videos, wobei beispielsweise bei Schmink-Tutorials mit ,closed-circuit‘-Anordnungen gearbeitet wird, durch die die Videoproduzenten das Webcam-Video parallel zur Aufnahme auf dem Computerbildschirm verfolgen können (vgl. Reichert 190f.).

    Die Produzierenden entscheiden über das Zeigen der Parameter einer Produktion, die sie für deren Erfolg als essentiell erachten. So können beispielsweise das Tragen einer Tracht sowie das Stehen auf einem Berg als wichtiger Bestandteil eines Jodel-Kurses angesehen werden. Welche Produktionsbedingungen und -schritte ein How-to zeigt oder nicht zeigt, erzählt etwas über das Produktions- sowie das Produktverständnis der Produzierenden.

    Zusammen mit der Entwicklung von Medientechnologien wie Video- und Handykamera, Internet und Schnittprogrammen ermöglichen Portale wie YouTube Plattformen für eine Kultur des Machens und Zeigens. How-to-Formate stellen neben dem Interesse am Machen vor allem das Interesse am Zeigen des Machens in den Vordergrund. Dieses Zeigen des Machens wird durch diese Technologien und ihre Verbreitung sowie durch ihre einfache Bedienmöglichkeit durch Laien ermöglicht. Gleichzeitig finden sich auch für diese Anwendungsmöglichkeiten How-to-Beiträge, so dass theoretisch jeder seine Produktionsprozesse als Making-of sowie sein (erworbenes) Können in How-to-Beiträgen mit anderen teilen und veröffentlichen kann.

    Kuni, Verena: „Wie wird das (selbst) gemacht? Do It Yourself nach Anleitung.“ In: Helmut Gold et al. (Hg.): Do It Yourself: Die Mitmach-Revolution. Mainz 2011, S. 132-143.

    Reichert, Ramón: „Amateurvideos – Eine Mediengeschichte zwischen VHS und YouTube in 5 Thesen.“ In: Helmut Gold et al. (Hg.): Do It Yourself: Die Mitmach-Revolution. Mainz 2011, S. 188-191.

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    Improvisation

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    Improvisation Technologies

    Improvisation Technologies. A Tool for the Analytical Dance Eye ist eine CD-ROM mit Booklet, die 1999 vom Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) Karlsruhe in Zusammenarbeit mit der Forsythe Company veröffentlicht wurde. Als Beispiel für ein retrospektives Making-of-Format funktionieren die Improvisation Technologies nicht allein als monologischer Film, sondern auch als interaktive CD-ROM, die die Produktionsprozesse William Forsythes beim Generieren spezifischer Tanzbewegungen aufzeichnet und zur Verfügung stellt. Jeffrey Shaw beschreibt die CD-ROM als Schlüssel zur inneren Logik von Forsythes Arbeiten, der gleichzeitig als ein Forsythe-Werk rezipiert werden kann, da Forsythes Techniken der Improvisation als Interfaces wiedergegeben werden (vgl. Shaw 7). Die Improvisation Technologies werden auf diese Weise zu einem Modell multimedialer Dokumentation und Analyse von Tanz sowie von Forsythes künstlerischem Schaffen, so dass sie als Making-of eine aufklärende Funktion einnehmen.

    Gleichzeitig sind die Improvisation Technologies als offenes, interaktives System konzipiert (vgl. Sommer 12), das als Trainings-Instrumentarium anfangs den Tänzern der Forsythe Company zur Verfügung stehen sollte, um in Forsythes Techniken der Improvisation und Bewegungsgenerierung einzuführen. Somit tragen die Improvisation Technologies auch prospektiven Charakter.

    In über sechzig Kapiteln wird Einblick in Forsythes Methode der Improvisation gegeben. Neben Tanzbeispielen der Forsythe Company gibt es Videoaufzeichnungen, die William Forsythe in Trainingskleidung in einer Blackbox zeigen. Er erklärt auf Englisch seine Techniken der Bewegungsgenerierung, während er sie ausführt. Die Inszenierung der Erklärungssituation ist informell: In scheinbarer face-to-face-Kommunikation erklärt Forsythe dem Benutzer der CD-ROM als einem Gegenüber seine Techniken, beim Sprechen korrigiert er sich, die Erklärungen sowie die Bewegungen scheinen im Moment der Aufzeichnung zu entstehen.

    Die aufgezeichneten Bewegungen werden durch Computeranimationen grafisch dargestellt, was die Erklärung unterstützt. Diese der Bewegungsgenerierung zugrunde gelegten geometrischen Formen und Figuren können sowohl als Analysewerkzeug der Selbstbeobachtung und -beschreibung beim Tanzen dienen als auch einer Zuschauerin zum produktionsästhetischen Analysewerkzeug im Akt der Rezeption gereichen.

    Forsythe selbst beschreibt die CD-ROM als Analysewerkzeug der Improvisationsbeobachtung (vgl. Haffner 19). Die Improvisation Technologies stellen somit einen anderen (produktionsästhetischen) Zugang zu Forsythes künstlerischem Schaffen dar und bieten ferner eine Einführung in seine (Arbeits-)Technik, die bis zu einem bestimmten Grad offengelegt wird: „Arbeitsweisen sind keine Geheimnisse. Der Gedanke, man müsste seine Methode geheim halten, ist Aberglaube. Das ist primitiv, und das sind wir nicht. Am Ende des 20. Jahrhunderts muss man seine Arbeitsweise nicht geheim halten. Sie wird sich nicht in Luft auflösen, nur weil man sich darüber austauscht […]. Das würde uns vielleicht zwingen, die eigene Methode aufzugeben, und das wäre ja auch gar nicht so schlecht.“ (Forsythe zit. nach Haffner 23).

    Haffner, Nik: „Bewegung beobachten. Ein Interview mit William Forsythe.“ In: Zentrum für Kunst und Medientechnologie (Hg.): William Forsythe Improvisation Technologies. A Tool for the Analytical Dance Eye [CD-ROM]. Karlsruhe 1999, S. 17-27.

    Shaw, Jeffrey. „Editorial.“ In: Zentrum für Kunst und Medientechnologie (Hg.): William Forsythe Improvisation Technologies. A Tool for the Analytical Dance Eye [CD-ROM]. Karlsruhe 1999, S. 6-7.

    Sommer, Astrid: „Improvisation technologies: Just the basics.“ In: Zentrum für Kunst und Medientechnologie (Hg.): William Forsythe Improvisation Technologies. A Tool for the Analytical Dance Eye [CD-ROM]. Karlsruhe 1999, S. 10-15.

    Zentrum für Kunst und Medientechnologie (Hg.): William Forsythe Improvisation Technologies. A Tool for the Analytical Dance Eye [CD-ROM]. Karlsruhe 1999.

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    Inszenierung

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    Interaktivität

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    Interior. Leather. Bar.

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    Interpassivität

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    Intertextualität

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    Interview

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    Investitur

    Ganz allgemein verstanden, bezeichnet Investitur die Einweisung in ein Amt (vgl. Becker 1285, Frank 220-222), und zwar im religiösen wie im weltlichen Bereich. Im hier fokussierten, engeren Sinn jedoch – die Ableitung vom lateinischen Substantiv für Einkleidung (‚investitura‘) legt dies nahe – meint der Begriff einen durch das An- oder Umkleiden einer Person sowohl vollzogenen als auch veranschaulichten Statuswechsel und damit ein simultanes Making-of. Bedeuten kann dies, dass eine Einzelperson mit einem besonderen Rang ‚bekleidet‘ oder, je nach Logik des Zeremoniells, über alle anderen Menschen erhoben wird, wobei letzteres in der Einzigartigkeit der Kleidung (Krönungsornat, Pallium und Tiara des Papstes) Ausdruck findet. Meinen kann dies aber auch die Aufnahme einer Person in eine Gemeinschaft, wobei die Einheitlichkeit der Kleider (Habit religiöser Orden, Uniformen des Militärs) eine entscheidende Rolle spielt. Handelt es sich um einen hierarchisch organisierten Zusammenschluss, können beide Formen der Investitur ineinandergreifen, das heißt, gleichrangige Mitglieder werden gleich gekleidet, während der Aufstieg innerhalb der Hierarchie durch die Aufwertung oder Ergänzung der Kleidung oder durch den Kleiderwechsel erfolgt. Umgekehrt vollzieht das Ablegen der den jeweiligen Status anzeigenden Gewandung den Statusverzicht, wohingegen ihr Entzug oder ihre Zerstörung als Degradierung oder Absetzung – als Devestitur also – zu verstehen ist (vgl. Frank 218, 220, 225-229; Elliott 60-64, 67-68).

    Als Phänomen ist die Investitur im Sinne einer juristisch, politisch und sozial verbindlichen Herstellung eines bestimmten Status transhistorisch und transkulturell nachweisbar (Gordon; Steinicke / Weinfurter). Einblicke in die je spezifischen Ausprägungen und Abläufe geben vor allem Textquellen, die das Zeremoniell im Vorhinein regeln (Hofordnungen, liturgische Schriften) oder nachträglich beschreiben (Chroniken, Lebensberichte). Hilfreich können aber auch andere Textgattungen sein, darunter heilige Bücher. So gibt zum Beispiel das Alte Testament historisch belastbare Auskünfte über die Einkleidung eines Königs sowie von Priestern und Beamten (vgl. Kühn 3-8, 9-11, 11-12).

    Da Investituren für die gesamte Gesellschaft oder für Teilgemeinschaften verbindlich sind, müssen sie vor Zeugen stattfinden – das heißt, sie werden öffentlich durchgeführt, wobei die für den Statuswechsel konstitutive Zeugenschaft (autopoietische Feedbackschleife) einem ausgewählten Personenkreis vorbehalten sein kann oder verschiedene Etappen der Einkleidung unterschiedliche Grade der Öffentlichkeit aufweisen können. Letzteren Fall belegt u.a. der Bericht über eine Kammerfrau des Wiener Kaiserhofs, die anlässlich ihres Ordenseintritts im April 1660 die von hochrangigen Persönlichkeiten gut besuchte Klosterkirche in einem silberfarbenen Festkleid betrat und auch wieder verließ, während das Anlegen des beim Gottesdienst auf dem Altar ausgebreiteten, härenen Habits unter Ausschluss der weltlichen Öffentlichkeit im Kloster erfolgte (vgl. Müller 217, 218).

    Vorgenommen wird die Einkleidung von autorisierten Amts-, Rang- oder Würdenträgern. In verkürzter Form kann dies auf das bloße Aushändigen etwa der Uniform (vgl. Füssel 105, 106) beschränkt sein. Bei stärker ausdifferenzierten Investituren folgt das Überreichen von Gewändern (vgl. Mueller 75) oder Schmuck (vgl. Ibrahim 93-95) oder das tatsächliche Anlegen meist symbolisch aufgeladener Kleidungsstücke einem minutiös regulierten Protokoll. Dieses kann zusätzliche Handlungen wie das Ablegen eines Eids oder Glaubensbekenntnisses, die Änderung des Namens, das Entsühnen oder rituelle Heilen der den Status ändernden Person, das Opfern von Tieren, das Salben mit geheiligtem Öl, das Scheren oder Schneiden der Haare, das Sprechen rechtsrelevanter Formeln, die Übergabe von Insignien oder Waffen, das Übertragen von Lehnsrechten, die Verleihung von Titeln, das Zuerkennen von Einkünften resp. den Verzicht auf weltliche Güter usw. umfassen. Zudem kann die Investitur in eine Reihe weiterer Festlichkeiten wie Aufmärsche, Bankette, Umzüge usf. eingebettet sein.

    Jenseits des unmittelbaren Vollzugs und seiner Anerkennung durch die Gemeinschaft ist der durch das Einkleiden hergestellte Status jedoch als instabil oder gefährdet anzusehen. Für eine solche Unabgeschlossenheit oder latente Unendgültigkeit des Herstellungsprozesses spricht, dass neben einmaligen Investituren auch Primärinvestituren nachzuweisen sind, die durch stete Wiederholung bekräftigt oder aktualisiert werden: halbjährlich wie im babylonischen Königtum (vgl. Ambos 20), in anderen Fällen sogar jeden Tag. So sind für Pharao laut mehrerer Papyri und anderer archäologischer Funde wie Investiturpuppen tägliche Einkleidungen anzunehmen und wohl mit dem – weitaus besser überlieferten – ‚Lever‘ des absolutistischen Königs von Frankreich parallel zu führen (vgl. Bommas; Saint-Simon 331f.; Quack 159f.). Ähnliches galt für den König von Joseon (vgl. Shin 15) und ist bis heute für die katholische Kirche gültig, die ein jedes Anlegen der liturgischen Gewänder als immer neue Bestätigung im Amt versteht (vgl. Braun 710-719, Elliott 59-60).

    Ebenfalls belegbar sind sukzessive Investituren, die ein mehrfaches Umkleiden beinhalten. Augenfälliges Beispiel hierfür sind grenzüberschreitende Brautfahrten, die besonderes Gewicht auf die Anpassung an die Sitten des Ziellandes legen. So verwandelte sich die 1660 mit dem Sonnenkönig verheiratete spanische Infantin María Teresa durch die schrittweise Änderung von Kleidung und Frisur vor den Augen des Hofes in die französische Königin Marie-Thérèse (vgl. Coester 157). Bekannter ist die Brautfahrt der österreichischen Prinzessin Maria Antonia, die anlässlich ihrer Vermählung mit dem Dauphin im Frühjahr 1770 von Wien nach Versailles reiste. Für den Grenzübertritt wurde die Prinzessin ihrer späteren Kammerfrau zufolge in einem eigens eingerichteten Pavillon vollständig entkleidet und dann ‚à la française‘ angezogen, um als Dauphine Marie-Antoinette weiterzureisen (vgl. Campan 109-110).

    Entsprechend meint das in Berichten über Brautfahrten häufig verwendete Attribut ‚schön‘ zuvorderst eben diese Anpassung der Braut an die am Hof des Bräutigams geltenden Kleidungskonventionen (vgl. Coester 158). Die hierin anklingende intrinsische Verbundenheit der Investitur mit Fragen der Normierung oder Zurichtung einerseits und der Attraktivität oder des Geschmacks andererseits macht deutlich, dass eine Abgrenzung von ebenfalls stark regulierten und öffentlich zelebrierten Toiletten nicht immer trennscharf vorgenommen werden kann. Zu beachten ist dabei allerdings, dass es bei Investituren um die Herstellung von Schönheit weniger im Sinne des Modischen oder des Körperlichen, Erotischen, Sexuellen als vielmehr um eine übergeordnete Schönheit – etwa der Majestät und der ihr angemessenen Prachtentfaltung – geht. Beim Eintritt in einen Orden hingegen können als Tugend verstandene Eigenschaften wie Demut und Bescheidenheit und die damit verbundene Abkehr von weltlichen Schönheitsvorstellungen leitend sein.

    Ambos, Claus: „Ritual Healing and the Investiture of the Babylonian King.“ In: William Sax et al. (Hg.): The Problem of Ritual Efficacy. New York 2010, S. 17-44.

    Becker, Hans-Jürgen: „Investitur.“ In: Albrecht Cordes et al. (Hg.): Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 2. Berlin 2009, Sp. 1285-1290.

    Bommas, Martin: Das ägyptische Investiturritual. Oxford 2013.

    Braun, Joseph: Die liturgische Gewandung im Occident und Orient nach Ursprung und Entwicklung, Verwendung und Symbolik. Freiburg i. Br. 1907.

    Campan, [Jeanne-Louise-Henriette] von: Memoiren über das Privatleben der Königin Maria Antoinette von Frankreich, Bd. 1. Breslau 1824.

    Coester, Christiane: „Brautfahrten. Grenzüberschreitungen und Fremdheitserfahrungen adliger Frauen in der Frühen Neuzeit.“ In: Francia. Forschungen zur westeuropäischen Geschichte 35 (2008), S. 149-168.

    Elliott, Dyan: „Dressing and Undressing the Clergy. Rites of Ordination and Degradation.“ In: E. Jane Burns (Hg.): Medieval Fabrications. Dress, Textiles, Cloth Work, and other Cultural Imaginings. New York / Houndmills 2004, S. 55-69.

    Frank, Thomas: „Investitur, Devestitur.“ In: Ders. et al.: Des Kaisers neue Kleider. Über das Imaginäre politischer Herrschaft. Texte – Bilder – Lektüren. Frankfurt/Main 2002, S. 218-232.

    Füssel, Marian: „Der Wert der Dinge. Materielle Kultur in soldatischen Selbstzeugnissen des Siebenjährigen Krieges.“ In: Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit 13.1 (2009), S. 104-121.

    Gordon, Stewart (Hg.): Robes and Honor. The Medieval World of Investiture, New York / Houndsmills 2001.

    Ibrahim, Hend Mohamed Naguib et al.: „Scenes of Officials’ Investiture in Ancient Egypt during the New Kingdom.“ In: Journal of the Faculty of Tourism and Hotels 15.1 (2018), S. 88-106.

    Kühn, Dagmar: „Investitur.“ In: Michaela Bauks / Klaus Koenen (Hg.): Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet, https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/200470/ [Letzter Zugriff: 7. April 2020].

    Mueller, Gerhard: Wohlwollen und Vertrauen. Die Investiturgesandtschaft von Chen Kan im Jahr 1534 vor dem Hintergrund der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen des Ming-Reiches zu den Ryûkû-Inseln zwischen 1372 und 1535. Heidelberg 1991.

    Müller, Johann Sebastian: „Reiße-Diarium bey Kayserlicher Belehnung des Chur- und Fürstl. Hauses Sachsen [1714].“ In: Katrin Keller: Hofdamen. Amtsträgerinnen im Wiener Hofstaat des 17. Jahrhunderts. Wien et al. 2005, S. 215-218.

    Quack, Joachim Friedrich: „Bemerkungen zum Papyrus Moskau 314.“ In: Zeitschrift für Ägyptische Sprache und Altertumskunde 145.2 (2018), S. 151-167.

    Saint-Simon, Louis de Rouvroy de: Die Memoiren des Herzogs von Saint-Simon, Bd. 3: 1710-1715. Hg. von Sigrid von Massenbach. Frankfurt/Main 1977.

    Shin, Myung-ho: Joseon Royal Court Culture. Ceremonial and Daily Life. Paju 2004.

    Steinicke, Marion / Stefan Weinfurter (Hg.): Investitur und Krönungsrituale. Herrschaftseinsetzungen im kulturellen Vergleich. Köln et al. 2005, S. 215-218.

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    Kochshows

    Kochshows sind neben Castingshows die wohl besten Bespiele für die Präsenz einer Kultur des Making-ofs innerhalb der breiten Populärkultur. Kochsendungen zeigen häufig einen oder mehrere Köche, die vor laufender Kamera Gerichte zubereiten und deren Herstellung in verschiedenen Arbeitsschritten erläutern: Kochen als kommentiertes, gezeigtes Machen.

    Wissenschaftliche Arbeiten wie auch journalistische Beiträge zur Populärkultur, Medialität und sozialen Relevanz von Kochshows im deutschen Fernsehen staunen nicht selten über die Diskrepanz zwischen den im Fernsehen dargebotenen Fünf-Gänge-Menüs und dem, was in den meisten deutschen Haushalten, die bei Aldi, Lidl und Co. einkaufen, auf den Tisch kommt. Als DIY-Format scheinen die täglich ausgestrahlten Kochshows also kaum genutzt zu werden; wie erklärt sich aber dann die rasante Zunahme von Kochformaten im Fernsehen und ihre hohen Einschaltquoten?

    Seit der ersten deutschen Kochshow (Clemens Wilmenrod bittet zu Tisch, 1953-64) werden in diesen Shows Koch- und Haushaltstipps anschaulich vermittelt, und wird nebenbei zusätzlich über küchenfremde Themen diskutiert. Zentrale Aspekte dieser Formate sind die direkte Ansprache der Zuschauerschaft, die Anschaulichkeit bei der Vermittlung von Arbeitsprozessen und, nicht unwesentlich, ihre Ästhetik, denn das Auge isst vor allem dann mit, wenn die Gaumenfreude ein reiner Augenschmaus bleibt.

    Die Kochsendungen der Wirtschaftswunderjahre sollten die wieder verfügbare Lebensmittelvielfalt in die deutschen Haushalte einführen bzw. die Hausfrau mit dem ‚exotischen’ Fruchtsalat oder dem ‚Toast Hawaii‘ auf den ‚internationalen’ Geschmack bringen; das Format besaß Bildungsauftrag. Im Gegensatz allerdings zum per Gender-Stereotyp generierten Druck, es gehöre zum guten Ton, zu kochen, war das Bedürfnis, den eigenen Stil zum Ausdruck zu bringen, verhältnismäßig gering.

    Mittlerweile lautet für die Vielzahl von Kochshow-Konzepten, welche seit Mitte der 2000er-Jahre entwickelt wurden, die Devise ‚Lifestyle‘. Dem klassischen Konzept am nächsten sind Shows, die einen oder mehrere Sterneköche bzw. Prominente ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken wie beispielsweise alfredissimo (1994-2006), Kerners Köche (2005-2007), Lanz kocht! (2008-2012) oder Lafer! Lichter! Lecker! (seit 2006). Beim Blick über die Schulter der „Koch-Pop-Stars“ (Meier 254) wird suggeriert, man könne lernen, wie die ganz Großen kochen – quasi das Starkochbuch als TV-Format.

    Meier weist darauf hin, dass Kochen und Erklären Handlungs- und Sprechakte sind, die einer performativen Stilisierung unterliegen, und lehnt sich dabei an die Theorien Butlers und Fischer-Lichtes an, wenn er darin die performative Erzeugung von Lifestyle in einer Aufführungssituation inszeniert sieht. (vgl. 254) Dabei ist unter Lifestyle „eine Verbindung zwischen sozialem und individuellem Stil zu verstehen“ (260), also performative Identitätsbildung, die als Ästhetisierung von Making-of-Konzepten in der Populärkultur in den Kochshows zum Ausdruck kommt und von den Zuschauern konsumiert wird.

    Kochsendungen in Wettbewerbsformaten wie Teufels Küche (2005), in denen zwei Promiteams gegeneinander antreten und über Zuschaueranrufe die Sieger gewählt werden, oder Das perfekte Dinner bzw. Das perfekte Promi Dinner (beide seit 2006) erfreuen sich allerdings der höchsten Zuschauerquoten. Beim Perfekten Dinner kochen verschiedene Teilnehmer gegeneinander und werden von ihren Gegnern anhand der Gerichte, des gastgebenden Services und der Tischdekoration beurteilt. Innerhalb der Sendung werden Einkauf, Kochen, Dekoration und der Verlauf des Essens von der Kamera begleitet, wie auch die Reaktion der Gäste eingefangen. Ähnlich wie in Castingshows wird hier der Normalbürger zum Sendungs-Star. Außerdem gibt es noch Kochshows, die sich als Doku-Soaps verstehen. Sendungen wie Rach, der Restauranttester oder Die Kochprofis (beide seit 2005) ergründen die Frage, wie man ein erfolgreiches Restaurant führt. Hilfebedürftige Gastronomen können sich bewerben und berühmte Köche mit eigener Restauranterfahrung geben Tipps oder greifen direkt in den Restaurantbetrieb ein.

    Deutlich wird die Verschiebung von der Idee der Kochanleitung mit Bildungsziel hin zur voyeuristischen Beobachtung von ästhetischen Arbeitsprozessen in der Küche. Ob der Zuschauer am Ende tatsächlich noch zum Kochlöffel greift oder doch lieber die Tiefkühlpizza in den Ofen schiebt, ist einerlei.

    Meier, Stefan: „Das essende Auge. Visuelle Stile des Kochens als performative und populärkulturelle Praxis.“ In: Marcus S. Kleiner / Thomas Wilke (Hg.): Performativität und Medialität Populärer Künste. Theorien, Ästhetiken, Praktiken. Wiesbaden 2013, S. 253-275.

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    Komplementarität

    Der Begriff Komplementarität wurde 1927 von Niels Bohr in die Quantenphysik eingeführt und seither auf viele andere Wissensgebiete übertragen, wobei er mit je eigenen, zum Teil differierenden Bedeutungshorizonten belegt wird (vgl. Fischer; Meyer-Abich; Röhrle). Als immer wiederkehrender Grundgedanke kann dabei festgehalten werden, dass zwei scheinbar widersprüchliche und einander ausschließende Größen dergestalt voneinander abhängen, einander ergänzen oder gegenseitig aufeinander bezogen sind, dass sie nur gemeinsam ein Drittes oder Ganzes ergeben. Hieran anknüpfend lassen sich ein Artefakt und sein Making-of dann als komplementär beschreiben, wenn sie nicht nur einseitig dependent, sondern – etwa aufgrund von Strukturgleichheiten – ineinander verschränkt sind. Anders als das auf Genette zurückgehende Konzept des Paratexts betont der Terminus Komplementarität demnach die Wechselseitigkeit des Verhältnisses zwischen einem Making-of und jenem Gegenstand, dessen Herstellung es (vermeintlich) zur Anschauung bringt.

    Wie dieses Wechselverhältnis im konkreten Einzelfall aussehen kann, lässt sich exemplarisch an je einer Sequenz aus Mauricio Kagels Ludwig van. Ein Bericht (1970) und Wilhelm Flues’ Kagels Beethoven. Bericht über Ludwig van (1970) erläutern, die hier beide unter dem Titel Beethovens Küche geführt werden: Zur Realisierung der dreieinhalb Minuten langen Küchensequenz aus Ludwig van arbeitete Kagel mit dem Bildhauer und Aktionskünstler Joseph Beuys zusammen. Begleitet vom ersten Satz aus Beethovens 9. Sinfonie, beginnt die Einstellungsfolge mit der Aufnahme eines brennenden Gullys, wobei die Flammen synchron zum Auf- und Abschwellen der Musik lodern. Nach einem unvermittelten Schnitt liegt dem Gully ein ovaler Topfdeckel auf, das Feuer ist gelöscht. Die folgenden Einstellungen zeigen das Innere des zuweilen tatsächlich als Küche genutzten Ateliers von Beuys, welches er mit Kagel für die Dreharbeiten umgestaltete und das innerhalb der Narration von Ludwig van für die Küche Beethovens einsteht: Der Deckel hat den passenden Topf gefunden. Die Kasserolle ist auf einer einflammigen Kochgelegenheit, diese auf einem Herd, jener mit den vorderen Beinen in einem Kinderbett platziert. Dahinter lehnen drei Hornobjekte an der Wand. Weitere Objekte und Gegenstände wie eine Schallplatte, schweres Werkzeug oder die sorgsam gestapelten Scherben eines Blumentopfs sind ebenfalls angelehnt oder in einer Vitrine arrangiert, liegen auf dem Boden herum oder werden von den behandschuhten Händen eines Museumswärters präsentiert. Ein letzter Schnitt, zu dem ein lautes Röcheln eingespielt wird, das die bis dahin durchgängig zu hörende Musik verstummen lässt, lenkt den Blick in Richtung Fenster. Vor diesem tritt von rechts Beuys auf, der sein Gesicht hinter einer Gipsmaske verbirgt, ÖÖ-Laute ausstößt und wieder nach rechts abgeht.

    Diese Sequenz unterscheidet sich deutlich von der in ihrem retrospektiven Making-of ‚angekündigten‘ oder ‚in Aussicht gestellten‘ Küchenszene, und zwar sowohl akustisch als auch visuell: Zwar sind die Hornobjekte schon in Kagels Beethoven zu sehen, die von Beuys vorgeschlagene Überlagerung zweier verschiedener Zeitebenen jedoch wird nicht realisiert, der von einem ostentativ ins Bild gestellten Mikrofon aufgezeichnete Originalton durch das Einspielen klassischer Musik, des Röchelns und der ÖÖ-Laute ersetzt. Wichtiger noch scheint allerdings, dass die Objekte und temporären Installationen um die beiden Aktionen Brennender Gully und Totenmaske Napoleons erweitert wurden (vgl. Schneede 380). Zwar lassen sich derartige Aufführungen – das Lodern aus dem Bodenablauf, das Auftreten mit dem Gipsgesicht – vorab konzipieren und proben. Trotzdem können sie nicht im gleichen Sinne erst vorbereitet und dann abgefilmt werden wie die für den Dreh angeordneten Gegenstände, weil sowohl die Flammen als auch der Aktionskünstler im Moment der Aufnahme zu ‚liefern‘ haben: Wenn die Kamera läuft, muss das Feuer flackern und muss Beuys seinen Einsatz finden, das Tempo halten, die Stimme im rechten Moment und auf die richtige Weise erklingen lassen usw.

    Ins Allgemeine gewendet heißt dies: Genau wie das Making-of nicht nur die Entstehung eines Films zeigt, sondern zugleich selbst einen eigenständigen Film generiert (und dies auch ausstellt), so ist hier umgekehrt dem Film sein eigenes Making-of insofern eingeschrieben, als die Aktionen Brennender Gully und Totenmaske Napoleons (und auch der Auftritt des Museumswärters) nicht für oder im Hinblick auf, sondern allein und ausschließlich während ihrer Aufzeichnung entstanden. In diesem Sinne erschöpft sich das Verhältnis, in welchem Ludwig van und Kagels Beethoven stehen, nicht in einem Davor und Danach, sondern ist auch als komplementär zu beschreiben – wobei bemerkenswert ist, dass sich die Komplementarität im Fall der hier exemplarisch besprochenen Beispiele sogar im Formalen niederschlägt, sind doch beide Sequenzen in drei klar voneinander geschiedene Teile gegliedert, deren mittlerer dort der längste, hier der kürzeste ist.

    Fischer, Ernst Peter: „Definitionen der Komplementarität.“ In: Ders. et al. (Hg.): Widersprüchliche Wirklichkeit. Neues Denken in Wissenschaft und Alltag. München / Zürich 1992, S. 18-28.

    Kagels Beethoven. Bericht über Ludwig van. WDR, Erstausstrahlung: 8. Dezember 1970, Regie: Wilhelm Flues.

    Ludwig van. Ein Bericht. WDR, Erstausstrahlung: 1. Juni 1970, Regie: Mauricio Kagel.

    Meyer-Abich, Klaus Michael: „Komplementarität.“ In: Jochen Ritter / Karlfried Gründer (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 4. Darmstadt 1976, Sp. 933-934.

    Röhrle, Erich A.: Komplementarität und Erkenntnis: Von der Physik zur Philosophie. Münster et al. 2001.

    Schneede, Uwe M.: Joseph Beuys: Die Aktionen. Kommentiertes Werkverzeichnis mit fotografischen Dokumentationen. Ostfildern-Ruit bei Stuttgart 1994.

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    Konspirative KüchenKonzerte

    Als Anti-Kochshow sind wohl die Konspirativen Küchen Konzerte (KKK) zu verstehen, welche seit 2009 von ehemaligen Hamburger Studenten in ihren WG-Räumen zelebriert werden. Kochen ist hier mehr der Ausgangspunkt, um sich mit anderen Performancekünsten zu befassen und eine Ästhetik der Improvisation zu feiern.

    Aus eigener Erfahrung ist bekannt, wie jedes WG-Zimmer irgendwann multifunktionalen Einsatz erfährt. Gemäß dieser Gewohnheit verbindet das Format Kochperformances mit musikalischen Zwischengängen, lockeren Gesprächen mit Gästen und Selbstdarstellung verschiedenster Art auf engstem Raum. Bereits der Trailer zeigt, wie das Wohn- und Esszimmer der WG für die Aufnahme mit Licht- und Soundanlage zur scheinprivaten Bühne wird. Im Zeitraffer erlebt die Zuschauerin den Umbau vor jeder neuen Sendung, die Spannung steigt und schon heißt es: „Verehrte Fernsehfeinschmecker!“ Womit wohl das Wichtigste schon gesagt wäre: Es geht hier um den Genuss der Beobachtung, die mediale Teilnahme an ästhetischen Prozessen, also um das Kerninteresse von Making-ofs.

    Die Zutaten? Man nehme einen musikalischen Akt und bildende Künstler, die zwischen den dicht an dicht sitzenden Zuschauerinnen performen; man köchelt nebenher und tauscht sich aus. Was nun über die Länge einer Stunde folgt, ist eine multisensuelle Materialschlacht, die mit allen Mitteln versucht, die durch das Videoformat gegebene Beschränkung auf audiovisuelle Wahrnehmung im Sinne eines Gesamtkunstwerkes aufzuheben. Die schnelle Abfolge unterschiedlicher Kameraeinstellungen platziert zum einen Zuschauer, Gäste und Moderatoren als gleichberechtigte Akteure verschiedener produzierender Netzwerke nebeneinander, die sich untereinander gemäß How-to Prinzip interdisziplinär austauschen. Ebenso werden diverse Arbeitsgeräusche aus der Küche, neben Gesang und Instrumentalklängen, unterbrochen von Applaus, Räuspern oder Diskussionsausschnitten, ausgestrahlt. Das Gesamtkonzept der KKK ist als Making-of eines gemütlichen, interaktiven, intellekt- und magenfüllenden Abends unter Freunden zu verstehen, der im besten Falle in leiblicher Ko-Präsenz vor Ort im WG-Studio erlebt werden kann. Für alle anderen finden sich Videoaufnahmen auf der Homepage. In diesem Sinne: Wohl bekomm‘s!

    Konspirative KüchenKonzerte, http://konspirativekuechenkonzerte.de [Letzter Zugriff: 29.01.2013].

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    Kultur des Machens

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    Le Mystère Picasso

    Le Mystère Picasso (1955) ist ein Dokumentarfilm des französischen Regisseurs Henri-Georges Clouzot. Er zeigt Pablo Picasso, der vor laufender Kamera 20 Bilder auf transparente Träger malt; von schwarz-weißen Zeichnungen bis hin zu aufwendigen, farbigen Gemälden. Mit Hilfe von Stop-Motion-Animationen entstehen die Bilder vor den Augen des Zuschauers und verschwinden ebenso schnell wieder, wenn Picasso sie übermalt oder nach wenigen Minuten mit einem neuen Bild beginnt. Zuweilen schwenkt die Kamera auch auf den Künstler selbst, der, in seine Arbeit versunken, das Umfeld und den anwesenden Regisseur auszublenden scheint. Konzentriert widmet er sich dem Zeichenprozess und selbst als Clouzot ihn in zwei Szenen gegen die Zeit anmalen lässt, gerät er scheinbar kaum aus der Ruhe.

    Le Mystère Picasso ist durch Strategien gelenkt, die bestimmte kulturelle Vorstellungen abbilden und ein Werkverständnis offenlegen, das besonderen Wert auf den künstlerischen Schaffensprozess und die Gemachtheit seiner Produkte legt. Um diesen künstlerischen Schaffensprozess für sich sprechen zu lassen, verzichtet der Film größtenteils auf einen kommentierenden Sprecher und versucht, den Zuschauer zum unmittelbaren Zeugen von Picassos Erfindungsgabe, von seiner dynamischen Pinselführung und Farbauswahl zu machen. Dabei spielt der Film mit der Exklusivität der Situation, bleibt der Blick auf den künstlerischen Produktionsprozess doch meist nur wenigen Personen vorbehalten (vgl. Schrödl 91).

    In Clouzots Film kommt der Zuschauer der Arbeitsweise Picassos tatsächlich sehr nahe, doch recht schnell wird deutlich, dass der Eindruck einer unmittelbaren Teilhabe trügt. Schon die mediale (filmische) Vermittlungsebene steht zwischen der Arbeit mit Stift und Farbe und dem gefilterten Bild, das der Beobachter durch das Kameraauge präsentiert bekommt. So deutlich sie ihm auch die Bildfindung vor Augen führt, so mysteriös bleiben die intellektuellen Voraussetzungen von Picassos Arbeit, seine Vorbilder und Ziele. Laut Brian O’Doherty erscheint es daher nur allzu passend, dass Clouzot den Titel Le Mystère Picasso gewählt hat, denn sein Film liefert eher „ein Bild, das den Mythos von einem Künstler malt.“ (146)

    Der Film geht deutlich über eine objektive Aufzeichnung der Abläufe hinaus und setzt seine Mittel so ein, dass Pausen ausbleiben und der kreative Vorgang – nicht zuletzt durch den Einsatz von Musik – rhythmisiert und dramatisiert wird. Die Werke entstehen scheinbar aus dem Nichts heraus, sie bedürfen keiner Vorlage und entspringen unvermittelt dem künstlerischen Geiste. Diesem Künstlerbild spielen auch Picassos meisterhafte Gebärden zu, seine stille Konzentration und souveräne Dynamik. Tatsächlich inszeniert der Film den Künstler als Genie, das trotz einiger Selbstkorrekturen unbeirrt dem finalen Werk entgegenarbeitet. Bezeichnend für dieses Künstlerbild ist auch, dass Picasso nicht etwa in einem privaten Kontext, sondern in einem Filmstudio gezeigt wird. Dieses behauptet zwar die Intimität eines Ateliers, betont aber vor allem die Unabhängigkeit Picassos von seiner äußeren Umgebung: Gleichsam zeitlos und ortsungebunden betreibt Picasso seine Kunst, die ihm unter jeder Bedingung möglich scheint.

    Mit Le Mystère Picasso bedient der Kinoregisseur Clouzot das Interesse an einem massentauglichen Kinofilm, der ein authentisches Making-of der Werke Picassos bieten und einen Blick in seine Arbeitsweise ermöglichen soll. Dabei wird jedoch deutlich, dass er mythische Vorstellungen der künstlerischen Produktion reinszeniert, „die im Kunstdiskurs zirkulierend den Filmen vorausgehen, sich in diesen niederschlagen und als ästhetische Konkretisationen wiederum auf diese zurückwirken“ (Schrödl 100).

    Le Mystère Picasso. Frankreich 1955, Regie: Henri-Georges Clouzot.

    O’Doherty, Brian: Kunst in Amerika. Maler unserer Zeit. Stuttgart / Zürich 1988.

    Schrödl, Barbara: „Ein filmischer Atelierbesuch und ein Maler im Filmstudio. Zeitlichkeiten zwischen Produktions- und Rezeptionsprozessen.“ In: Karin Gludovatz / Martin Peschken (Hg.): Momente im Prozess. Zeitlichkeit künstlerischer Produktion. Berlin 2004, S. 91-100.

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    Locative Media Art

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    Lost in La Mancha

    Wenn das klassische Making-of eine auf den Erfolgsfall getrimmte Erzählung ist, die das Gelingen eines (künstlerischen) Projekts und das Überwinden von Hürden zum Thema hat, dann ist Lost in La Mancha (2002) seine Antithese, nämlich der Referenzfilm des Scheiterns, der zudem die klare Unterordnung des Making-ofs als Paratext unter den filmischen Haupttext auf den Kopf stellt. Im Fall von Lost in La Mancha, dessen Regisseure Keith Fulton und Louis Pepe den Filmemacher Terry Gilliam im Jahr 2000 bei der Umsetzung seines langgehegten Cervantes-Projektes, The Man Who Killed Don Quixote, begleiten durften, bleibt der angedachte Hauptfilm nämlich unvollendet, und es obliegt dem Making-of, die geplante Cervantes-Modernisierung umzusetzen, indem es Gilliam selbst zur Quijote-Figur stilisiert, die im Kampf gegen Windmühlen unterliegt.

    Im Film Lost in La Mancha, der den filmischen Entstehungsprozess als Abfolge von Katastrophen inszeniert, finden sich durchaus vertraute Gemeinplätze des Making-ofs, bspw. die kollektive Teamanstrengung und das vielfach geäußerte Vertrauen der Beteiligten in einen Regisseur, der, wie Kameramann und Co-Autor in Interviews betonen, als ‚enfant terrible‘, Träumer und Visionär der rechte Mann für den Quijote-Stoff zu sein scheint. Die schlechten Vorzeichen – Gilliam gilt als „Captain Chaos“, das Budget ist zu niedrig angesetzt, Verträge werden zu spät unterzeichnet, die Stars (wie Johnny Depp) sind nicht abkömmlich für Proben, das gemietete Studio entpuppt sich als inadäquat – werden im regulären Making-of selten thematisiert; und falls doch, dann nur als Widrigkeiten, die das Gelingen des Projekts dann umso triumphaler escheinen lassen. Allerdings entfällt das Happy End in Fultons und Pepes Film, der mit seiner Konzentration auf die Filmvorbereitung – die komplette erste Hälfte der Erzählzeit wird allein auf die Pre-Production von Quixote verwendet – auch ein Gefühl für die im standardisierten Making-of ausgesparten logistischen Aspekte sowie für die immensen, häufig frustrierenden Wartezeiten beim Dreh schafft. Auch die konventionelle Gewichtung der Rollen verkehrt sich: Schauspieler treten in Lost in La Mancha lediglich am Rand in Erscheinung, dagegen ist der ‚assistant director‘ (dessen wichtige Rolle das klassische Making-of nivellieren muss, weil sie die ‚auteur‘-Fiktion gefährden würde) omnipräsent. Die Dreharbeiten kann freilich auch er nicht retten, denn die Produktion wird vom ersten Drehtag an von unglücklichen Zufällen heimgesucht: Über dem für die Außendrehs auserkorenen Gelände kreisen permanent Düsenjets, Gewitterstürme führen zum Abbruch und der Hauptdarsteller Jean Rochefort fällt verletzt aus.

    Gilliam, der mit seinem Ruf kokettiert („If it’s easy, I don’t do it.“), jedoch bald vor Mitarbeitern Nerven zeigt, sich für die zu Besuch weilenden Investoren nur mit Mühe ein Lächeln abringt und Durchhalteparolen verbreitet („We have to shoot, no matter what!“), wird zum leibhaftigen Quijote, der im Making-of zudem mit dem ebenfalls an einem Quijote-Projekt gescheiterten Orson Welles als Referenzfigur überblendet wird. So leistet Lost in La Mancha einen traurigen Abgesang auf den ‚auteur‘-Mythos, wie ihn Cervantes‘ Roman auf den Ritter lieferte: Der Regisseur ist nicht der visionäre Genius aus der konventionellen Making-of-Erzählung, sondern ein Entmachteter, denn Drehplan und Budget kalkuliert der pragmatische Assistent, und über den Produktionsstopp entscheiden Versicherungsbeamte. Auch im impliziten Vergleich mit dem Making-of-Projekt zieht Gilliam mit seinem Quixote-Film den Kürzeren, denn dessen wenige realisierte Sequenzen werden vom Making-of kurzerhand aufgesogen. Auch ein zweiminütiger Querschnitt durch Gilliams Karriere im Stil von dessen bekannten Monty Python-Animationen scheint die parasitäre Natur des Making-ofs zu unterstreichen. Allerdings behauptet dieses hier seine künstlerische Autonomie, indem Lost in La Mancha geplante Gilliam-Szenen durch fantasievolle, mit atmosphärischer Musik unterlegte Montagen aus Storyboard-Bildern und gelesenen Drehbuchpassagen integriert, und letztlich auch die Quijote-Narration vollendet: Das Röntgenbild des verletzten Darstellers wird mit dem strauchelnden Quijote kontrastiert, der resignierte Regisseur Terry Gilliam entpuppt sich selbst als Ritter von der traurigen Gestalt, der vor den Windmühlen Reißaus nimmt. Die gefilmte Niederlage des Spielfilmregisseurs wird so paradoxerweise zum Triumph für das (vollendete) Making-of.

    Lost in La Mancha. USA 2002, Regie: Keith Fulton / Louis Pepe.

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    Making-of self im (auto-)biografischen Dokumentarfilm

    Unter Bezugnahme auf die ‚performance studies‘, die den Performance-Begriff über die Künste hinaus für die Beschreibung von Alltagsphänomenen geöffnet haben (vgl. Bial 5f.), lässt sich auch der Auftritt von Akteuren im Dokumentarfilm als performative Situation analysieren. Die Inszenierung des Selbst, das narrative Selbst oder Ego, wie es in der Soziologie und Erzähltheorie genannt wird (vgl. Kauppert 152-154), beschreibt die Notwendigkeit des ,Making-of self‘ (vgl. Eakin 99-141), welches sowohl den Herstellungsprozess als auch die Existenz der eigenen Identität thematisiert. Dabei wird die Dramaturgie der autobiografischen Filme zumeist als Grundlage für ein →simultanes Making-of der Personen genutzt. Selbstentwürfe im Dokumentarfilm diskursivieren, reflektieren und stellen zeitgleich diesen Prozess der selbstreferenziellen Identitätsbildung, das Making-of von Person (als Selbstdarstellung) und Autobiografie (als Selbstbeschreibung), für ein Publikum aus. Die hochgradig reflexive Wahrnehmung und Verhaltensweise von Personen in sozialen Kontexten, was den eigenen Körper, die Situation, Kultur und Identität angeht, wird durch die Präsenz der Kamera verstärkt. So betrachtet sind Dokumentarfilme stets „a negotiation between filmmaker and reality and, at heart, a performance“ (Bruzzi 186).

    Filmemacher wie Ross McElwee oder Alan Berliner nutzen in Time Indefinite (1993) und Nobody‘s Business (1996) ihr familiäres Umfeld und einen reflexiven Off-Kommentar, um den Rezipierenden einen Einblick in die Selbstbeobachtung zu gewähren. Dieser ‚Blick hinter die Bühne‘ in die individualpsychologische Maschine des Subjekts (hierbei synonym mit der Maschinerie der Produktionsprozesse) wird als inszenierte Transparenz umgesetzt. Ein persönliches Scheitern und/oder Scheitern als Filmemacher ist dabei immer wieder präsent in den Prozess des Films eingearbeitet und somit gleichzeitig Teil des ,Making-of self‘. Besonders McElwee nutzt die Parallelität und Verknüpfung von Mensch und Maschine, autobiografischem Kameramann und Kamera, prozessualer Identitätsbildung und Filmdramaturgie, um seine Rolle im Film mit der technischen Filmrolle zu verbinden. Beispielsweise schreibt er im Off-Kommentar das Hängenbleiben einer Filmrolle dem Unwillen seines gefilmten Vaters zu, der nichts von der erwählten Profession seines Sohnes hält, oder unterwirft sich während seiner Hochzeitsverkündung vor versammelter Familie dem leeren Akku der Kamera, indem er einen neuen Akku suchen geht, anstatt die Glückwünsche entgegenzunehmen.

    Die entsprechenden Filme betreiben zugleich eine Bild-, Situations- und Dokumentarfilmanalyse, gestiftet durch die mediale Möglichkeit zur Fremdwahrnehmung der eigenen Arbeit und Person. Damit wird eine Narrativierung und Verortung der Protagonisten und ihrer Geschichte erreicht; ihre autobiografischen Dokumentarfilme fungieren als beispielhafte ,Making-of selves‘, als mediale Entwürfe der eigenen Identität. Dabei stellt die Prozessualitiät der Filme immer auch den prozessualen Charakter der Identitätskonstruktion aus und macht kenntlich, dass die Filme selbst nur eine mögliche Version einer Identität abbilden.

    Die Frage nach der Authentizität des Selbst ist mit der Einführung des Performance-Begriffs auch im Dokumentarfilmdiskurs tendenziell hinfällig geworden. Wie bereits in der Biografieforschung thematisiert, nimmt man von der Vorstellung eines authentischen Selbstzugunsten von sich fortwährend verändernden Variationen des eigenen Selbst und dessen Erzählung Abstand. Pohls neurowissenschaftliche Analyse der Beschaffenheit des autobiografischen Gedächtnisses und Welzers kulturwissenschaftliche Ausführungen betrachten das (autobiografische) Gedächtnis und Erinnern als kontinuierlichen Raum des Abgleiches und Verschiebens, da Erinnerungen bereits im Generierungsmoment immer in den Kontext der schon vorhandenen Erinnerungen aufgenommen, durch diesen konnotiert und verortet werden (vgl. Pohl 62-130, Welzer 160-163). Diese konstitutive Flexibilität von Erinnerungsnarration und Selbstkonzeptualisierung wird durch das filmische Verfahren des Schnitts im autobiografischen Dokumentarfilm allegorisch umgesetzt.

    Agnès Varda spielt in Les plages d’Agnès (2009) mit der performativen Dimension von Identität, indem sie ihre eigene Person und Geschichte mit (unnatürlichen) Requisiten nachstellt, sie ‚reenacted‘ sich selbst. Die innerhalb des Films ausgestellte Konstruktion des eigenen Ichs und seiner Sozialisation schaffen gleichzeitig eine humorvolle Distanz und eine aussagekräftige Reflexivität der künstlerisch und künstlich geschaffenen Selbstentwürfe. Auch Werner Herzog lässt durch eine Intervention als ‚Herausgeber’ in seinem Dokumentarfilm Grizzly Man (2005) ein Making-of der Autobiografie des verstorbenen Timothy Treadwell entstehen, der in Form von Videotagebüchern sein Leben unter Bären in der Wildnis Kanadas dokumentierte. In seinem Film kommentiert Herzog die Aufnahmen Treadwells und sortiert sie im Schnitt zu seiner eigenen Version von Treadwells Identität. Eakin schreibt in seinen Ausführungen zum Konzept des ,Making-of self’ passend: „[T]here are many stories of self to tell, and more than one self to tell them.“ (xi).

    Auch in Filmen wie Vadim Jendreykos Die Frau mit den 5 Elefanten (2009) und Anna Ditges Ich will dich – Begegnungen mit Hilde Domin (2007) spielt dieser Aspekt der editierten Autobiografie eine Rolle, da der Filmemacher und die Filmemacherin das Leben der Schriftstellerinnen Svetlana Geier und Hilde Domin in sehr nahen Portraits innerhalb und außerhalb privater Räume einfangen. Das Making-of ihrer Literatur wird gleichzeitig als ein Making-of ihres Lebens und ihrer Person inszeniert. Hier wie in den anderen angeführten autobiografischen Dokumentarfilmen wird der Aspekt der Inszenierung betont und somit offengelegt, dass es immer auch eines Making-ofs des Selbst bedarf, um Autobiografie denken und erfahren zu können.

    Bial, Henry: „Part 1. What Is Performance Studies?” In: Henry Bial (Hg.): The Performance Studies Reader. Oxon 2007, S. 5f.

    Bruzzi, Stella: New Documentary. Oxon 2006.

    Eakin, Paul John: How Our Lives Become Stories: Making Selves. Ithaca / London 1999.

    Die Frau mit den 5 Elefanten. Schweiz/Deutschland 2009, Regie: Vadim Jendreyko.

    Grizzly Man. USA 2005, Regie: Werner Herzog.

    Ich will dich – Begegnungen mit Hilde Domin. Deutschland 2007, Regie: Anna Ditges.

    Kauppert, Michael: Erfahrung und Erzählung. Zur Topologie des Wissens. Wiesbaden 2010.

    Les plages d’Agnès. Frankreich 2009, Regie: Agnès Varda.

    Nobody’s Business. USA 1996, Regie: Alan Berliner.

    Pohl, Rüdiger: Das autobiografische Gedächtnis. Die Psychologie unserer Lebensgeschichte. Stuttgart 2007.

    Time Indefinite. USA 1993, Regie: Ross McElwee.

    Welzer, Harald: „Gedächtnis und Erinnerung” In: Friedrich Jaeger / Jörn Rüsen (Hg.): Handbuch der Kulturwissenschaften. Themen und Tendenzen, Bd. 3. Stuttgart 2004, S. 155-174.

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    Making-of, klassisches

    Als klassisches Making-of kann das im US-amerikanischen Studiokontext entstandene Filmformat verstanden werden, das die Entstehung einer Filmproduktion nachzeichnet und heute im Zuge der DVD-Kultur am weitesten verbreitet ist. In der Regel authentifiziert es als Paratext einen filmischen Haupttext bzw. reichert diesen „mit multiplen Diskursschichten an“ (Wortmann 2010, 98). Da die vorherrschende Praxis die Begleitung der Filmentstehung sowie eine Ausstrahlung anlässlich des Kinostarts im Fernsehen oder als DVD-Dreingabe wenige Monate nach dem Kinostart vorsieht und somit eine größere Kontextualisierung aus der Rückschau entfällt, suggeriert das klassische Making-of zwar simultanen Charakter, ist aber dennoch retrospektiv, indem es sich auf das fertige Produkt bezieht. Eine Retrospektive aus größerer zeitlicher Distanz steht in anderen Formen im Vordergrund, etwa dem eigenständigen (zumeist kritischeren) Dokumentarfilm, der auf Grundlage von Archivrecherchen und Zeitzeugen-Interviews v.a. Klassiker mit schwieriger Entstehungsgeschichte (The Shark Is Still Working: The Impact and Legacy of ‚Jaws‘, 2007) oder legendär gescheiterte Produktionen (Cleopatra: The Film That Changed Hollywood, 2001) in den Blick nimmt.

    Nachdem das frühe Hollywoodkino beim Blick hinter die Kulissen den Mythos des Zauberateliers bediente (How Motion Pictures Are Made and Shown, 1912) oder gar den Produktionsprozess zum Thema der Slapstickkomödie wählte (wie in Charlie Chaplins Behind the Screen, 1916 oder How to Make Movies, 1918), entwickelt sich das Making-of-Format v.a. seit den 1950er-Jahren, als mit dem Aufkommen des Fernsehens eine Möglichkeit entsteht, Kinofilme in einem anderen visuellen Medium zu bewerben (Rauscher 417f.). Seitdem offerieren Studios in der Regel zum Kinostart ihrer Filme Making-ofs im Kurzfilmformat, die als Medium der Werbung mit Filmausschnitten und Interviews Lust auf den Kinobesuch machen sollen. Dass dabei technische Aspekte und der Spektakelcharakter im Vordergrund stehen, erklärt sich aus der medialen Konkurrenz. Mehr Aufschluss über den filmischen Produktionsprozess gibt die seit den 1960er-Jahren im Zuge von François Truffauts Hitchcock-Buch populär werdende Interviewform (vgl. u.a. die Arbeiten Peter Bogdanovichs), die den visionären ‚auteur‘ als Gemeinplatz der Making-of-Erzählung etabliert. Der durchs Okular blickende Regisseur ist im klassischen Making-of das Gesicht des kreativen Kollektiv-Körpers, der laut Volker Wortmann als „konstitutives Phantasma kreativer Prozesse“ der wirklichen Aufklärung des Zuschauers im Weg steht (2008, 50). Zudem hält der omnipräsente Regisseur die einzelnen Segmente des in standardisierten Bildern (u.a. der durch den Sucher blickende Kameramann, der dirigierende Filmkomponist) eingefangenen Kollektiv-Körpers zusammen, was jedem Blockbuster-Sequel noch das Etikett des Autorenfilms verleiht (vgl. Wortmann 2010, 101) und wohl eher „der Verklärung von Produktionsabläufen“ dienen dürfte (Paech 223, Hervorhebung W.S.). Welcher Teil dieses Kollektiv-Körpers im Mittelpunkt steht, ist stark genreabhängig – bei Literaturverfilmungen besitzt der Drehbuchautor mehr Deutungshoheit als beim Actionfilm, wo auch Stuntman und Pyrotechniker zu Wort kommen; fast immer treten die Schauspieler prominent hervor.

    Standardelemente im klassischen Making-of sind die Voice-Over-Erzählung, das Wechselspiel von Ausschnitten des fertigen Films und ‚Behind the Scenes‘-Aufnahmen (die dem Zuschauer das Durchbrechen der ,Vierten Wand‘ und Atmosphäre vom Dreh versprechen), Interviews mit den Beteiligten und aneinandergeschnittene Standfotografien (‚production stills‘). Ebenso wie der Spielfilm baut das klassische Making-of – obwohl es in der verbreiteten Form selten eine Dauer von 45 Minuten übersteigt – Spannungsbögen auf, etabliert z.T. verschiedene Handlungsfäden und operiert mit den gleichen Stilmitteln, die auch aus der Inszenierung der klassischen Filmnarration bekannt sind (z.B. dem Einsatz von Montage zur Illustration kollektiven Bienenfleißes). Auch die zeitliche Segmentierung im klassischen Making-of (Prolog, auslösendes Ereignis, Story-Entwicklung in den Phasen Pre-Production, Dreh und Post-Production, Resümee) entspricht gängigen Plotformeln, wobei den einzelnen Phasen je nach Art des Referenzfilms verschiedene Bedeutung zukommt: Ein technisch wenig aufwändiger Film über gesellschaftliche Problemthemen verwendet mehr Zeit auf die Projektgenese, wogegen ein Blockbuster den Fokus auf die Umsetzung seiner Effekte (Pre- und Post-Production) legt. Zum Science-Fiction-Genre unterhält das klassische Making-of eine besonders innige Beziehung, weil es dessen narrative Agenda teilt: eine kreative Lösung für ein wissenschaftliches bzw. filmtechnisches Problem zu finden, z.B. die Geschichte der wegbereitenden digitalen Effekte sowie des Wasserglas-Tricks als Schlüsselmomente im Making-of zu Jurassic Park (1993). Doch auch in anderen Genres weiß sich das Making-of als „extended narrative of the film itself“ (Hight 8f.) dem Tonfall des Referenzfilms anzugleichen: heiter ausgelassen bei der Komödie, ernst und andächtig dagegen im historischen Drama.

    Die Begleitung des filmischen Entstehungsprozesses für das DVD-Feature stellt heute den Regelfall dar, doch das inflationäre Aufkommen von Making-ofs ist nur z.T. für den schlechten Ruf des Formats verantwortlich zu machen. Schuld dürften vielmehr einige mittlerweile akzeptierte Konventionen der Making-of-Erzählung sein, die den Informationsgehalt für das Publikum schwinden lassen und nur selten Gemachtheit thematisieren. So wird zumeist die Möglichkeit des Scheiterns, die dem Making-of mehr dramaturgische Möglichkeiten bieten und die typische Unterordnung unter den als gelungen beglaubigten Hauptfilm in Frage stellen würde, ausgeblendet. Die industrielle Praxis erschöpft sich häufig darin, statt Herstellungsprozessen eher das vollmundige Lob aller Beteiligten füreinander in den Mittelpunkt zu rücken.

    Bogdanovich, Peter: Wer hat denn den gedreht? Zürich 2000.

    Hight, Craig: „Making-of Documentaries on DVD: The Lord of the Rings Trilogy and Special Editions.“ In: The Velvet Light Trap: A Critical Journal of Film and Television 56 (2005), S. 4-17.

    Paech, Joachim: „Film, programmatisch.“ In: Klaus Kreimeier / Georg Stanitzek (Hg.): Paratexte in Literatur, Film, Fernsehen. Berlin 2004, S. 213-223.

    Rauscher, Andreas: „Making-of.“ In: Thomas Koebner (Hg.): Reclams Sachlexikon des Films. Stuttgart 2007, S. 411-414.

    Truffaut, François: Hitchcock. New York 1984.

    Wortmann, Volker: „special extended: Das Filmteam als kreativer Kollektiv-Körper im ,making-of‘.“ In: Hajo Kurzenberger et al. (Hg.): Kollektive in den Künsten. Hildesheim 2008, S. 39-60.

    Wortmann, Volker: „DVD-Kultur und ,Making-of‘: Beitrag zu einer Mediengeschichte des Autorenfilms.“ In: Rabbit Eye – Zeitschrift für Filmforschung 1 (2010), S. 95-108.

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    Making-of, prospektives

    Making-ofs beobachten, fixieren und ästhetisieren Produktionsprozesse. In einer Gegenwartskulturwissenschaft können sie als Beschreibungskategorien genutzt werden, da sich verschiedenste mediale Formate und künstlerische Prozesse als Ästhetisierung bzw. Beobachtung von Produktionsprozessen auffassen lassen. Gleichzeitig kann das Making-of aber auch als Analysekategorie dienen, mit der sich Produktionsprozesse aufschlüsseln lassen. Als prospektiv können diejenigen Making-ofs bezeichnet werden, die einen zum Zeitpunkt der Beschreibung in der Zukunft liegenden Produktionsprozess beschreiben. Damit ist das prospektive Making-of von retrospektiven und simultanen Making-ofs hinsichtlich seiner chronologischen Situierung gegenüber dem Produktionsprozess zu unterscheiden. Im prospektiven Making-of wird Produktionsöffentlichkeit hergestellt, bevor der Produktionsprozess beginnt.

    Die Unterscheidung von Making-ofs nach dem Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung lehnt sich an die bekannte Systematisierung von Paratexten bei Genette an, in dessen Diktion prospektive Making-ofs als eine Form ‚früher Paratexte‘ verstanden werden können.

    Weiter differenziert werden können prospektive Making-ofs hinsichtlich ihres normativen Gehalts für den bevorstehenden, beabsichtigten oder auch nur vorgeschlagenen Produktionsprozess und der daraus resultierenden Inszenierungsstrategie. Während der Fernsehbeitrag über ein geplantes architektonisches Großprojekt lediglich deskriptiv der Information seiner Zuschauer dient, tragen Kochrezepte und How-tos präskriptiven bzw. stark appellativen Charakter und fordern auf, an der Kultur des Machens zu partizipieren.

    Einen Spezialfall der deskriptiven, prospektiven Making-ofs stellt dabei die Simulation dar, bei welcher ein Produktionsprozess am Modell antizipiert und im Hinblick auf sein Gelingen sowie seine Konsequenzen beschrieben und analysiert wird. In diesem Sinne kann auch eine Theaterprobe als Simulation der Aufführungssituation gelesen werden.

    Genette, Gérard: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches, Frankfurt am Main/New York 1989.

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    Making-of, retrospektives

    Making-ofs beobachten, fixieren und ästhetisieren Produktionsprozesse. In einer Gegenwartskulturwissenschaft können sie als Beschreibungskategorien genutzt werden, da sich verschiedenste mediale Formate und künstlerische Prozesse als Ästhetisierung bzw. Beobachtung von Produktionsprozessen auffassen lassen. Gleichzeitig kann das Making-of aber auch als Analysekategorie dienen, anhand derer sich Produktionsprozesse aufschlüsseln lassen. Als retrospektiv können diejenigen Making-ofs bezeichnet werden, die den Produktionsprozess aus zeitlicher Distanz im Rückblick beobachten und beschreiben. Damit ist das retrospektive Making-of von simultanen und prospektiven Making-ofs hinsichtlich seiner chronologischen Situierung gegenüber dem Produktionsprozess zu unterscheiden.

    Ausschlaggebendes Kriterium ist dabei der Zeitpunkt, zu dem das Making-of seine finale Gestalt erhält, in der es an die Öffentlichkeit tritt: Wenn parallel zum Produktionsprozess recherchiert und mit der Erstellung des Making-ofs bereits begonnen wird, so ist es dennoch als retrospektiv zu betrachten, wenn die abschließende Kompilation und Redaktion des Materials ex post, das heißt nach Abschluss des Produktionsprozesses erfolgt.

    Im Wissen um das Ergebnis des Produktionsprozesses tendieren viele retrospektive Making-ofs zu einer teleologischen Inszenierung des Produktionsprozesses und operieren mit dem Topos der Zwangsläufigkeit.

    Die Unterscheidung von Making-ofs nach dem Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung folgt einer Systematisierung von Paratexten bei Genette (1989), der eine weitere Differenzierung zwischen ‚nachträglichen‘ und ‚späten Paratexten‘ vornimmt. Ein ‚nachträglicher Paratext‘ wäre demzufolge etwa das Vorwort zur zweiten Auflage eines Romans oder das klassische Making-of, das neuerdings zusammen mit der DVD-Fassung eines Films an die Öffentlichkeit tritt und bereits Reaktionen der am Produktionsprozess Beteiligten auf einen eventuellen Kinoerfolg enthalten kann, aber stets im näheren zeitlichen Umfeld der Erstveröffentlichung seines Urtextes selbst publiziert wird.

    Andere retrospektive Making-ofs sind gemäß Genettes Differenzierung dagegen als ‚späte Paratexte‘ zu verstehen, beispielsweise die im Nachhinein recherchierten Dokumentationen über Filmherstellungsprozesse wie The Shark Is Still Working: The Impact and Legacy of ‚Jaws‘ (2007) oder viele der gängigen DIY-Formate.

    Genette, Gérard: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches, Frankfurt am Main/New York 1989.

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    Making-of, simultanes

    Making-ofs beobachten, fixieren und ästhetisieren Produktionsprozesse. In einer Gegenwartskulturwissenschaft können sie als Beschreibungskategorien genutzt werden, da sich verschiedenste mediale Formate und künstlerische Prozesse als Ästhetisierung bzw. Beobachtung von Produktionsprozessen auffassen lassen. Gleichzeitig kann das Making-of aber auch als Analysekategorie dienen, anhand derer sich Produktionsprozesse aufschlüsseln lassen.

    Als simultan können diejenigen Making-ofs bezeichnet werden, die einen gegenwärtig noch laufenden Produktionsprozess beschreiben. Damit ist das simultane Making-of von retrospektiven und prospektiven Making-ofs hinsichtlich seiner chronologischen Situierung gegenüber dem Produktionsprozess zu unterscheiden.

    Zentral ist, dass nicht nur die Recherche und Materialgenese, sondern auch die Edition des Making-ofs bereits zeitgleich zum Produktionsprozess erfolgt. Die Analogie zur Systematisierung der Paratexte bei Genette stößt hier an ihre Grenzen: Der Paratext erlangt seine abschließende Form, während der Produktionsprozess noch läuft. Letzterer wird nicht bloß begleitet, sondern verschmilzt durch die Rückkopplungen der autopoietischen Feedbackschleife geradezu mit seinem simultanen Making-of. Es erlangt seine abschließende Form (wenn überhaupt), während der Produktionsprozess noch läuft. Die finale Gestalt des Werks ist dem simultanen Making-of somit prinzipiell indisponibel. Sie hängt sogar von der Rezeption des Making-ofs ab, was die autopoietische Feedbackschleife zum Hauptmerkmal des simultanen Making-ofs macht. Da an diesem Punkt der Produktionsprozess mit seinem Making-of zusammenfällt und Produktion wie auch Rezeption der Prozesse simultan ablaufen, können die Rollen oszillieren.

    All dies resultiert in einer aktiven Produktionsöffentlichkeit, wie etwa im Fall von Blogs, Koch– und Castingshows sowie öffentlichen Proben im Theater. Tagebuchaufzeichnungen sind prinzipiell auch im Feld des simultanen Making-ofs anzusiedeln, werden allerdings zumeist retrospektiv rezipiert.

    Auch bei der Ausgestaltung des im Zuge der DVD-Kultur entstandenen klassischen Making-ofs ist eine Tendenz hin zu simultanen Varianten zu beobachten: Bereits vor Veröffentlichung des Films sind online Featurettes über Aspekte seiner Herstellung zu sehen, teils unter dem Schlagwort Produktionstagebuch. Dieses zählt zu den ergebnisoffeneren Formen des simultanen Making-ofs.

    Genette, Gérard: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches. Frankfurt/Main / New York 1989.

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    Making-off

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    Maler und Malerei im Film

    Die „Legende vom Künstler“ erfreut sich, obwohl sie von Ernst Kris und Otto Kurz schon 1934 entzaubert wurde, bis in die Gegenwart größter Popularität, steht sie doch im Zentrum der beliebten Gattung des Künstlerfilms, der stets die Inszenierung einer mythischen (überwiegend männlichen) Produktionskraft zum Thema macht. Das Bild des innerlich getriebenen, jenseits normativer Ordnungen agierenden Künstlers, der zugleich – durch das visuelle Regime der Mise en scène – in liebevoll reproduzierten Kostümen und Dekors radikal historisiert wird, findet sich in so unterschiedlichen Spielfilmen wie Vincente Minnellis Lust for Life über Vincent van Gogh (1956), Ed Harris‘ Pollock (2000) und Derek Jarmans Caravaggio (1986), aber auch in erfolgreichen Dokumentarfilmen wie Le mystère Picasso von Henri-Georges Clouzot (1956) oder neueren Produktionen wie Gerhard Richter Painting von Corinna Belz (2011). Auch wenn einzelne Filmemacher, wie etwa Jarman, stellenweise mit dem historischen Einheitsraum brechen und anachronistische Referenzen (Taschenrechner, Zuggeräusche etc.) einbauen, bleibt der historistische Gestus des Eintauchens in die Wirklichkeit des Lebens und Sterbens eines tragischen Künstlerheros auch in den teilweise avantgardistischen Filmen erhalten.

    Der Prozess der künstlerischen Produktion wird im Künstlerfilm, wenn er überhaupt gezeigt wird, als Ausdruck einer autonomen Künstlerexistenz visualisiert. Michelangelos Arbeit an den Deckenfresken der Sixtina in Sir Carol Reeds The Agony and the Ecstasy (1965) bezieht ihr dramaturgisches Gewicht daraus, dass sie als Dokument eines zähen Ringens zwischen dem Künstler und Papst Julius II. inszeniert wird. Jarmans Caravaggio findet Modelle unmittelbar in seinem proletarisch-bohemienartigen Alltag, der wiederholt zu ‚lebenden Bildern’ gerinnt und das Geschehen in ein prospektives Making-of transformiert. Das Kunstwerk wird dem Künstlerleben subsummiert. Dies gilt sogar dann, wenn ein Film, wie Alain Resnais‘ Van Gogh (1948), nur aus Aufnahmen von Werken des Künstlers besteht und auf jede realfilmische Handlung verzichtet. André Bazin hat darauf aufmerksam gemacht, dass dieser Film die „Ausrahmung“ jedes einzelnen Gemäldes vornimmt, damit vor allem durch Zooms und Überblendungen ein Raum-Zeitkontinuum evoziert werden konnte. So ist trotz der scheinbaren Verselbständigung der Werkebene Malerei als Ausdrucksgebärde und Existenzdokumentation des Künstlerlebens lesbar. Minnellis formal ganz anders gestaltetes Biopic gibt zum Beispiel einer Montagesequenz der Sonnenblumen-Bilder van Goghs einen ähnlich expressivistischen Sinn. Für die aktuelle digitale Filmproduktion ist exemplarisch auf Lech Majewskis Die Mühle und das Kreuz (2011) zu verweisen, das Pieter Bruegels Wiener Bild der Kreuztragung mit allen Details buchstäblich zum Leben erweckt und begehbar macht.

    Die im Genre des Biopics und der filmischen Künstlerdarstellung übliche Fiktionalisierung der Meisterwerke negiert deren realen, vom historischen Entstehungskontext abgelösten Objektstatus. Andrei Tarkowskis Andrej Rubljow (1969) ist vielleicht der einzige Künstlerfilm, der sich diesem hermeneutischen Problem des Kunstwerks bewusst stellt. Ermöglicht wird dies durch die kritische Revision der Idee des Künstlerindividuums auf der Grundlage einer materialistischen Geschichtskonzeption, die Kunst wie Wissenschaft und Kult an die Interessen der herrschenden russischen Fürsten des 14. Jahrhunderts bindet. Es gibt hier keine kohärente Darstellung des Künstlerlebens, keine großen Persönlichkeiten vor dem Hintergrund einer gesichtslosen Volksmasse, sondern nur in der Gruppe agierende Einzelne, deren Taten in frei assoziierten Episoden erzählt werden. In einem gänzlich von der Handlung abgekoppelten Epilog schwenkt die Kamera über die von Rubljow und anderen Ikonenmalern angefertigten Fresken, insbesondere das Bild der von Engeln personifizierten Dreifaltigkeit, das einer innigen gegenseitigen Zugewandtheit und somit einem kollektiven Ideal Gestalt gibt. Nicht allein die individuelle Vorstellungskraft und technische Virtuosität, sondern vor allem die soziale Positionierung des Künstlers ist Anschub seiner Produktion.

    Der entgegengesetzte Standpunkt wird durch die vermeintlich dokumentarische Aufzeichnung des Malprozesses in Filmen über zeitgenössische Künstler eingenommen, von denen viele tatsächlich wieder eine Fiktionalisierung des Werks leisten. Hans Namuths Kurzfilme über Jackson Pollock (1950) haben das Image des von Harold Rosenberg konzipierten existentialistischen ‚Action-Painters‘ geprägt und erneut dem Mythos der unmittelbaren künstlerischen Ausdrucksgeste visuelle Evidenz verliehen. Clouzots Le mystère Picasso (1955) zeigt zwar nicht den Künstler bei der Arbeit, umso magischer jedoch erscheint die mittels Stopptrick in allen Etappen visualisierte Bildentstehung. Auch der aktuelle Film von Corinna Belz, Gerhard Richter Painting, der die mechanische Bewegung des Rakels als ein geheimnisvolles Verfahren jenseits aller Erklärbarkeit inszeniert, zehrt noch von diesen Vorbildern.

    Allein die konsequente Absage an den narrativen Aktionismus des filmischen ‚Bewegungsbildes‘ zugunsten des ‚Zeitbildes‘, das die filmische als reflexive Form einsetzt (Deleuze), hat eine kritische Perspektive auf das malerische Making-of ermöglicht, das auf Augenhöhe mit der Bildkritik der Avantgarden operiert. Aus dem Spektrum des experimentellen Films ist als Beispiel Andy Warhols Kurzfilm Elvis at Ferus (1963) zu nennen, in dem die hektischen, gesturalen Kamerabewegungen einer sinnfälligen Zuordnung zu den ausgestellten Siebdrucken weitgehend entzogen bleiben. Den Paragone zwischen Film und Malerei hat schon Jean-Luc Godard einschlägig in seinem Frühwerk (A bout de souffle, 1959, Le petit soldat, 1960; Pierrot le fou, 1965) begründet, indem er Reproduktionen von Gemälden in seine Spielfilme einbaut, ohne sie dem diegetischen Raum gänzlich unterzuordnen. Die Aufführung von Meisterwerken der Malerei in Passion (1981) lässt sich dabei als eine hoch reflektierte und zugleich pathosgeladene Verdichtung von malerischem und filmischem Making-of verstehen. 

    Bazin, André: “Le mythe du cinéma totale.” (1946) In: Ders.: Qu’est-ce que le cinéma? Paris 1981, S. 19-24.

    Deleuze, Gilles: Das Bewegungs-Bild. Kino 1. Frankfurt/Main 1997.

    —: Das Zeit-Bild. Kino 2. Frankfurt/Main 1997.

    Kris, Ernst / Otto Kurz: Die Legende vom Künstler. Ein geschichtlicher Versuch. Frankfurt/Main 1995.

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    Materialästhetik

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    Netzwerk

    Netzwerke besitzen für Making-ofs multiple Bedeutung. Das Netzwerk ist zunächst eine sprachliche und visuelle Metapher der Verknüpfung heterogener Machensprozesse und somit eine Beschreibungskategorie. Mit Bruno Latour und dessen Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) gilt es hingegen, den Fokus auf Handlungsmomente zu lenken, die auf einer kontingenten oder ephemeren Einheit von Akteuren, Objekten und Technologien basieren.

    Der Netzwerk-Begriff wurde vor allem in der soziologischen Forschung stark differenziert entwickelt. Bereits Georg Simmel beschreibt Individuen oder Gruppen und deren (Inter-)Relationen als netzwerkartige Ordnung. Infolgedessen wird Gesellschaft als Netzwerk „sozialer Konnektivität“ verstanden, „d.h. die Knoten des Netzwerkes sind Menschen, und die Verbindungen zwischen diesen sind Beziehungen“ (Quandt 121). Netzwerkkonzepte beziehen sich also zunächst auf die Akteure und ihre gesellschaftlich-hierarchische Organisation, woran das Making-of anknüpfen kann, wenn die Funktionen und Interrelationen von an Machensprozessen beteiligten Akteuren beschrieben werden.

    Ende der 1990er-Jahre etablierte Manuel Castells das Netzwerk als wesentliche Beschreibungskategorie von Prozessen der Kommunikation, der Mobilität, der Informationsflüsse und der Kapitalströme und entwickelte so die „Netzwerkgesellschaften“ als dominante gesellschaftliche Organisationsstruktur im Zeitalter der Globalisierung (2001ff.). Das Netzwerk betont hierin die heterogene Verknüpfung von Orten und Prozessen wie auch deren Delokalisierung aufgrund der Überwindung räumlicher Gebundenheit durch Technologien der Kommunikation und Mobilisierung und entfernt sich von der Akteur-Fixierung. Die daraufhin formulierte soziale Kritik (vgl. Massey) am Ausschluss und der Marginalisierung von bestimmten Räumen und Orten inklusive ihren Bewohnerinnen markiert ein Gegenargument zum grenzenlos positiv rezipierten Potential (ökonomischen) Wachstums und zur auf den sozialen Medientechnologien basierenden individuellen Freiheit.

    In der Überlegung, ob die Gegenwart durch technische Errungenschaften wie z. B. Social Media und das Internet Zeuge eines allumfassenden Paradigmenwechsel wird oder bereits schon ist, nimmt die Making-of-Perspektive eine machtvolle Position ein. Denn Kernelement eines jeden Making-ofs ist die Verknüpfung einer medialen oder virtuellen Welt und einer solchen, die leibliche Ko-Präsenz bewusst konstituiert. Making-of als Format ist die Beobachtung von Machensprozessen in Abhängigkeit von einer Form der medialen Übersetzung, so beispielsweise als Film, YouTube-Video, Text, Soundfile etc.

    Hierzu erweist sich das Netzwerk-Konzept nach Castells als nützlich: Das Making-of als ein simultanes Verknüpfen und Kontrastieren von heterogenen Abläufen ist ein Netzwerk von Kommunikations- und Prozessflüssen. Gleichzeitig beschreibt das Netzwerk auch die Inszenierungslogik von Struktur und Prozessualität der Making-ofs als Mutation zwischen realen und medialen Räumen. Ausschlussprinzipien sind ähnlich zentrale Eigenschaften, denn die technischen, zeitlichen und finanziellen Mittel sind begrenzt. Auch Making-ofs unterliegen, wider ihrem oft betonten Versprechen vom nicht selektierten Blick hinter die Kulissen, einem starken Diskurs der Selektion, wodurch bewusst einige Dinge gezeigt werden und andere wiederum nicht (vgl. Foucault). Doch gerade diese Ausschlusslogik dient der Konstitution der Netzwerkstruktur ebenso wie der des Making-ofs.

    Neuere soziologische Netzwerk-Ansätze haben ihren Interessensschwerpunkt endgültig auf Handlungen verschoben. Ein solcher Ansatz ist die Akteur-Netzwerk-Theorie von Latour. Für Latour sind Menschen und Objekte gleichberechtigte Aktanten, die handeln und Widerstand leisten können. Somit verliert das Subjekt seine klassische Vormachtstellung zu Gunsten einer stärker soziotechnischen Konstellation. Objekte können ebenso wie Menschen handeln, indem sie Reaktionen bedingen. Zentral ist die durch Mensch und Objekt gebildete ‚handelnde Einheit’, ein Hybrid, der einem bestimmten Handlungsziel folgt.

    Das Konzept des Netzwerkes vermittelt daher die Überlegung, dass die Handlung, ein Machensprozess, nicht nur in Beziehung zum Akteur steht, sondern ebenso (und u.U. ausschließlich) zu Objekten und eben Technologien. Bezogen auf Making-ofs zeigt sich dies auf zwei Ebenen: Beobachten wir Prozesse, dann gilt es, machende Individuen gleichsam wie die prozessinitiierenden oder prozessherstellenden Objekte zu identifizieren. Ohne die technische Umsetzung und den Gestus des Zeigens ist ein Machensprozess (Tanzen im Wohnzimmer) eben kein Making-of, sondern nur privates Tanzen (vgl. auch Skizze). Machen und Medialität werden im Making-of zur ‚handelnden Einheit’. Daran schließt der Gedanke an, dass die Making-of-Perspektive den Fokus vom Produkt, also vom Werk, auf den Verlauf, den Prozess, verschiebt.

    In einem künstlerischen Kontext kommt das Netzwerk in seiner, oben gezeigten, vielseitigen Denkbarkeit und Relevanz für Making-ofs in Arbeitsprozessen folgendermaßen zum Tragen. Zum einen ist eine Verschiebung der Künstleridentität vom ‚Schöpfer’ zum ‚Organisator’ zu beobachten (vgl. Wetzel), zum anderen erfährt prozessbasierte Kunst wie beispielsweise die Performancekunst einen vielgesichtigen Wandel: Früher besaßen Performances einen singulären ‚Ereignischarakter’ und sie verloren in der photographischen Dokumentation ihre gesamte Prozessualität. In Arbeiten wie der Serie Synthetic Performances (2007) von Eva und Franco Mattes alias 0100101110101101 werden historische Performances als netzbasierte Kunst in der virtuellen Realität (und Ästhetik) von Second Life re-enacted. So auch die Performance Imponderabilia (1970) von Marina Abramovic und ihrem Partner Ulay, für welche sie sich in der damaligen Aufführungssituation nackt und einander zugewandt in den Galerieeingang stellten. Die Gäste mussten sich, ihm oder ihr zugewandt und die nackten Körper streifend, Zugang verschaffen. Eva und Franco Mattes bildeten 2007 die gleiche Situation als Computeranimation nach und ließen verschiedenste Charaktere zwischen ihren eigenen Avataren passieren. In diesem Kontext fungiert die Beschreibung, Beobachtung und Ästhetisierung der historischen Performance von 1970 als Making-of.

    Zeitgenössische künstlerische Arbeiten, welche einem Making-of Rechnung tragen, spielen also häufig und auf unterschiedliche Weise mit der Komplexität des Netzwerk-Begriffes.

    Castells, Manuel: Das Informationszeitalter. Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur, 3 Bd. Opladen 2001-2003.

    Foucault, Michel: Die Ordnung des Diskurses. 1970. München 2012.

    Hensel, Thomas / Jens Schröter: „Die Akteur-Netzwerk-Theorie als Herausforderung der Kunstwissenschaft. Eine Einleitung.“ In: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft 57.1 (2012), S. 5-18.

    Lange, Barbara: „Netzwerker im Internet. Der gesellschaftskritische Künstler als Administrator.“ In: Sabine Fastert et al. (Hg.): Die Wiederkehr des Künstlers. Themen und Positionen der aktuellen Künstler/innenforschung. Köln et al. 2011, S. 193-204.

    Latour, Bruno: Reassembling the Social. An Introduction to Actor-Network-Theory. Oxford 2005.

    Massey, Doreen: Space, Place and Gender. Cambridge 1994.

    Mattes, Eva / Franco Mattes aka 0100101110101101: „Reenactment of Marina Abramovic and Ulay’s Imponderabilia.“ In: 0100101110101101.org von 2007, http://0100101110101101.org/home/reenactments/performance-abramovic.html [Letzter Zugriff: 23. März 2013].

    Quant, Thomas: „Netzwerke und menschliches Handeln: Theoretische Konzepte und empirische Anwendungsfelder.“ In: Andreas Hepp et al. (Hg.): Konnektivität, Netzwerk und Fluss. Konzepte gegenwärtiger Medien-, Kommunikations- und Kulturtheorie. Wiesbaden 2006, S. 119-140.

    Simmel, Georg: „Die Kreuzung sozialer Kreise.“ In: Ders.: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. Berlin 1908, S. 100-116.

    Wetzel, Michael: „Autor / Künstler.“ In: Karlheinz Barck et al. (Hg.): Ästhetische Grundbegriffe, Bd. 1. Stuttgart, Weimar 2000, S. 480-544.

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    Neues vom Kleidermarkt

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    Nonlinearität

    Indem Making-ofs Prozesse und alle beteiligten Faktoren und Akteure in komplexen und dynamischen Relationen neben-, mit- oder nacheinander beobachten und sichtbar machen, werden neue, andere Sinnzusammenhänge generiert, die im Sinne eines Samplings nach Thomas Feuerstein zu verstehen sind. Nonlinearität als ,Nicht-Einfachheit‘ bezeichnet eine mediale bzw. inhaltliche Komplexität von Inszenierungs– wie auch Organisationsprinzipien von Making-ofs.

    Abgeleitet aus den theoretischen Überlegungen Henri Poincarés Endes des 19. Jahrhunderts wurden ab den 1960er-Jahren nonlineare dynamische Systeme für die mathematische Physik entwickelt (vgl. Hayles 2f.). Poincaré definierte sie als „sensitive Abhängigkeit von Anfangsbedingungen“ (Guntern 15). Sie werden weiter als Ordnungen verstanden, deren zeitliche Entwicklung unvorhersagbar ist, obwohl die Interaktion der zugrundeliegenden Faktoren annähernd determinierbar erscheint (vgl. Werner 10f.). Sie gelten als ‚chaotisch‘, weil die Menge an Information zunächst als größte Unordnung ohne roten Faden erscheint. Jedoch ist Chaos „not a lack of disorder, but order and disorder interlaced“ (ebd. 2). In den Naturwissenschaften bezeichnet man dies als einen Teilbereich der Chaostheorie oder Chaosforschung, der zunächst für die Beschreibung von langfristig unbestimmbaren Wettervorhersagen oder (magnetischen) Pendelbewegungen Verwendung fand. Daher erscheint die Nutzbarmachung dieser Theorien innerhalb des Making-of-Kontexts wohl zunächst fragwürdig.

    Doch was in diesem speziellen Zusammenhang Relevanz besitzt, ist die Vorstellung einer nicht determinierbaren Prozessualität, in welcher Prozesse in nonlinearen Verbindungen zueinander stehen und agieren. Mit dem Wissenschaftler und Künstler Ian M. Clothier gesprochen: „[S]imple cause and effect has broken down, and the linear relationship between parts of a system is disturbed. One action may in one instance produce one reaction and in another, a different reaction“ (53). Wenn kreative Produktionsprozesse als komplexe Systeme gedacht werden, denen der Gestus von Unvorhersehbarkeit inhärent ist, ist eine singuläre Kausalität zwischen Aktion und Reaktion nicht mehr gegeben. Nonlinearität ist daher vor allem im Sinne der Autopoiesis die Erklärung für Making-ofs als interagierende und intermediale Systeme. Beispielsweise bezogen auf das Format Casting-Shows liegt hier jeder Staffel der selbe Experimentieraufbau zugrunde: die Hervorbringung eines Stars. Dennoch ist der Prozessverlauf, trotz maximal gleicher Ausgangssituation, jedes Mal ein völlig anderer. In diesem Sinne sind Making-ofs prädestiniert dazu, mit Hilfe von nonlinearen Strukturen die Komplexität und die Vielzahl möglicher, nicht-determinierbarer Prozessverläufe zu thematisieren bzw. zu beschreiben.

    Um jedoch Nonlinearität auch als formales bzw. strukturelles Organisationsprinzip von Making-ofs greifbar zu machen und die Modi solcher Prozessverknüpfungen zu untersuchen, ist das Rhizomkonzept von Gilles Deleuze und Félix Guattari, welche die Chaostheorie in die Geisteswissenschaften einführten, grundlegend.

    Ihre Unterscheidung zwischen Rhizom und Baum kann als Analogie zur Beziehung von Nonlinearität und Linearität gesehen werden. Unter der Vorstellung eines Baums mit natürlicher Pfahlwurzel werden Eigenschaften wie Hierarchie und binäre Logik subsumiert, wo alle neuen Verbindungen mit der zentralen Wurzel verbunden und linear bzw. chronologisch organisiert sind. Im radikalen Gegensatz dazu verstehen Deleuze und Guattari in Anlehnung an Carl Jung das Rhizom als subversives Moment der Dezentralisierung, Heterogenität, Anti-Hierarchie und Pluralität. Das Rhizom kennt kein Vorne, kein Hinten, kein Ende, keinen Anfang. Es wächst und hört auf, und wächst an einer anderen Stelle weiter, ohne dass ein Zentrum benannt werden könnte: „The rhizome is reducible neither to the One nor the multiple [… I]t is comprised not of units but of dimensions, or rather directions in motion“ (Deleuze / Guattari 2010, 21).

    Mit Hilfe des Rhizom-Konzepts kann also die nonlineare Verknüpfung von Produktionsprozessen als Netzwerk als Organisationsstruktur des Making-ofs erklärt werden.

    Wesentliche Eigenschaften sind hierin die Strategien der Dehierarchisierung, Heterogenität und Dezentralisierung. Bezogen auf Wissensgenerierungsprozesse lässt sich beispielsweise über Präsentationen von ‚prezi.com‘ als eine Art der Verknüpfung von Nonlinearität und Making-of nachdenken. Bei ‚Prezi‘ werden alle Folien ohne feste Abgrenzung auf einem einzigen Feld angeordnet. Mittels verschiedener Zeigetools kann wie auf einer ‚mindmap‘ navigiert werden; dabei werden Teilbereiche rotiert, gezoomt, animiert oder als Videodatei abgespielt. Prinzipiell ohne festen Anfang und Ende, ist das Wissen somit rhizomhaft organisiert, es steht frei, in welcher Reihenfolge von einem Bild, Text oder Ton zum nächsten navigiert wird und welche Wissenslogik als Netzwerk, das heterogene mediale Informationen in einer neuen Medialität verbindet, daraus entsteht. Doch anstelle einer zu erwartenden gesteigerten Realitätswahrnehmung ist die eigentliche Erfahrung das, was Becker et al. als „Rückkopplungseffekt des Medialen“ verstehen: „Die Ordnung der Repräsentation, die von einer strikten Trennung zwischen den Dingen und ihren Darstellungen ausgeht, wird empfindlich gestört, indem sich das von Medien Vermittelte selbst als medial erweist. Die substantielle Vorstellung von Wirklichkeit weicht einer funktionalen.“ (7)

    Becker, Ilka et al.: „Einleitung.” In: Dies. (Hg.): Just not in time. Inframedialität und non-lineare Zeitlichkeit in Kunst, Film, Literatur und Philosophie. München 2011, S. 7-28.

    Clothier, Ian M.: „Leonardo, Nonlinearity and Integrated Systems.“ In: Leonardo 41.1 (2008), S. 49-55.

    Deleuze, Gilles / Felix Guattari: Rhizom. Berlin 1977.

    Deleuze, Gilles / Felix Guattari: Tausend Plateaus. Über Kapitalismus und Schizophrenie. 1980. Berlin 2010.

    Feuerstein, Thomas: „10 Sampling-Thesen.“ In: Texte, Media Made, http://feuerstein.myzel.net/texte/sampling_thesen_de.html [Letzter Aufruf: 29.12.2012].

    Guntern, Gottlieb: „Kreativität und das rigorose Chaos. Eine Einführung.“ In: Ders. (Hg.): Chaos und Kreativität. Rigorous Chaos. Zürich 1995, S. 7-79.

    Hayles, N. Katherine: Chaos Unbound. Orderly Disorder in Contemporary Literature and Science. Ithaca / London 1990.

    Werner, Hans C.: Literary Texts as Nonlinear Patterns. A Chaotics Reading of Rainforest, Transparent Things, Travesty, and Tristram Shandy. Göteborg 1999.

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    Notizen

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    Paratext

    Das vom strukturalistischen Literaturwissenschaftler Gérard Genette geprägte Konzept des Paratextes, das einen Begleittext im Umfeld des (literarischen) Werks designiert, stellt eine Möglichkeit dar, das Making-of und seine Beziehung zu einem Haupt- bzw. Referenztext theoretisch zu fassen.

    Genette interessiert sich in seiner ursprünglichen Formulierung des Paratext-Begriffs für diejenigen Texte, die vor der eigentlichen Lektüre eines Buches vor den Leser treten und in „eine[r] ,unbestimmte[n] Zone‘ zwischen innen und außen“ zu lokalisieren sind, „die selbst wieder keine feste Grenze nach innen (zum Text) und nach außen (dem Diskurs der Welt über den Text) aufweist“ (10). Genette will Paratexte nicht als überflüssige Anhängsel verstanden wissen, sondern geht von einem produktiven Verhältnis zwischen dem Haupttext und seinen traditionell unberücksichtigten Begleitern aus. Zwischen ihnen sieht Genette keinen rigiden Gegensatz, stellt sie allerdings zueinander in ein klar hierarchisches Verhältnis. Vom literarischen Kontext erfuhr der Paratext-Begriff, den Genette u.a. anhand seiner Position und seines pragmatischen Status‘ näher bestimmt, eine Ausdehnung und wird mittlerweile auch in multimedialen Kontexten gebraucht (vgl. Stanitzek 12f.). Speziell Genettes zentrale These, dass die Rolle von Paratexten für die Rezeption von Werken unbedingt zu berücksichtigen ist, da diese nie im luftleeren Raum, sondern immer auf Grundlage von Vorwissen und vermittelt durch paratextuelle Begleiter wie den im erweiterten Umfeld zirkulierenden Epitexten (u.a. Rezensionen, Interviews) und den verlegerischen Peritexten (u.a. Klappentext, Buchcover) erfolgt, ist für die Diskussion von Making-of-Formen von zentraler Bedeutung. In einer Kultur des Making-ofs, die in so unterschiedlichen Feldern wie Architektur, Handwerk oder Kochen Entstehungsprozesse offenlegt (so etwa in Form von Begleitpublikationen, Broschüren oder Blogs), in der also immer stärker Gemachtheit ausgestellt und in der etwa die filmische Illusion auf dem DVD-Begleitmaterial gleich wieder entzaubert wird, kommen Werke immer seltener ohne ein die Entstehungsgeschichte dokumentierendes, paratextuelles Angebot auf den Rezipienten.

    Auch die von Genette betonte zeitliche Dimension – er unterscheidet zwischen dem Hauptwerk vorgeschalteten, zeitgleich mit seiner Publikation erscheinenden sowie nachträglichen Paratexten (13) – lässt sich auf den Making-of-Kontext übertragen, wo zwischen prospektiven, simultanen und retrospektiven Varianten zu unterscheiden ist.

    In Genettes Klassifikation wären traditionelle Making-of-Formate wie der Werkstattbericht der Kategorie der öffentlichen, im freien Raum kursierenden („anywhere out of the book“, Genette 328), durch die Verantwortlichen autorisierten Epitexte zuzuordnen; dagegen entfällt eine mediale Separierung beispielsweise im Fall einer auf der DVD beigefügten Dokumentation, die folglich eher peritextuellen Charakter trägt. Genettes Konzeption sieht ferner auch den mittlerweile nicht unüblichen Fall vor, dass es Paratexte ohne Text, „nämlich verlorengegangene oder gescheiterte Werke“ (11), geben kann (Lost in La Mancha). Die darin angedeutete Umkehrung des traditionellen Verhältnisses zwischen vorrangigem Haupt- und supplementärem Paratext thematisiert Genette allerdings nicht im Detail.

    Folglich erwächst aus der Anwendung von Genettes Konzept auf den Making-of-Kontext auch eine Gefahr der Einseitigkeit, denn der Paratextbegriff stellt die Selbständigkeit von Making-ofs in Abrede, die sich nicht nur als Appendix zu einem Hauptwerk bzw. im Sinne des von Genette beschriebenen „Hilfsdiskurs[es]“ verstehen, der ganz „im Dienst einer anderen Sache steht, die seine Daseinsberechtigung bildet“ (18). Darüber hinaus suggeriert die Betonung des paratextuellen Charakters von Making-ofs ein parasitäres Wesen und reduziert das Format auf die Rolle als bloßes, von einem Wirt genährtes Nebenprodukt. Michel Serres hat dieses die Kultur durchringende, parasitäre Abhängigkeitsverhältnis als das „des einfachen, nicht umkehrbaren Pfeils, der nur eine Richtung und kein Zurück kennt“, charakterisiert (14) – die Absage an eine von gegenseitigem Austausch charakterisierte Beziehung und die Abwertung zur Sphäre des Exkrements und Abjekts mag z.T. für diejenigen Making-ofs gelten, die tatsächlich nur als rein kommerzielle, werbende Maßnahme lanciert werden und ohne eigenständigen Wert sind. Jedoch haben sich v.a. im Kontext der darstellenden Künste längst Making-of-Formate mit eigenem künstlerischen Anspruch und eigenen Inszenierungsstrategien etabliert.

    Genette, Gérard: Paratexte: Das Buch vom Beiwerk des Buches. Frankfurt/Main / New York 1992.

    Serres, Michel: Der Parasit. Frankfurt/Main 2008.

    Stanitzek, Georg: „Texte, Paratexte, in Medien: Einleitung.“ In Klaus Kreimeier / Ders. (Hg.): Paratexte in Literatur, Film, Fernsehen. Berlin 2004, S. 3-19.

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    Partizipation

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    Poetik

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    Produktionsästhetik

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    Produktionsöffentlichkeit

    Ermöglicht ein simultanes Making-of zeitgleich zur Inszenierung seines Produktionsprozesses seine simultane Rezeption, so generiert es einen spezifischen Kommunikationszusammenhang, der als Produktionsöffentlichkeit beschrieben werden kann.

    Der ursprünglich von Alexander Kluge und Oskar Negt 1972 in Öffentlichkeit und Erfahrung eingeführte und 1981 in Geschichte und Eigensinn erweiterte Begriff der Produktionsöffentlichkeit wird von Dirk Baecker aufgegriffen: „Produktionsöffentlichkeit ist eine Öffentlichkeit, die sich, orientiert an deren Darstellung, einen Produktionsprozess noch einmal genauer anschaut.“ (143). Produktionsöffentlichkeiten sind Produktionsbereiche bestimmter Wirklichkeiten, die sich aus Aushandlungsprozessen zwischen Produktion und Konsum bestimmter Wirklichkeiten sowie Abgrenzungs- und Vergleichsprozessen zu anderen Produktionsbereichen von Wirklichkeit ergeben.

    Die Produktion und gleichzeitige Rezeption bestimmter Wirklichkeiten unterscheidet in Anlehnung an Baecker als Produktionsöffentlichkeiten charakterisierte simultane Making-ofs von klassischen Making-of-Formaten, die in einem abgeschlossenen Werk einen Referenzprozess als Produktionsprozess beschreiben: Die Produktion einer Theaterinszenierung wird beispielsweise im Medium des Films als ein chronologischer Prozess erzählt, der in der Filmbetrachtung retrospektiv rezipiert wird. Referenzprozess und Produktionsprozess des Making-ofs sind dann bereits abgeschlossen.

    Produktionsöffentlichkeiten funktionieren anders: Der nonlineare Produktionsprozess wird von den Rezipienten durch eine Interaktion mit den Produzentinnen aufgrund einer (oftmals medial) vermittelten autopoietischen Feedbackschleife mit hervorgebracht und gleichzeitig als Making-of konsumiert. Es ist eine Aushandlung bestimmter Wirklichkeiten „zwischen Produktion und Konsum“ (Baecker 143), die Öffentlichkeit produziert. Diese ist nicht mehr als repräsentative, singuläre Gesamtöffentlichkeit zu verstehen, sondern untergliedert sich in Partialöffentlichkeiten, die sich durch ständige neue und weiterführende Verlinkungen in nonlinearen Netzwerkstrukturen organisieren und sich als Ko-Existenzen verschiedener Produktionsöffentlichkeiten ausbilden. Sie sind in ihrer Organisation in einer ständigen Neukonfiguration begriffen. Die Benutzerinnen sind sowohl Rezipienten als auch Ko-Produzenten dieser Öffentlichkeiten und gestalten auf diese Weise sowohl die Binnenorganisation einer Produktionsöffentlichkeit als Oszillieren dieser beiden Rollen (autopoietische Feedbackschleife) als auch die Außenorganisation in Netzwerkstrukturen durch permanente (Neu-)Verlinkung, die mit einem Wechsel zwischen sich abgrenzenden Produktionsöffentlichkeiten einhergeht und von Baecker als Switch bezeichnet wird.

    Als Sonderfall in der Binnenorganisation einer Produktionsöffentlichkeit kann eine klassische Konstellation von Produzent und Rezipient betrachtet werden, bei der sich die Aktivität des Rezipienten auf die bloße Lektüre des simultanen Making-ofs bezieht. Dies kann beispielsweise bei Produktionstagebüchern oder anderen simultanen Berichten eines Ereignisprozesses (z.B. eines Tagebuchs einer Reise oder einer Konzerttournee) eintreten. Dabei kann die Rolle des Rezipienten von Seiten der Produzenten so festgelegt oder aber vom Rezipienten so gewollt sein, dass er sich selbst weniger ko-produzierend am Produktions- und Making-of-Prozess beteiligt als diese zu rezipieren. Durch die simultane Rezeption des Produktions- und Making-of-Prozesses könnte aber der Rezipient jederzeit Mittel und Wege finden, in den Produktionsprozess innerhalb dieser Produktionsöffentlichkeit einzugreifen. Wird eine Partizipation des Rezipienten am Produktions- und Making-of-Prozess ermöglicht und beteiligt er sich aktiv an dessen Hervorbringung, so kommt es zu einer Neukonfiguration der Produktionsöffentlichkeit.

    Eine solche Organisation von Produktionsöffentlichkeit ist eng verbunden mit der Entwicklung des Web 2.0 sowie Plattformen wie facebook, YouTube und anderen Online-Portalen, die verschiedene Communities ausbilden und deren Inhalt von ihren Benutzern durch Produktion und Rezeption (z.B. durch Hochladen, Teilen, Verlinken, Liken eigener oder fremder Einträge) generiert wird. Die Ko-Produktion kann hierbei durch die Produzenten inszeniert werden, wie dies beispielsweise bei den in Castingshows üblichen Telefon- und Internet-Votings der Fall ist. Produktionsöffentlichkeiten können aber auch eine Eigendynamik erhalten, wie dies beispielsweise bei der Entstehung von YouTube-Stars oder aber auch beim ‚Viral Marketing‘ der Fall ist, das die Distribution von Informationen in kürzester Zeit durch die Verbreitung innerhalb einer Produktionsöffentlichkeit sozialer Medien nutzt.

    Das Publikum, das keinen Anspruch auf eine gesamtgesellschaftliche Repräsentation stellt, sieht sich selbst in den gegenwärtigen Produktionsöffentlichkeiten beim Produzieren immer neuer Konfigurationen zu, die sich als Making-ofs in Echtzeit abspielen.

    Baecker, Dirk: „Der Ort des Theaters in der nächsten Gesellschaft. Die Struktur des Switches und die Kultur des Systems.“ In: Barbara Mundel et al. (Hg.): Heart of the City. Recherchen zum Stadttheater der Zukunft. Berlin 2011, S. 142-148.

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    Produktionstagebuch

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    Projekt

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    Protokoll

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    Prozess/Prozessualität

    Making-ofs erzeugen keine Produkte, sondern verhandeln (künstlerische) Machensprozesse. Somit werden in Making-ofs Prozesse konstruiert und durch ihre mediale Inszenierung in Beziehung gesetzt. Wie Bausteine werden sie zu einer linearen bzw. nonlinearen Ereigniskette zusammengesetzt, aus welcher das Making-of eine zweifache Bedeutungslogik zieht: In erster Instanz ist als Prozess das Making-of selbst zu verstehen, als ein Prozess der Beobachtung, Beschreibung und ästhetischen Inszenierung von Werkprozessen, in zweiter Instanz aber auch die jeweiligen Mikroeinheiten, die ein Making-of konstituieren.

    Ein Prozess ist grundsätzlich als Verlauf, Ablauf oder Entwicklung, worin, wobei, womit etwas gemacht wird, zu charakterisieren. Prozessualität beschreibt die Dynamik von Handlungen, die miteinander in Bezug stehen oder zueinander in Beziehung gestellt werden. Dies verortet den Prozess wie auch die Prozessualität als essentiell für ein Machen per se, verweist jedoch bereits auf die Universalität und die damit einhergehenden Schwierigkeiten bei der Bestimmung beider Begriffe.

    Grundlegende Ansätze für eine Making-of-bezogene Anwendung bietet die Linguistik. Hier definiert beispielsweise Nathalie Nicolay bestimmte grammatikalische Verbformen als Prozesse, die erstens nicht inhärent zeitlich begrenzt und zweitens dynamisch sind. Folglich sind Prozesse nicht zwingend als abgeschlossen oder lückenlos kontinuierlich definierbar (vgl. Nicolay 9). Im Kontext von Making-ofs können Prozesse als offene Strukturen verstanden werden, denen Zeitlichkeit inhärent ist, die allerdings über keine eindeutig bestimmbaren zeitlichen Eigengrenzen verfügen. Was Teil des Making-ofs ist, ist daher z.B. situations- oder nutzerabhängig bestimmbar.
    Der dynamische Charakter verweist auf die Unabgeschlossenheit bedingt durch Veränderung und Weiterentwicklung des Inhaltes, der Ästhetik oder der Materialität bzw. Medialität von Making-ofs. Wie also ein Making-of abgrenzend beschrieben und daher auch inhaltlich definiert wird, ist relativ und muss als ästhetische Entscheidung verstanden werden. Diese ist selbst ein offener Prozess.

    Für die Beobachtung und Beschreibung von Mikroprozessen, die als konstitutive Elemente von Making-ofs in der zweiten Kategorie inszeniert werden, verhält es sich ob ihres dynamisch-unabgeschlossenen Charakters zunächst gleich. Größte Aufmerksamkeit muss hingegen den Inszenierungsstrategien von Prozessen bzw. Prozessualität geschenkt werden. Oft werden Prozesse z.B. als abgeschlossene Einheiten konstruiert und als lineare Abläufe verhandelt, u.U. schlichtweg um kreative Prozesse überhaupt mitteilbar machen zu können. Gleichermaßen können so aber auch Inhalte, die einer potentiellen Veränderlichkeit oder kontextuellen Abhängigkeit entzogen zu sein scheinen, konstruiert werden.

    Anhand von Beispielen kann dies folgendermaßen nachvollzogen werden: Klassischen Making-ofs ist zu eigen, einen singulären Vorgang als Schlüsselfunktion bzw. -moment zu erzählen, wie im Falle des Films Le Mystère Picasso (1956), welcher davon zu überzeugen versucht, dass die künstlerische Genialität allein in Picassos Pinselstrich zu finden ist. Obwohl die Zuschauerin für die Dauer des Filmes jede Bewegung aus nächster Nähe verfolgen kann, wird das Malen als Prozess nur scheinbar aufgeklärt. Durch das Filmformat ist das Malen bzw. der kreative Prozess zeitlich beschränkt und abhängig von einer filmspezifischen Narration. Ebenso werden Kontexte ausgeblendet, die komplexeren Aufschluss über das ‚Phänomen Picasso‘ geben könnten, wie z.B. Kunstmarktdynamiken. Es wird deutlich, dass das Making-of als Inszenierung von Werkprozessen zwar mit Prozessualität arbeitet, diese Prozesse aber im Sinne von konstruierten, determinierten Ausschnitten hervorbringt und dabei andere, die von ebensolcher Wichtigkeit sein könnten, zu Gunsten der Narration vernachlässigt.

    Anders verhält es sich bei Making-ofs, die komplexe kreative Produktionen mit vielen Akteuren inszenieren und mittels Stafflung und Überlappung von Prozesssequenzen als Netzwerk zu einem kausalen Faden von Prozessualität verweben. Der Fokus liegt hier weniger auf der Auslassung von anderen Prozessen, Akteuren und Ereignissen als auf der Selektion und medialen Verknüpfung derselben. In diesem Kontext entfalten beispielsweise ‚wikis‘ als Making-ofs der Wissensgenerierung besonderen Anschauungscharakter.

    Die angeführten Beispiele zeigen, welche zentrale Bedeutung die Analyse von Making-ofs als Prozess selbst bzw. anhand ihrer inhärenten Mikroprozesse für die Making-of-Forschung hat. Basierend auf den oben genannten Eigenschaften von Prozessen und der prozessualen Rückkopplung im Sinne der autopoietischen Feedbackschleife ist festzuhalten, dass die Separation von Prozessen einer inszenatorischen Entscheidung unterliegt, also schlussendlich fiktiv ist. Hierin liegt auch die besondere Beziehung zwischen inszenierter ‚Realität’ als Ausgangspunkt und einem Making-of derselben begründet.

    Kuhlen, Rainer: Hypertext. Ein Nichtlineares Medium zwischen Buch und Wissensbank. Berlin 1991.

    Le Mystère Picasso. Frankreich 1955, Regie: Henri-Georges Clouzot.

    Nicolay, Nathalie: Aktionsarten im Deutschen. Prozessualität und Stativität. Tübingen 2007.

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    Rain (Madonna)

    Rain ist der Titel eines Musikvideos von Madonna, das am 21. Juni 1993 erstmals ausgestrahlt wurde. Die Dreharbeiten zu Rain fanden im Vormonat in einem Hangar im kalifornischen Santa Monica statt. Regie führte Mark Romanek. Bei den MTV Music Video Awards 1993 wurde der Clip in den Kategorien Best Cinematography (Harris Savides) und Best Art Direction (Jan Peter Flack) ausgezeichnet.

    Thematisch verhandelt die Ballade Rain das Wohl und Weh der Liebe, welches die Lyrics (Ciccone, Pettibone) zum Teil mit meteorologischen Phänomenen umschreiben („your love’s coming down like rain“). Auf der Bildebene des Videos wird dies nur sporadisch umgesetzt: ganz direkt, wenn auf einer Leinwand dunkle Wolken aufziehen („dark clouds“), ein junger Brasilianer Madonna sehnsuchtsvoll in die Augen blickt („you looked into my eyes“) oder die beiden einander küssen („your lips are burning mine“); etwas subtiler, wenn Scheinwerfer hell aufleuchten („here comes the sun“), Wasser aus einem Sprinkler über das Gesicht Madonnas strömt oder das Nass gläserne Wände hinabrinnt („rain“).

    Diese das Literale und Metaphorische der Textebene visualisierenden Bildfindungen verschränken sich – inspiriert von einem als Toilettenszene angelegten Werbespot mit Catherine Deneuve für eine Gesichtspflege von Yves Saint Laurent (vgl. Crème de Soin) – mit solchen, die den Clip vorgeblich zum Making-of seiner selbst machen: Handlungsort ist ein Filmstudio, das sich den Schriftzeichen auf Schildern und Computerbildschirmen zufolge in Japan befindet. Mit Kopfhörern und Skript bewehrt, liegt Madonna auf einer Chaiselongue und probt den Song sowie die ‚später‘ auszuführenden Gesten. Scheinbar unbeachtet sitzt sie zwischen filmischem Gerät und wartet auf ihren Einsatz. Kameramänner und Techniker laufen umher. Belichtungsmesser und Synchronklappen werden in den Bildausschnitt gehalten. Das Gefilmte wird auf Computer übertragen und dort bearbeitet. Madonna erhält Anweisungen vom Regisseur (Ryuichi Sakamoto). Stylisten frisieren sie. Visagisten schminken sie vor und während des Drehs – ein ‚Bemalen‘, das auch als Anspielung auf die intensive Postproduktion und die daraus resultierende, artifizielle Farbigkeit des Videos zu verstehen ist.

    Besonders deutlich wird die angebliche Identität von Clip und Making-of während der Bridge, in der akustischer, visueller und dramaturgischer Höhepunkt in eins fallen. Denn synchron zu der aufsteigenden Tonfolge, die diesen Formteil einleitet, wird ein Lichtregler nach oben geschoben, sodass die Scheinwerferinstallation hinter der singenden und tanzenden Madonna gleißend hell erstrahlt. Die Reaktionen des Regisseurs und seiner Crewmitglieder reichen von Zufriedenheit über Erstaunen bis Bewunderung, ja mehr noch: Auch von der Szene abgewendete Mitarbeiterinnen scheinen vom Gleißen des Stars erfasst, drehen sich um und erstarren andächtig – eine Affizierung, die wohl einen ähnlichen Gefühlszustand beim Fernsehpublikum erzeugen soll.

    Aufs Ganze gesehen lässt sich resümieren, dass es sich bei Rain um den Sonderfall eines behaupteten Making-ofs handelt, das zwar keinen Aufschluss über die tatsächlichen Dreharbeiten gibt, aber gleichwohl das Gemachtwerden und damit das prinzipielle Gemachtsein des Videos sowie des audiovisuellen Bildes schlechthin zum Thema hat. Die Schlusseinstellung zeigt entsprechend zwei Bildschirme mit einer zunächst beschleunigten, dann angehaltenen Aufnahme von Madonna, die noch ein letztes Mal auf dem Hergestellten des Clips beharrt.

    Ciccone, Madonna / Shep Pettibone: „Rain.” Abgedruckt im Booklet der CD Erotica, 1992.

    Crème de Soin. F 1992, Regie: Jean-Baptiste Mondino.

    Rain. USA 1993, Regie: Mark Romanek.

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    Rapid Prototyping

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    Ratgeber

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    Re-enactment

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    Rezeptionsästhetik

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    Ritual

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    Schau zu – Mach mit!

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    Scheitern

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    Schreibszene

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    Selbstbeobachtung

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    Sendung mit der Maus

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    Simulation

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    Skizze

    Eine Skizze (von ital. ‚schizzo‘, ‚Spritzer’) bezeichnet die Vorstufe eines Bild-, Text- oder Bauwerkes. Der Begriff wird vor allem verwendet, um das Moment des Unvollständigen hervorzuheben, da die Skizze meist als vorläufiges Entwurfsstadium in Abhängigkeit zu einem finalen Werk gestellt wird. Sie kann aber auch als Produktionsstufe betrachtet werden, die ein eigenständiges Wissen generiert und damit interessant wird für epistemologische Fragestellungen. Skizzen können als Medium ästhetischer Erkenntnis dienen, das an der Schnittstelle zwischen Denken und Handwerk den Transfer von intellektuellen Konzepten in die Sichtbarkeit ermöglicht. Dabei vermag die Skizze wie kein anderes Medium, ihre eigene Materialität auszustellen und auf eine Ästhetik des Zeichenprozesses zu verweisen, die jenseits seiner mimetischen Funktion anzusiedeln ist.

    Aus der Perspektive des Making-ofs ist v.a. von Interesse, dass der Skizze im Laufe ihrer Geschichte immer wieder gesonderte Aufmerksamkeit als Produktionsstufe geschenkt wurde. Um 1800 gewährten Künstler zunehmend häufiger Einblicke in ihre Werkstatt, verwiesen selbstständig auf ihre Produktion und signierten zuweilen sogar ihre Skizzen, um ihnen eigenen Werkstatus zu verleihen.

    Die Ästhetisierung der Skizze könnte noch stärker für einen kunstwissenschaftlichen Fokus genutzt werden, der sich nicht mehr primär für das fertige Werk interessiert, sondern vielmehr für den Schaffensprozess und die Beweglichkeit seiner Produkte. Denn der Mythos des vollkommenen Werkes, das sich im Moment seiner Fertigstellung von seiner Gemachtheit löst, im White Cube der Museen isoliert wird und dort – oft unabhängig von seinem Produzenten – eine nachträgliche Sinnaufladung erfährt, suggeriert eine Linearität und Zwangsläufigkeit, der nur wenige Kunstproduktionen entsprechen. Nach Oliver Jahraus ist diese Idee einem kulturwissenschaftlichen Drang zur Historisierung geschuldet, der Gegenwart immer nur als Endpunkt einer historischen Entwicklung wahrnimmt und so in ihrer Spezifik verfehlt (8).

    Gegen einen Produktionsablauf, der linear zu ‚fertigen’ Ergebnissen führt, stellt das Making-of die Idee eines Netzwerks, innerhalb dessen alle Produktionsstufen – Skizzen ebenso wie ,finale’ Werke – als Zwischenergebnisse gelten und in immer neue Prozesse eingespeist werden. Um die Komplexität eines solchen Netzwerks schließlich beschreiben und begreifen zu können, bedarf es spezifischer Strategien. Eine dieser Strategien besteht darin, auf Skizzen als Zwischenprodukte und Zeugen der Entstehung zuzugreifen. Mithilfe dieses Perspektivwechsels kann die Skizze als exemplarische Produktionsstufe im Schaffensprozess neu verortet werden, um ihre Funktionsweise im Spannungsfeld zwischen ‚finalen Werken’ und Zwischenprodukten zu beleuchten.

    Skizzen schließen etwas Altes ab und leiten etwas Neues ein, indem sie eine Idee aus ihrem präfigurativen Zustand in die Sichtbarkeit entlassen, und öffnen für gestalterische Variationen. Sie sind damit eingelassen in ein kurzes Moment der Gegenwart, das sie in seiner Abbildung zugänglich machen. Skizzen erzählen sowohl den Moment ihres Aufzeichnens als auch die Gegenwart des zeichnenden Subjekts (vgl. Wittmann 9). Als direkte Übertragung einer schöpferischen Idee bzw. als Mimesis des kreativen Ichs bilden Skizzen sehr genau die Wahrnehmung und den Schaffensprozess des Künstlers ab. Dabei übersetzen sie hypothetische Gedanken in eine Bildsprache, nehmen bereits bestehende Produkte auf, variieren diese und bringen sie miteinander in Verbindung. Damit wird dem Künstler ermöglicht, Gedankenspiele abzubilden, mit ihnen zu experimentieren und neue Hypothesen zu formulieren. Skizzen stellen für ihn daher nicht nur ein flexibles Medium für flüchtige Einfälle bereit; sie können auch strukturierend auf den Schaffensprozess selbst einwirken und zu einem gesteigerten Bewusstsein der eigenen Arbeitsprozesse verhelfen (vgl. Köhn 23).

    Skizzen sind damit primär ein privates Medium und nicht für ein breites Publikum bestimmt. Um über sie auf Produktionsprozesse zugreifen zu können, bedarf es ihrer Veröffentlichung, da sie sich nicht selbst als Making-ofs inszenieren. Erst mithilfe eines retrospektiven Making-ofs, also einer (beispielsweise filmischen) Dokumentation oder einer Ausstellung ihres Entstehens, kann nachvollzogen werden, wie gestalterische Entscheidungen getroffen, welche Wege gewählt und welche verworfen wurden. In ihrer Veröffentlichung können Skizzen damit Aufschluss über die Bedingungen von Produktion und Scheitern geben.

    Vor allem filmische oder fotografische Making-of-Formate sind jedoch notwendigerweise mit einem Medienwechsel verbunden, der auf die Grenzen einer materialgerechten Dokumentation hinweist. Er wirft die Frage auf, inwieweit sie einen authentischen Blick auf die Funktionsweise herstellender Verfahren ermöglichen und ob Produktion beziehungsweise gegenwärtige Prozesse überhaupt darstellbar sind.

    Mit dieser Offenlegung kreativer Prozesse verbindet sich eine Auffassung, die sich gegen jede Form der Genieästhetik richtet. Anders als bisher soll es bei der Ästhetisierung von Skizzen nicht darum gehen, einen Geniekult voranzutreiben, der selbst die kleinsten Produktionsschritte des Künstlers mystifiziert. Es geht vielmehr darum, das Sprechen über Produktionsprozesse zu ermöglichen und jegliche Ohnmacht gegenüber der künstlerischen Produktion zu verweigern. Durch die Offenlegung von Skizzen soll Kunstproduktion nachvollziehbar gemacht werden; ein Interesse an Kontrolle, Zugriff und Ermächtigung leitet jeden Making-of-Diskurs.

    Jahraus, Oliver: „Geleitwort. Gegenwart als Provokation der Geistes- und Kulturwissenschaften.“ In: Tanja Prokic (Hg.): Wider die Repräsentation. Präsens/z Erzählen in Literatur, Film und Bildender Kunst, Frankfurt/Main 2001, S. 7-9.

    Köhn, Eckhardt: „Einleitung. Aktualität der Produktionsästhetik.“ In: Ders. (Hg.): Erfahrung des Machens. Zur Frühgeschichte der modernen Poetik von Lessing bis Poe. Bielefeld 2005, S. 9-29.

    Wittmann, Barbara: „Symptomatologie des Zeichnens und Schreibens. Verfahren der Selbstaufzeichnung.“ In: Dies. (Hg.): Spuren erzeugen. Zeichnen und Schreiben als Verfahren der Selbstaufzeichnung. Zürich 2009, S. 7-19.

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    Tagung „Making of. Beobachtung und Inszenierung ästhetischer Produktionsprozesse“

    Die interdisziplinäre Tagung Making of. Beobachtung und Inszenierung ästhetischer Produktionsprozesse, veranstaltet vom 27. bis 29. Juni 2013 an der Universität Hildesheim, widmete sich den Entstehungsprozessen künstlerischer Produkte.
    Neben einer Auseinandersetzung mit filmischen Making-of-Darstellungen in den Bereichen Film und bildende Kunst wurde in Werkstattgesprächen ein starker Fokus auf die (Eigen-)Beobachtung von Autor_innen bei Schreibprozessen in der Gegenwartsliteratur gelegt. Nicht nur das klassische filmische Making-of-Format zeigt künstlerische Produktionsprozesse, sondern auch Produktionsskizzen und Probetagebüber, Atelierbesuche und Schreibbeobachtungen vermitteln Einblicke in die Abläufe und Organisation kreativer Schaffensprozesse. Zeitgleich zur Tagung wurde die Online-Plattform von Making-of – Ein Lexikon freigeschaltet. Das Lexikon entstand in einer interdisziplinären Arbeitsgruppe im Rahmen des IV. Geisteswissenschaftlichen Kollegs der Studienstiftung des deutschen Volkes und widmet sich der disziplinübergreifenden Erforschung verschiedener Making-of-Formate in der Gegenwartskultur.
    Bei der Tagung Making of. Beobachtung und Inszenierung ästhetischer Produktionsprozesse erstmals vorgestellt, versammelt das Lexikon neue Artikel, die aus Tagungsbeiträgen hervorgegangen sind und von den jeweiligen Referent_innen für Making-of –Ein Lexikon weiter entwickelt wurden:
    Über Schreibprozesse und ihre Erforschung sowie Darstellbarkeit im Bereich der Literatur denkt Claudia Dürr in ihrer Untersuchung der Forschung zum literarischen Making-of nach. Unter dem Titel Geschichte wird gemacht widmet sich Stefan Krankenhagen den ästhetischen und sozialen Konstruktionsprozessen von Geschichte. Die Darstellung und Beschreibung der Konstruktion von Schönheit untersucht Matthias Weiß anhand der Toilettenszene.
    Im Bereich filmischer Making-of-Darstellungen beschäftigt sich Volker Pietsch mit dem Phänomen des Director’s Cut und Anika Fenske widmet sich dem Making-of self‘ im (auto-)biografischen Dokumentarfilm, während Matthias Weiß die Interdependenzen von künstlerischem Werk und seinem Making-of anhand Maurizio Kagels Ludwig van. Ein Bericht (1970) und Wilhelm Flues‘ Kagels Beethoven. Bericht über Ludwig van (1970) unter dem Gesichtspunkt der Komplementarität untersucht. Eingehender beleuchtet er dieses Verhältnis dieser beiden filmischen Dokumente im Kontext von Joseph Beuys‘ Oeuvre als Making-of-Beispiele unter dem Titel Beethovens Küche.
    Weiteren filmischen Beispielen von Making-of-Darstellungen wenden sich die folgenden Beiträge zu. Stefanie Diekmann beleuchtet in  The Joy of Painting die Inszenierung und Kommerzialisierung des Malaktes Bob Ross‘ im Modus des DIY, während Merle Grimme, Helena Eckert und Fanny Langner das Verhältnis von Kunstobjekt, Herstellungsprozess und dessen filmischer Dokumentation in ihrem gemeinsam produzierten Making-of Warten auf X reflektieren. Der Herstellung und Reflexion des Star-Images wendet sich Matthias Weiß mittels der Analyse von Madonnas Musikvideo Rain zu und Jannis Funk setzt sich zusammen mit Dirk von Gehlen anhand dessen Buch Eine neue Version ist verfügbar mit der ,Verflüssigung‘ kultureller Produktionsprozesse im Zeichen der Digitalisierung auseinander.
    Diese Beiträge zu Making-of – Ein Lexikon spiegeln in ihrer thematischen, methodischen und disziplinären Verschiedenheit anschaulich die Vielfalt der auf der Tagung Making of. Beobachtung und Inszenierung ästhetischer Produktionsprozesse präsentierten Ansätze zur Untersuchung des Phänomens ‚Making-of‘ wider und belegen, dass sich hier ein Feld für weitere interdisziplinäre Forschungsbemühungen auf dem Gebiet der Gegenwartskultur eröffnet.

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    Tanzträume

    Tanzträume – Jugendliche tanzen KONTAKTHOF von Pina Bausch (2009) ist ein Dokumentarfilm der Regisseurin Anne Linsel und des Kameramanns Rainer Hoffmann. Das retrospektive Making-of begleitet die fast einjährige Probenphase der Tanzproduktion Kontakthof mit Teenagern ab ,14‘, die am 7. November 2008 Premiere im Schauspielhaus Wuppertal hatte. Die Inszenierung ist eine Wiedereinstudierung des Tanzstücks Kontakthof (1978) der Choreographin Pina Bausch mit vierzig Jugendlichen, die von den beiden ehemaligen Bausch-Tänzerinnen Josephine Ann Endicott und Bénédicte Billiet unter der künstlerischen Leitung Bauschs betreut wurde. Als filmisches Making-of steht Tanzträume in einer Reihe mit aktuellen Filmdokumentationen von Produktionsprozessen verschiedener Tanzinszenierungen mit nichtprofessionellen Darstellern sowie ehemaligen Tänzerinnen wie Rhythm is it! (2004) oder Tanz mit der Zeit (2007).

    Der Film Tanzträume beginnt mit einer Bühnenprobe, so dass man bereits am Anfang des Making-ofs einen Eindruck der späteren Aufführungssituation, auf die der Probenprozess hinausläuft, erhält. Auch wenn während des Films von der Probenleiterin Josephine Ann Endicott gesagt wird, man wisse nicht, ob alles fertig werde, wird ein mögliches Scheitern des Projekts im Film nie thematisiert und auch filmdramaturgisch nicht inszeniert. Im Folgenden wird der Produktionsprozess chronologisch präsentiert und Pina Bausch als künstlerische Leitung der Inszenierung eingeführt, die zu einzelnen Proben und Bühnenproben erscheint sowie als rauchende Beobachterin über die erste und zweite Besetzung entscheidet. Bei der Premiere, mit der Tanzträume endet, ist es Pina Bausch, die Rosen an die Jugendlichen und die beiden Probeleiterinnen verteilt, bevor sie von der Bühne abgeht – das letzte Bild des Films und gleichzeitig die letzten Filmaufnahmen Pina Bauschs vor ihrem Tod 2009.

    Die Übergabe der Inszenierung Kontakthof durch die beiden ehemaligen Tänzerinnen an eine Gruppe Jugendlicher erscheint somit als Vermächtnis der Choreografin. Über die Arbeitsweise Pina Bauschs erfährt man in Tanzträume nur durch Erzählung: Stücke wie Kontakthof entstünden aus der Probenarbeit mit den Tänzerinnen sowie aus der Verarbeitung deren eigener biografischer Erlebnisse. Der dargestellte Probenprozess zeigt jedoch vor allem ein detailgenaues Einstudieren der originalen Bewegungsabläufe und Ausdrucksweisen der ursprünglichen Kontakthof-Inszenierung von 1978, die mittels einer Videoaufzeichnung während der Proben präsent ist und als Grundlage der Rekonstruktion dient.

    Tanzträume inszeniert – anders als etwa das Making-of Der Hexer in Niedernhall (2005) – die Probe(bühne) als einen harmonischen Ort. Doch auch bei diesem Making-of wird der Probenprozess als eine Zeit der persönlichen Entwicklung und Reifung der jugendlichen Protagonisten dargestellt: Fünf der vierzig Jugendlichen erzählen in außerhalb des Wuppertaler Theaters gedrehten Interviewszenen aus ihrem Privatleben und sprechen von den positiven Veränderungen, die sie durch die Probenarbeit während des Produktionsprozesses erfahren haben.

    Das Format des Making-ofs weist auch auf ein gesellschaftliches Interesse an einem Kinofilm hin, der den Produktionsprozess einer Wiedereinstudierung des Werkes einer bekannten Choreographin zeigt. Dieser künstlerische Prozess wird nicht nur als auf der Probebühne stattfindend erzählt, sondern auch als ein Produktionsprozess, der die Weiterentwicklung Jugendlicher als Bestandteil dieses Prozesses versteht.

    Tanzträume – Jugendliche tanzen KONTAKTHOF von Pina Bausch. Deutschland 2009, Regie: Anne Linsel.

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    Teilnehmende Beobachtung

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    The Joy of Painting

    Eines der erfolgreichsten Gegenprogramme zur Stilisierung des Künstlers als mythische Figur ist nicht im Arthouse- oder im Experimentalkino entwickelt worden, sondern im Fernsehen, in den 31 Staffeln des TV-Malkurses The Joy of Painting, die der US-amerikanische Sender CBS von 1983 bis 1993 mit Bob Ross produziert hat. Andere Filme über Malerei haben die Arbeit am Bild im Zeichen der Opazität (Clouzots Le mystère Picasso), der Expressivität und Spontaneität (Namuths Pollock) oder der Nicht-Diskursivierbarkeit (Belz‘ Gerhard Richter Painting) in Szene gesetzt. In The Joy of Painting, seriell organisiert und von repetitiven Strukturen bestimmt, dreht sich alles um die Materialität des Malakts und die Inszenierung der Malerei im Modus des Do-It-Yourself: eine sehr technische Angelegenheit, bei der es vor allem auf das Equipment und dessen korrekte Handhabung ankommt. Im Sinne des Making-ofs werden hier Prozesse des Beobachtens, Beschreibens und der Ästhetisierung des künstlerischen Schaffens zusammengeführt.

    Dass die Malerei von Bob Ross (die Gemälde selbst ebenso wie die Freude am Malen) am besten mit spezifischen Instrumenten, Materialien, Techniken herzustellen sei, ist Grundlage für die Konzeption der Kunstvermittlung als eingetragenes Warenzeichen. ‚Bob Ross‘ ist eine Figur, aber auch ein Label für Pinsel und Pinselreiniger, Spachtel, Paletten und vor allem Ölfarben, letztere bereits sortiert nach Genres (‚Blumenmalerei‘,  ‚Wildtiermalerei‘, ‚Landschaftsmalerei‘) und Motiven (‚Seestücke‘, ‚Gebirge‘). Das lizensierte Sortiment wird ergänzt durch lizensierte Schulungen: Malkurse für die interessierten Laien, Lehrgänge für angehende Vermittler einer Maltechnik, die, gerne mit einem Verweis auf Vincent van Gogh, als ‚Nass-in-Nass-Malerei‘ beschrieben wird. In ihrem Grundprinzip, Malerei strikt als ein Produkt von Materialien und Techniken zu behandeln, ähnelt die Sendung The Joy of Painting einer Kochshow. Gleiches gilt für das strikte Zeitregime, in dem die Herstellung (des Gemäldes, des Gerichts) durch einen Zeitrahmen modelliert wird. Was sich als Produktionsprozess präsentiert, ist in beiden Fällen durch ein Ensemble von Zutaten und Verfahren, durch einen fixen Zeitrahmen, den Imperativ der Fertigstellung und die Parameter des präzisen Zeitmanagements bestimmt. Die Malerei nach Bob Ross erzieht zum ökonomischen Umgang mit Kompetenzen und zur Beachtung der gesetzten Deadline. Scheitern als Ausgang des Produktionsprozesses ist unter dergleichen Bedingungen weder diskursivier- noch integrierbar: „There are no mistakes. Just happy little accidents,“ gehört zu den wiederkehrenden Anmerkungen, die in The Joy of Painting die Produktion des Bildes vor der Kamera zäsurieren. In der Inszenierung des Malakts verschränkt diese Sendung die Akzentuierung der Materialität mit der Fiktion einer ‚creatio ex nihilo‘, in der Maler und Leinwand in einen opaken Raum gestellt sind, für den ein Off nicht zu existieren scheint. Kein Studio, kein Fernsehteam; keine Studiolichter, keine Kameras und erst recht keine Akteure, durch die der exklusive Dialog zwischen Bob Ross und seinen Fernsehzuschauern irritiert würde. Ebenso: keine Präparation, keine Aufbauten, viel weniger noch eine Übungs- und Probenphase, in der die Effekte der Arbeit am Bild oder die Effekte der Aufzeichnung ausgetestet und in die Inszenierung integriert würden. The Joy of Painting präsentiert eine Malerei ohne Vorgeschichte und ohne Retakes; das Making-of kennt hier keine andere Zeit als die serialisierte Gegenwart der Bildproduktion und keinen anderen Schauplatz als die Leinwand selbst, die von Bob Ross primär als ein Ort der Anwendungen begriffen wird.

    Mit herzlichem Dank an Greta Kallsen, die in einem Essay auf die Affinitäten aufmerksam gemacht hat, die hinsichtlich des Zeitmanagements zwischen ‚The Joy of Painting‘ und dem Format ‚Kochshow‘ bestehen.

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    The Philosophy of Composition

    Mit seinem Aufsatz The Philosophy of Composition (1846) liefert der amerikanische Schriftsteller Edgar Allan Poe einen Blick in seine Schreibwerkstatt und skizziert dabei exemplarisch ein Making-of seines Werks The Raven (1845). Diese Ballade schildert die Begegnung eines um seine geliebte Lenore trauernden lyrischen Ichs mit einem mysteriösen Raben, der immer wieder das Wort „Nevermore“ krächzt. Gefangen in seinen Erinnerungen und seiner unbändigen Trauer, wird das namenlose Subjekt schließlich vom unbarmherzigen Refrain des Tiers, das möglicherweise ein Bote aus dem Jenseits ist, in den Wahnsinn getrieben.

    Poe greift The Raven als seinen bekanntesten, nach seiner Erstveröffentlichung schnell in zahlreichen Publikationen wieder abgedruckten Text auf, um im Aufsatz zunächst knapp einige zentrale Punkte seiner Poetik (beispielsweise die Wichtigkeit der Kurzform) darzulegen, die sich später in The Poetic Principle (posth. 1850) ausführlicher dargelegt finden. Den Großteil des Textes verwendet Poe allerdings darauf, die Genese von The Raven nachzuzeichnen und gegen ein Bild des dichterischen Prozesses als gänzlich im Zeichen der spontanen Eingebung stehend Stellung zu beziehen. Poe kritisiert (ungenannt bleibende) Dichterkollegen, die dieses irreführende Bild vom poetischen Schreiben vermittelten: „[They] prefer having it understood that they compose by species of fine frenzy – an ecstatic intuition – and would positively shudder at letting the public take a peek behind the scenes, […] at the wheels and pinions – the tackle for scene-shifting – the step-ladders and demon-traps – the cock‘s feathers, the red paint and the black patches, which, in ninety-nine cases out of the hundred, constitute the properties of literary histrio.“ (481)

    Laut Poe handelt es sich beim Schreiben vielmehr um einen streng rationalisierbaren Vorgang, der eine Abfolge logischer Schritte impliziere, an die sich der Autor halten müsse, um den maximalen Effekt beim Leser zu erzielen. So stellten weder der Refrain „Nevermore“ noch die Wahl der Szenerie oder die ,fabula‘ von The Raven das Resultat einer Eingebung dar, sondern resultierten aus einer Reihenfolge von Schritten, deren Darlegung bei Poe schon beinahe ‚How to‘-Charakter trägt. Der Autor frage sich zunächst, welchen Effekt er im Sinn hat, welcher Umfang diesem angemessen ist, welcher Gestus und welche Stimmung das Werk kennzeichnen sollen und welcher poetische Kniff („some pivot upon which the whole structure might turn“, 484) der Vermittlung des angestrebten Grundtons schließlich am besten eignen. Dass Poe ernstlich behauptet, selbst zum Wort „Nevermore“ allein durch Reflexion über den von ihm intendierten Effekt sowie die Frage gelangt zu sein, welche Klangstruktur diesen am besten umsetzen könne („the long o as the most sonorous vowel, in connection with r as the most producible consonant“, 485), hat sowohl unter Zeitgenossen als auch späteren Poe-Exegeten den Verdacht genährt, Poes Text sei zwar nicht gerade als Faking-of, aber zumindest als satirischer ‚hoax‘ zu bewerten, mit dem Poe Autoren auf die Schippe nehme, die die Selbstinszenierung als Originalgenie kultivierten. Immerhin begibt sich Poe als Verfechter einer poetologischen ‚ratiocination‘ selbst in die Pose seines genialen Detektivs Dupin, der als Vorläufer von Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes den literarischen Prototypen des ‚armchair detective‘ darstellt und den Fall allein auf Grundlage seiner phänomenalen logischen Fähigkeiten zu lösen imstande ist, ohne das Haus verlassen oder Verdächtige befragen zu müssen.

    Gegen die These vom ‚hoax‘ spricht allerdings, dass The Philosophy of Composition durchaus Elemente von Poes Kunstverständnis beinhaltet, u.a. die zentrale These, Originalität erwachse nicht aus genialischer Intuition, sondern aus harter Arbeit (vgl. 488). Allerdings verschleiert auch The Philosophy of Composition zahlreiche Aspekte der Werkentstehung und kennt etwa die Möglichkeit des Scheiterns bzw. des später korrigierten Irrwegs genauso wenig wie den Zufall. Das vermittelte Bild des künstlerischen Prozesses gerät damit ebenso linear und absolut wie dasjenige Verständnis der Dichtkunst, das Poe unter seinen Kollegen kritisiert. Offen bleibt darüber hinaus auch die Frage, weshalb der von Poe entworfene, ganz vom Musenkuss abgekoppelte dichterische Vorgang bei exakter Befolgung der einzelnen Schritte nicht jedes Mal im gleichen Text resultiert (vgl. Lodge 70).

    Lodge, David: „Choice and Chance in Literary Composition. A Self-Analysis.” In: Ders.: The Novelist at the Crossroads. London 1986, S. 69-83.

    Poe, Edgar Allan: „The Philosophy of Composition.” In: David Galloway (Hg.): The Fall of the House of Usher and Other Writings. Poems, Tales, Essays and Reviews. Harmondsworth 1986, S. 480-492.

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    The Quantified Self

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    Toilettenszene

    Der gattungsübergreifende Terminus Toilettenszene meint die Darstellung oder Beschreibung des Herstellens meist weiblicher Schönheit. Abgeleitet von dem französischen Wort für das Tüchlein (‚toilette‘), auf dem man die zur Schönheitsproduktion notwendigen Utensilien ausbreitete, zeigt sie Praktiken des Schminkens, Frisierens, Parfümierens oder das Anlegen von Kleidung und Schmuck, bei Männern auch das Haareschneiden (Haircut (No. 1)) und Rasieren. Wesentliches Attribut dieser Szene ist der Spiegel. Assistenzfiguren wie Dienerinnen oder Zofen, aber auch Apotheker, Barbiere, Coiffeure, Doktoren, Familienmitglieder, Freunde, Händler, Maskenbildner, Perückenmacher oder Visagisten können ebenfalls anwesend sein. Anders als die Anleitung oder das How-to zielt die Toilettenszene nicht (unmittelbar) auf Nachahmung, ist also kein prospektives Making-of. Scharfe Abgrenzungen von der weiter aufgefassten Badeszene oder anderen Thematisierungen der Körperpflege sind nicht immer möglich.

    Ähnlich den Artefakten des täglichen Gebrauchs wie Bürsten, Pinseln oder Tiegeln kommt bildlich wie schriftlich überlieferten Toilettenszenen ein kulturhistorischer Quellenwert zu, auch wenn dieser kritisch hinterfragt werden muss. So ist z.B. eine Schilderung aus dem Alten Testament, der zufolge man die Haremsmädchen aus dem Palast zu Susa ein ganzes Jahr lang mit kostbaren Salben und Essenzen pflegte, bevor man sie König Ahasver zuführte, sicher literarisch überhöht (Est 2,12). Der Bericht Saint-Simons über das auch als tägliche Investitur lesbare ,Lever‘ Ludwigs XIV. hingegen dürfte recht nah an den historischen Fakten sein (Saint-Simon 331f.). Über die bloße Nachvollziehbarkeit der Vorgänge hinaus verdeutlichen die gewählten Textbeispiele allerdings auch, dass das Öffentlichmachen der Schönheitsherstellung weniger Nähe oder gar Intimität, als vielmehr soziale Distinktion erzeugen soll, werden hier doch Wohlstand, Macht und vor allem Exklusivität markiert.

    Frühe bildliche Überlieferungen stammen aus dem alten Ägypten. Zum immer wiederkehrenden Repertoire der Grabmalereien aus den Jahren um 1400 v. Chr. etwa gehören Bankettszenen, in denen Bedienstete die Gäste mit Blumenkragen schmücken, sie mit Duftöl besprengen oder ihnen Salbkegel aufsetzen, die beim Schmelzen ebenfalls Wohlgerüche über Haar und Oberkörper verteilen – Gesten der Ehrerbietung, die gleichzeitig Schönheit erzeugen (Davies LXIV–LXVII, Parkinson 87, Ward / Fidler 112). Paradigmatisch verdichtet begegnet uns das Thema im Motiv der sogenannten Toilette der Venus, gilt Venus doch als Göttin der Schönheit. Nicht selten erotisch aufgeladen, erfreute sich ihre Darstellung bereits in der Antike einiger Beliebtheit und wird seither zumindest in motivischer Hinsicht mehr oder minder ungebrochen tradiert. Ein Höhepunkt der Visualisierung solcher Toilettenszenen ist in der venezianischen Malerei des 16. Jahrhunderts auszumachen, die mittels des Spiegelbilds nicht nur die Herstellung der dargestellten Schönheit, sondern auch die Schönheit der ihrerseits mit Farbe und Pinsel hergestellten Darstellung reflektiert (Schäpers 218-225). Wenn hingegen im Frankreich des späten 19. Jahrhunderts die alle Hinweise auf den Produktionsprozess tilgende Glattmalerei (,blaireautage‘) mit der makellosen Toilette der dargestellten Damen in Verbindung gebracht wird, ist dies meist pejorativ gemeint (Krüger 84-86).

    Eine weitere Klimax der Toilettenszene findet sich in den französischen Bildkünsten des 18. Jahrhunderts, die das Thema in figurenreiche Genreszenen überführen. Gezeigt wird meist die sogenannte ‚zweite Toilette‘ (das Schminken etc.), die in Nachfolge des Levers tatsächlich als öffentliches und mithin repräsentatives Ereignis aus- und aufgeführt wurde (Gerken 13-26, Stolz 153-162). Filmischen Widerhall findet dies in dem kurz vor der Französischen Revolution handelnden Spielfilm Dangerous Liaisons (1988), in dessen Vorspann die Marquise de Merteuil und der Vicomte de Valmont für den folgenden Geschlechterkampf gleichsam zugerüstet werden. Neben zeit-, klassen- und geschlechterspezifischen Schönheitsvorstellungen klingt hier auch eine moralisch konnotierte Unterscheidung von Schein und Sein an, die in der Schlusseinstellung des Films zugespitzt wird: Zurück in ihrem Boudoir, wischt sich die gesellschaftlich ruinierte Marquise ihr zur Maske geschminktes Gesicht ab – eine Geste, die auf das im 18. Jahrhundert aufkommende Postulat der ,Natürlichkeit‘ rekurriert, die allerdings ebenfalls kosmetisch erzeugt und damit künstlich hergestellt ist.

    Vor dem Hintergrund postmoderner Debatten um die Konstruiertheit geschlechtlicher Identität lässt sich den Toilettenszenen des Popstars Madonna ein zentraler Stellenwert beimessen. So scheint der Clip Take a Bow (1994) die Eröffnungssequenz aus Dangerous Liaisons zu paraphrasieren (Weiß 2015); und auch der Konzertdokumentation Truth or Dare (1991), dem Musikvideo Rain (1993), der Musicalverfilmung Evita (1996) und den Werbespots für die Kosmetikmarke Max Factor (1999) sind ausführliche Schmink- und Ankleideszenen eingefügt. Im Videoclip Hollywood (2003) wiederum wird kein Pinsel, sondern eine Kollagenspritze eingesetzt, was die Schönheitsproduktion ins Chirurgische, Gewalttätige, Zwanghafte wendet (Weiß 2006). Aufs Ganze gesehen ist deshalb festzuhalten, dass Madonna nicht nur die Herstellung und die daran geknüpfte Notwendigkeit der Aufführung von Geschlecht, sondern auch das Gemachtsein von Starimages und die Schattenseiten eben dieses Herstellungsprozesses thematisiert, wobei diese Strategie der Selbstdemaskierung ihre Glaubwürdigkeit als Star paradoxerweise nicht schwächt, sondern stärkt. Die daraus resultierende Einsicht, dass die von der Toilettenszene und anderen Making-of-Formaten kommunizierte Glaubwürdigkeit des Künstlichen nicht zu hintergehen, sondern nur mehr ironisch zu brechen ist, verdeutlichen Robbie Williams’ Video She’s Madonna (2006), in welchem der Sänger in die Rolle des titelgebenden Popstars schlüpft und einen Therapeuten aufsucht (Weiß 2014), sowie Alice Russells Clip Heartbreaker (2012), in dem sich ein greiser Mann als Double der Sängerin herrichtet, bevor er seinem sichtlich irritierten Idol begegnet.

    Dangerous Liaisons. USA/UK 1988, Regie: Stephen Frears.

    Davies, Norman de Garis: The Tomb of Rekh-mi-Rē at Thebes, Bd. 2. New York 1943.

    Evita. USA 1996, Regie: Alan Parker.

    Gerken, Rosemarie: La Toilette. Die Inszenierung eines Raumes im 18. Jahrhundert in Frankreich. Hildesheim et al. 2007.

    Heartbreaker. USA 2012, Regie: Steve Glashier.

    Hollywood. USA 2003, Regie: Jean-Baptiste Mondino.

    Krüger, Matthias: Das Relief der Farbe. Pastose Malerei in der französischen Kunstkritik 1850-1890. München / Berlin 2007.

    Max Factor (Werbespots mit Madonna). 1999, Regie: Alek Keshishian.

    Parkinson, Richard: The Painted Tomb-Chapel of Nebamun. London 2008.

    Rain. USA 1993, Regie: Mark Romanek.

    Saint-Simon, Louis de Rouvroy de. Die Memoiren des Herzogs von Saint-Simon, Bd. 3: 1710-1715. Hg. von Sigrid von Massenbach. Frankfurt/Main 1977.

    Schäpers, Petra: Die junge Frau bei der Toilette. Ein Bildthema im venezianischen Cinquecento. Frankfurt/Main et al. 1997.

    She’s Madonna. UK 2006, Regie: Johan Renck.

    Stolz, Susanna: Die Handwerke des Körpers. Bader, Barbier, Perückenmacher, Friseur. Folge und Ausdruck historischen Körperverständnisses. Marburg 1992.

    Take A Bow. USA 1994, Regie: Michael Haussman.

    Truth or Dare. USA 1991, Regie: Alek Keshishian.

    Ward, Roger / Patricia J. Fidler: The Nelson-Atkins Museum of Art. A Handbook of the Collection. New York 1993.

    Weiß, Matthias: „,Spieglein, Spieglein an der Wand …‘: Anmerkungen zur Verweispragmatik des Musikvideos am Beispiel von Madonnas Hollywood.“ In: Nicole Kallwies / Mariella Schütz (Hg.): Mediale Ansichten. Marburg 2006, S. 113-119.

    Weiß, Matthias: „Rekursivität und Männlichkeit im Videoclip – oder: Warum Robbie Williams die neue Königin des Pop ist.“ In: Frédéric Döhl / Renate Wöhrer (Hg.): Zitieren, appropriieren, sampeln. Referenzielle Verfahren in den Gegenwartskünsten. Bielefeld 2014, S. 233-256.

    Weiß, Matthias: „Verlockende Madonna, frohlockende Björk? Zur Visualisierung von Frauenstimmen im Videoclip.“ In: Christa Brüstle (Hg.): Pop-Frauen der Gegenwart. Körper  Stimme  Image. Vermarktungsstrategien zwischen Selbstdarstellung und Fremdbestimmung. Bielefeld 2015 (im Druck).

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    Warten auf X

    Warten auf X – Experiment.Kunstprojekt.Dokumentation (2012) von Helena Eckert, Merle Grimme und Fanny Langner ist ein zwanzigminütiges simultanes Making-of, das im Rahmen des Projektsemesters 2012 an der Stiftung Universität Hildesheim realisiert wurde. Als Inspiration diente Arbeiter verlassen die Fabrik (La Sortie des usines Lumière, 1895). Der Film zeigt Arbeiterinnen und Arbeiter, die durch ein Tor das Gelände der Lumière-Werke in Montplaisir verlassen, in denen sie tagtäglich Fotoplatten herstellen.

    In Warten auf X verlassen nicht die Arbeiter, sondern das Produkt selbst, ein altes Zahnrad, die Fabrik und begibt sich nun durch vier Ateliers und in die Hände von fünf verschiedenen Künstlerinnen (Jochen Eickmann, Antje Schiffers & Thomas Sprenger,  Johannes Buss, Chajim Grosser). Die Künstlerinnen unterscheiden sich in ihren Arbeitsweisen wie auch in der Auswahl der bevorzugten Materialien sehr deutlich. Die Kommunikation zwischen ihnen findet allein durch ihre Arbeit am Zahnrad statt. Die jeweils vorhergehende Künstlerin übermittelt der nächsten in Form des Kunstwerks eine Botschaft und ist zuvor selbst mit den Optionen, den jeweils aktuellen Zustand des Objekts zu erklären, zu übernehmen oder ihn zu modifizieren, konfrontiert. Es entsteht eine Begegnung verschiedenster künstlerischer Herangehensweisen, Gewohnheiten, Konzepte und Umgebungen. Was am Ende bleibt, ist die Summe dieser über ein Zahnrad vermittelten Begegnungen zwischen den Künstlerinnen – das Objekt/Kunstwerk X.

    Der Fokus des Films ist dabei zunächst auf den Produktionsprozess des Kunstwerks gerichtet. Da die Filmemacherinnen versuchen, sich so weit wie möglich aus dem Herstellungsprozess des Kunstwerkes herauszuhalten und keinerlei Regeln oder Erwartungen verbalisieren, wird eine symbiotische Verknüpfung zwischen dem Film und seinem Inhalt als eine gekoppelte Making-of-Situation anschaulich: Der Film selbst ist als Voraussetzung oder auch Initiator für das künstlerische Experiment zu verstehen. Gleichzeitig gibt erst die Entstehung des Kunstwerks dem Film eine Daseinsberechtigung. Insofern sind Film und Kunstwerk zueinander komplementär.

    Warten auf X  beschreibt eine lineare Ereigniskette. Durch das Kunstwerk werden die einzelnen künstlerischen Handlungen und Künstlerinnen in einen Bezug zueinander gesetzt. Der Moment der Übergabe des Objekts X an den Nächsten wird jedes Mal als einführendes Element genutzt und dokumentiert zugleich auch den erstmaligen Kontakt mit der Arbeit des Vorgängers, die geöffnet, ausgepackt und betastet wird. Der jeweilige Umgang mit dem Kunstwerk verdeutlicht die stetig scheiternde Kommunikation zwischen den Künstlern. Jeder von ihnen versucht, die eigenen Vorstellungen davon, wie die Arbeit am Zahnrad weitergeführt werden könnte, durch Anknüpfungspunkte für seinen Nachfolger zu verdeutlichen. Jedoch sind die Arbeitsweisen so unterschiedlich, dass die Hinweise der Vorgänger größtenteils nicht einmal erkannt werden.

    Die jeweiligen Arbeitsprozesse werden hauptsächlich in Nahaufnahmen gezeigt, die einen Fokus auf die Hände und den physischen Kontakt mit dem Objekt dokumentieren. Am Ende entsteht ein Werk, welches kaum heterogener sein könnte. Im Anschluss reflektiert jeder Künstler die Arbeit am Objekt und kommt im weiteren Verlauf des Interviews auf die eigenen Arbeiten und das Atelier zu sprechen. Je mehr die Idee der Entstehung eines kollektiven Kunstwerks zu scheitern droht, desto nebensächlicher erscheint das dort entstehende Kunstwerk. In den Mittelpunkt rücken vielmehr die Künstlerinnen selbst, ohne dass die Frage nach der Autorschaft deutlich formuliert würde. Die Künstler scheinen sich nach ihrer Arbeit am Objekt nur wenig mit dem Kunstwerk zu identifizieren und übergeben es mit Leichtigkeit an den nächsten. Da das Kunstwerk erst durch den Film entsteht, stellt sich die Frage, ob Film und Kunstwerk nicht als zusammengehörig verstanden werden müssen. Wobei berücksichtigt werden muss, dass durch das Ende des Films nicht automatisch die Vollendung des Kunstwerks erzählt wird. Film wie auch Kunstwerk enden daher in einer offenen Form, die sich vermutlich jederzeit weiterführen ließe.

    Warten auf X – Experiment.Kunstprojekt.Dokumentation. Deutschland 2012, Regie: Helena Eckert, Merle Grimme und Fanny Langner.

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    Werk

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    Werkstatt

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    Wikis

    Das ‚Wiki‘-Konzept und seine Technologie wurden 1995 von Ward Cunningham entwickelt (Iske / Marotzki 2). Im Kontext von Making-ofs sind sie anschauliche Beispiele für die Materialisierung von Prozessen des Machens.

    ‚Wikis‘ sind schriftliche Texteinträge im Web 2.0, die durch Tags verschlagworteten Themen zugeordnet und untereinander verlinkt sind. Die zugrunde liegende ‚Wiki‘-Software (Content-Management-System) ist in der Handhabung leicht nachzuvollziehen, sodass neue Einträge von jeder Nutzerin generiert, geschrieben und verändert werden können. Basierend auf offenem Zugriff und freier Edierbarkeit sind ‚Wikis‘ höchst kollektive, partizipative und interaktive Tools. Gemäß ihrer Struktur bilden sie offene Hypertexte auf der Basis von Netzwerken aus (vgl. Kuhlen). Indem Editionsgeschichte und Nutzerspuren potentiell nachzuverfolgen sind, wird die ‚Wiki‘-Wissensgenerierung als dynamischer, nonlinearer und unabgeschlossener Prozess (‚work in progress‘) sichtbar (vgl. Iske / Marotzki).

    ‚Wikis‘ in ihrem vollen Umfang betrachtet können somit als retrospektive Making-ofs verstanden werden, wenn die Entstehungsgeschichte sichtbar gemacht, als simultane, wenn an ihnen in einem offenen Arbeitsprozess gearbeitet und als prospektive, wenn durch die andersfarbige Hinterlegung von Schlagwörtern zum Neuentwurf und zur Ausarbeitung eines ‚Wikis‘ aufgefordert wird. Vor dem Hintergrund von DIY– und How-to-Konzepten stellen bereits bestehende ‚Wikis‘ und ihre selbstreferentiellen Entstehungsgeschichten Beispiele für neue Einträge dar und fungieren gleichzeitig als Aufruf und Anleitung.

    Die Überlappung von Produktion und Rezeption sowie die Rückspeisung aller Aspekte in die Entwicklungsgeschichte eines jeden ‚Wikis‘ – als Beispiel eines Making-ofs – ermöglicht die Erfahrbarkeit von Wissensgenerierung als unabgeschlossener, netzwerkartiger und kollektiver Prozess.

    Iske, Stefan / Winfried Marotzki: „Wikis. Reflexivität, Prozessualität und Partiziaption.“ In: Ben Bachmeier (Hg.): Medienbildung in neuen Kulturräumen. Die deutschsprachige und britische Diskussion. Wiesbaden 2010, S. 141-151.

    Kuhlen, Rainer: Hypertext. Ein nichtlineares Medium zwischen Buch und Wissensbank. Berlin 1991.

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    Zufall

    Unter Zufall wird das Moment des Unvorhergesehenen und Nichtbeabsichtigten verstanden. Der Zufall im Hinblick auf ästhetische Produktion ist dasjenige Momentum, das unabhängig von der Intention des künstlerisch Schaffenden den Produktionsprozess unterschiedlich stark beeinflusst. Zufälle sind nicht planbar, sie können (künstlerische) Produktionsprozesse gleichwohl erheblich beeinflussen. Making-ofs lassen sich als geeignete Formate für die Beobachtung, Beschreibung und Analyse solcher zufallsbedingter Vorgänge begreifen. Im Making-of kann der Zufall auf verschiedenen Ebenen in Erscheinung treten.

    Da ist zunächst der Zufall im Rahmen des beobachteten Produktionsprozesses selbst. Das Moment des Zufälligen beeinflusst die verschiedenen künstlerischen Sparten unterschiedlich stark und ist abhängig von der Komplexität des Produktionsprozesses. Mit anderen Worten: Die Anfälligkeit für Zufälle hängt von diversen Faktoren der künstlerischen Produktion ab. Entscheidende Parameter sind beispielsweise die Anzahl der Produktionsbeteiligten und der Produktionsort. Ein Filmteam, bestehend aus Regisseurin, Schauspielern und Produktionsstab, das überwiegend in Außenbereichen dreht, ist weitaus anfälliger für Einflüsse, die sich der eigenen Kalkulation und Intention entziehen, als beispielsweise der bildende Künstler oder Schriftsteller, der allein in seinem Atelier oder Schreibwerkstatt arbeitet. Zufälle entstehen aus unkontrollierbaren Wechselwirkungen der Produktionsbeteiligten mit ihrer Umgebung.

    Allerdings ist auch von der produktiven Rolle des Zufalls, der sich keineswegs nur in Form von Widrigkeiten niederschlagen muss, auszugehen. Durch das Einwirken unvorhersehbarer Momente auf den Produktionsprozess kann etwas Neues entstehen. Es ist nicht allein aleatorische Kunst, die sich in ihrer Ausgestaltung gänzlich dem Zufall überlässt, ihn ästhetisiert und gleichsam zum konstitutiven Prinzip einer Poetik wählt (vgl. Schulze 103); Making-ofs lenken die Aufmerksamkeit des Rezipienten darauf, dass auch in konventionelleren Produktionsformen der Zufall Einfluss auf die Genese eines Werks ausübt. Im Making-of zu Jaws erfährt man, dass die Entscheidung, den Hai in der ersten Filmhälfte lediglich anzudeuten und viel der Fantasie des Publikums zu überlassen, nicht einer ausgeklügelten Inszenierungsstrategie des Regisseurs entstammt, sondern vielmehr der Tatsache geschuldet ist, dass der mechanische Hai beim Dreh ständig kaputt war. Die Entscheidung, den Zufall als konstituierendes Mittel ästhetischer Produktion nutzbar zu machen, berührt demzufolge den Diskurs über die Genie– und Werkästhetik. Gerade klassische Making-ofs stehen noch ganz im Zeichen des Verständnisses vom genialen Künstler und thematisieren den Einfluss von Zufällen auf den Entstehungsprozess des Films kaum. Im Zentrum stehen das Werk (hier: der Spielfilm) und die Inszenierung des Making-ofs im Sinne einer geradlinigen Entwicklung von der Idee zur Umsetzung. Beispiele wie Lost in La Mancha brechen mit der Tradition des klassischen Making-ofs und zeigen eine ästhetische Entwicklung dieser Form der Prozessbeobachtung auf. Sie verdeutlichen, wie stark Zufälle in den Produktionsprozess eingreifen und die künstlerische Produktion erschweren bzw. teilweise unmöglich machen. Das unbeständige Wetter oder ein schwer erkrankter Hauptdarsteller führen immer wieder zur Unterbrechung der Dreharbeiten. An diesen Beispielen zeigt sich, dass der Zufall in vielen Fällen die Diskrepanz zwischen externen Faktoren und menschlicher Kontrolle markiert. Der Schauspielerkörper, der anfällig für Krankheiten und Verletzungen ist, oder das Wetter, das zwar relativ zuverlässig vorhergesagt, aber nicht vom Menschen kontrolliert werden kann, zeigen den Produktionsbeteiligten Grenzen der Kontrolle auf.

    Die zweite Ebene, auf welcher der Zufall im Rahmen des Making-ofs zutage tritt, ist der Akt des Beobachtens, denn ein Entstehungsprozess kann kaum vollständig beobachtet und dokumentiert werden. Eine Diskussion der Prozessbeteiligten, die abseits der offiziellen Produktionsorte (beispielsweise während der Mittagspause) geführt wird, kann zufällig beobachtet und aufgezeichnet werden und so als Material für das Making-of dienen. Die Diskussion kann sich als essentiell für den Fortlauf des Produktionsprozesses herausstellen, die Möglichkeit ihrer Aufzeichnung und Integrierung in das Making-of ist jedoch aufgrund der Unmöglichkeit der vollständigen Beobachtung nicht garantiert. So bedingt der Zufall auch die Materialgenese und -redaktion des Making-ofs.

    So kann festgehalten werden, dass jede Art von künstlerischer Produktion zur gleichen Zeit Produkt von Intention und Zufall ist – Making-ofs können dieses Zusammenspiel sichtbar machen oder absichtlich verschleiern. Darüber hinaus ist die Produktion eines Making-ofs selbst diesen Faktoren ausgeliefert.

    Lost in La Mancha. USA 2002, Regie: Keith Fulton / Louis Pepe.

    The Making of ‚Jaws‘. USA 1995, Regie: Laurent Bouzereau.

    Schulze, Holger: „Das Modell der nichtintentionalen Werkgenese. Über Werkgeneratoren zwischen Cage und Frontpage.“ In: Peter Gendolla / Thomas Kamphusmann (Hg.): Die Künste des Zufalls. Frankfurt/Main 1999, S. 94-121

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    Zuschauer

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